100 Tage im Amt: Diese Bilanz zieht der Trierer Oberbürgermeister Wolfram Leibe

Trier · Zähe Verhandlungen mit der Bahn, Schulterschluss im neuen Stadtvorstand, Aufbruchstimmung beim Theater: Wolfram Leibe (SPD) schildert nach 100 Tagen als Oberbürgermeister von Trier seine Erfahrungen und kündigt an, wie der Busverkehr beschleunigt werden soll.

Seit seinem Amtsantritt am 1. April überrascht Triers OB Wolfram Leibe immer mal wieder Mitarbeiter, Bürger und Medienvertreter. Statt Letzteren das Feld für die bei öffentlichen Ämtern übliche 100-Tage-Bilanz allein zu überlassen, lädt der 55-Jährige zu einem Pressegespräch ein. Und das an ungewöhnlichem Ort, in der Bäckerei des Hauptbahnhofs.

Statt eigene Erfolge aufzuzählen, steigt Leibe mit dem Problemfeld Bahnhof ein. Die Stadt kommt beim geplanten Kauf eines Nebengebäudes von der Bahn nicht weiter, wo die Stadtwerke eine Fahrradstation einrichten wollen. "Manche Dinge sind extrem zäh", stellt der OB fest. "An der eingerüsteten Fassade des Haupteingangs hat die Bahn die Schutzfolie erneuert, aber die Sanierung immer noch nicht begonnen. Erst danach können wir den Vorplatz sanieren." Entsprechend schlecht sei dort die Außendarstellung der Stadt. "Die Bahn geht auch davon aus, dass wir eine behindertengerechte Toilette einrichten und betreiben, mit allen Konsequenzen."

Drei weitere Themen reißt Leibe im Gespräch noch selbst an.

Marode Sporthallen: Zwölf von 34 städtischen Turnhallen sind derzeit aus Sicherheitsgründen komplett gesperrt oder mit einem Ballsportverbot belegt (der TV berichtete am 4. Juli). "Wir haben angefangen, drei Hallen nutzbar zu machen und so Druck herauszunehmen zur genauen Prüfung der übrigen Hallen."

Flüchtlinge: Die Stadt muss in diesem Jahr für 400 Flüchtlinge Unterkünfte finden. Dazu will die Verwaltung zunächst das Burgunderviertel und die ehemalige Jägerkaserne in Trier-West nutzen. Langfristig sollen möglichst dezentrale Lösungen her: "Wir führen derzeit Verhandlungen wegen 40 privater Wohnungen."

Mobilität: Leibe findet es "klasse", wie die Stadtwerke bei umweltfreundlichen Antrieben "mitgehen". Drei Hybridbusse (Mix aus konventionellem und Elektroantrieb) sind inzwischen bestellt. Neben dem Umweltgedanken geht es Leibe um das Vorbeugen von Staus: "Am Freitag spreche ich mit den Stadtwerken über die Einführung weiterer Busspuren. Kommen die Busse schneller voran, kann die Taktfolge im Fahrplan erhöht und damit das Angebot verbessert werden."

Eigene Bürgersprechstunden bietet der OB bisher nicht an. Aber: "Ich werde oft angesprochen, bin immer mit Zettel und Stift unterwegs und gebe die Anliegen im Rathaus weiter. Und wir wollen gezielt in die Stadtteile gehen." Auch einige anonyme Drohbriefe habe er bekommen.
Nach seiner ersten (Marathon-)Ratssitzung war der OB "kaputt". "Ich hab' mir gedacht: Das hast du hinbekommen, mit Unterstützung der Mitarbeiter und Wohlwollen aus dem Rat."
Beim Theater rechnet die Stadt für Anfang September mit den Ergebnissen eines statischen Gutachtens. Danach soll eine beschränkte Ausschreibung der Sanierungsplanung unter drei Fachbüros folgen.
Leibes Zwischenfazit: "Es geht weniger um mich. Wir haben viele große Baustellen und müssen sie gemeinsam voranbringen."

Was sagen die Stadtratsfraktionen zum neuen OB? Der TV hat sie um Antworten gebeten, die wir an dieser Stelle vollständig dokumentieren.

Die Linke:
"In den ersten 100 Tagen musste der OB die Verwaltung kennen lernen und in das Amtsgeschäft hineinwachsen. So konnte er noch nicht viele Themen besetzen, und es wäre auch nicht der Sache gerecht, dies zu fordern.
Positiv kann man festhalten, dass der OB einen transparenten Stil pflegt und die Fraktionen über Entscheidungen informiert, bevor diese an die Presse gehen. Dies sorgt für ein vertrauensvolles Arbeitsklima.
Negativ muss man konstatieren, dass die neue Amtsverteilung, Schule und Sport dem Bereich Bau zuzuordnen und dem Bereich Soziales zu entnehmen, auf sozialpolitische Schwächen schließen lässt. Leider zeigt der OB in der Bildungspolitik auch nicht genügend Biss, um alle Schulstandorte zu erhalten."

Bündnis 90/Die Grünen:
"Eine ordentliche Leistung", erklären die Grünen zur Performance von OB Leibe in den ersten 100 Tagen. "Dialogbereit, anpackend und nicht immer auf der Suche nach der 100-Prozent-Lösung, sondern nach dem Machbaren. Für Trier ist das im Moment kein schlechtes Rezept. Trier steht vor großen Herausforderungen. Ein kollegiales, sachliches Miteinander im Stadtvorstand ist daher ein Muss und uns gefällt, was wir dort gerade sehen."

FWG:
"Unseres Erachtens ist Herr Leibe in seiner neuen Funktion angekommen und hat sich gut eingearbeitet. Er packt auch schwierige Themen kompetent an und hinterfragt kritisch (z. B. Hallenproblematik/Theater). Eine Schonfrist gab es für ihn nicht. Besonders schätzen wir sein Transparenzgebot, dass ein offenes und vertrauensvolles Miteinander zwischen Rat und Verwaltung ermöglicht."

FDP:
"Die FDP bewertet die ersten 100 Tage der Amtszeit von Wolfram Leibe durchaus positiv. Herr Leibe hat bei vielen schwierigen Themen bewiesen, dass er bereit ist diese anzugehen und aus neuen Perspektiven zu betrachten. Bei Fragen wie beispielsweise dem Theater oder auch der Situation von Flüchtlingen hier in Trier hat Herr Leibe gezeigt, dass er als OB bereit ist das Heft des Handelns zu übernehmen und Veränderungen anzustoßen. Die Umgestaltung der Dezernatszuschnitte war ebenfalls ein längst überfälliger Schritt um festgefahrene Strukturen aufzulösen. Weiterhin wurde deutlich, dass Herr Leibe ein großes Interesse daran hat, diese Dinge nicht alleine, sondern im ständigen Dialog mit den Ratsfraktionen, trotz der bekanntermaßen schwierigen Konstellation im Rat, anzugehen."

SPD:
"Wolfram Leibe macht einen tollen Job. Er hat direkt sehr deutlich unter Beweis gestellt, dass mit ihm ein Politiker ins Rathaus eingezogen ist, der die Stärken und Schwächen der Verwaltung blitzschnell analysieren und Fehler abstellen kann. Dank seiner klaren Vorstellungen treibt er Entscheidungen zügig voran und nimmt dabei möglichst viele mit. Der geräuschlose Neuzuschnitte der Dezernate untermauert dies ebenso wie das Sofortprogramm der Trierer Sporthallen oder sein entschiedener Einsatz bei der Integration der Flüchtlinge."

AfD:
"Wolfram Leibe zeichnet sich durch eine ruhige und sachliche Art aus. Seine Fairness und seine Toleranz lassen politische Meinungsunterschiede in den Hintergrund treten. Bereits im Vorfeld wichtiger Entscheidungen bemüht er sich um Transparenz und Einbindung aller Fraktionen. Im persönlichen Umgang erleben wir ihn als freundlichen, wertschätzenden Gesprächspartner. Im Rathaus ist ein neuer Führungsstil eingekehrt, den wir ausdrücklich begrüßen!"

CDU:
Es ist erfreulich, dass der neue Oberbürgermeister seine Arbeit sehr engagiert begonnen hat und sich vielen Themen stellt. Die Kommunikation mit den Fraktionen ist auf jeden Fall besser als unter seinem Vorgänger. Es bleibt allerdings abzuwarten, inwieweit tragfähige Lösungen und Konzepte erarbeitet werden, die auch umsetzbar sind."

Piratenpartei:
"Die ersten 100 Tage zeigen, dass Herr Leibe ein großer Gewinn für unsere Stadt ist. Er packt die Dinge an. Sachlich, lösungsorientiert, strategisch und konkret - mit diesen Worten kann man seine Arbeits- und Herangehensweise kurz zusammenfassen. Auch das ,Wie‘ in der Zusammenarbeit miteinander ist für ihn ein Thema, was er bisher erfolgreich angeht."

Meinung
Erste Hürden überwunden

Seine Sprintqualitäten hat Wolfram Leibe schon bewiesen. Als neuer OB kam er gut aus dem Startblock und übersprang erste Hürden. Die neue Aufgabenverteilung der Dezernate, offensives Baustellenmanagement und sein Machtwort gegen einen Theaterneubau ohne umfassende Prüfung der Sanierungsoption geben ihm Kontur. Leibe scheint das Macher-Image von Ex-OB Helmut Schröer mit dem diplomatischen Geschick seines Vorgängers Klaus Jensen zu verbinden. Im Stadtvorstand profitiert Leibe vom Ende der konfliktträchtigen Konstellation mit den Dezernentinnen Angelika Birk (Grüne) und der inzwischen ausgeschiedenen Simone Kaes-Torchiani (CDU).
Wer auf Veränderungen drängt und hohes Tempo geht, macht sich nicht nur Freunde. Und Fallstricke gibt es in der Politik viele. Ob Leibe über das nötige Durchhaltevermögen für den Marathon durch Gremien, Verordnungen und finanzielle Durststrecken verfügt, muss der Rathauschef erst noch beweisen.
<strong>m.hormes@volksfreund.de

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