Gesprächskultur Tipps für gutes Zuhören: Denn es ist mehr, als nur den Mund zu halten

Trier · Wer sich verstanden fühlt, fühlt sich auch angenommen, sagt die Expertin Stephanie Schneider und erklärt, was beim Zuhören vor sich geht.

Zuhören ist ein „Akt der Freiheit“ — niemand lässt sich dazu zwingen.

Zuhören ist ein „Akt der Freiheit“ — niemand lässt sich dazu zwingen.

Foto: Getty Images/iStockphoto/Alex Sholom

Reißen Sie manchmal ein Gespräch an sich? Sind sie manchmal zu müde, um einer Stimme zu folgen? Das ist ganz normal. „Zuhören ist ja nichts, was wir wie Lesen in der Schule lernen“, sagt Stephanie Schneider. Die Leiterin der Trierer Telefonseelsorge erklärt, was beim Zuhörer abläuft — ein erster Schritt für gute Gespräche.

Die Mitarbeiter der Telefonseelsorge durchlaufen eine längere Ausbildung. Welche Rolle spielt dabei das Zuhören?

Stephanie Schneider Es geht zunächst darum, zuhören zu ermöglichen und diese Kompetenz zu stärken. Viele Menschen sagen, sie können gut zuhören. Aber wenn sie ihr Talent dafür auf einer Skala von null bis zehn angeben sollen, – und zwar in verschiedenen Umfeldern, im beruflichen, familiären oder etwa bei Freunden –, werden sie unsicher. Dann realisieren sie, wie sehr es auch vom Kontext abhängt, und wie viel es mit der eigenen Stimmung zu tun hat. Gutes Zuhören verläuft immer in zwei Richtungen: Während wir der Stimme des anderen folgen, hören wir gleichzeitig immer auch unsere eigene innere Stimme.

Zuhören ist also mehr, als nur den Mund zu halten?

Schneider Ja. Zuhören bedeutet, sich auf einen anderen einzulassen und gleichzeitig auf den eigenen inneren Prozess zu achten. Denn wie ich gestimmt bin, hat einen Einfluss darauf, wie ich dem anderen gegenüber trete, und ob ich offen für ihn bin. Zuhören ist in erster Linie, dem anderen Raum zu geben. Es hat die Qualität des Gebens. Diese wichtige Voraussetzung muss ich immer wieder herstellen. Der Tübinger Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen nennt es einen Akt der Freiheit. Wenn ich nicht zuhören will, kann mich niemand dazu zwingen.

Das „Zuhören wollen“ ist im Umgang mit Menschen, die Probleme haben oder vielleicht Dampf ablassen möchten, essenziell?

Schneider Wer in der Telefonseelsorge Dienst tut, weiß erst einmal nicht, was der Anrufer möchte. Das gilt es, zunächst im gemeinsamen Gespräch herauszufinden. So entsteht der Dialog. Und wenn es dann tatsächlich darum gehen sollte, einmal zehn Minuten den Ärger über den Chef loszuwerden, dann kann der Anrufer diesen Raum bekommen. Wichtig ist, dass der Zuhörer sich seiner Rolle bewusst ist und das Gesagte nicht als Angriff gegen seine Person versteht. Denn seine innere Stimme schwingt immer mit, stellt vielleicht Fragen. Warum ist der Anrufende so sauer? Kann ich das zulassen? Jeder ist ständig mit sich selbst im Dialog. Er/sie kann zum Beispiel sagen, ich gebe Ihnen zehn Minuten, um Dampf abzulassen. Dann lässt sich überlegen, wie er/sie noch nützlich sein kann.

Was bedeutet das für alle „Ungeschulten“, die zufällig auf der Straße jemandem begegnen, dem es nicht gut geht und der darüber sprechen möchte?

Schneider Selbst in einer zufälligen Begegnung auf der Straße, geht es um den Kontext. Ist es ein entfernter Bekannter, eine Freundin, ist es ein Kollege oder eine Kollegin? Wenn ich gewahr werde, dass jemand hoch belastet ist, sei es wegen einer Krankheit oder wegen eines Verlustes, sich also in einer emotionalen Krise befindet, wäre es gut innerlich zu klären, wer ich selbst in diesem Gespräch sein möchte. Dieser Prozess läuft immer sehr schnell ab. Bei vielen Menschen erzeugt die von ihnen beschriebene Situation oft Unsicherheit, ja manchmal Angst und die innere Stimme sagt, ich weiß nicht, was ich tun soll. Wie gehe ich dann mit meiner eigenen Stimme um? Erzählt der Bekannte von einem schwerwiegenden Ereignis, verändert es das Beziehungsgeschehen und erzeugt Gefühle und Gedanken.

Was wenn die innere Stimme rät, von Tante X und Nachbar Y zu erzählen, die das und das getan haben?

Schneider Wir bewegen uns in solchen Momenten in einer Suchbewegung. Trauen wir uns weiter zuzuhören, kommen mit der Situation klar oder gehen wir aus Überforderung auf Distanz? Viele beladene Menschen, das wird oft beschrieben, brauchen aktive Angebote des Zuhörens von Menschen, die ihnen nahe stehen. Menschen möchten verstanden werden. Oftmals haben sie gar nicht die Erwartung, dass andere gleich Lösungen für sie bereithalten.

Was, wenn die Furcht vor Gesprächen mit Kranken so weit führt, die Begegnung mit ihnen zu meiden? Ließe sich sagen, hört ihnen einfach zu?

Schneider Angst wird weniger, indem man auf sie zugeht. Je länger ich Gespräche aus Frucht heraus zögere, umso schwieriger werden sie. Dann kommt dazu noch ein schlechtes Gewissen, weil die eigene Verantwortung spürbar wird und die Angst wird noch größer. Hilfreicher ist es, die eigene Angst anzunehmen und zum Beispiel zu sagen, ich weiß gar nicht, was ich sagen soll. Ich habe gehört, dass du krank bist und bin ratlos, würde dir gerne helfen. Möchtest du, dass wir uns sehen? Es kann sein, dass jemand in einer existenziellen Krise keinen Kontakt möchte.

Mitgefühl wird oft in Allgemeinplätze verpackt: Jeder Mensch ist anders. Wer weiß, wozu es gut ist. Wer unsicher ist, redet oft zu viel.

Schneider Solche Sätze beruhigen eher denjenigen, der sie ausspricht. Wenn der Zuhörende merken sollte, dass er aus Unsicherheit zu viel spricht, sollte er damit aufhören und stoppen. Wer sich in einem Gespräch auch zurücknehmen kann, praktiziert das Zuhören des Gebens.

Viele „Zuhörer“ ziehen immer wieder das Gespräch an sich.

Schneider Oftmals rattern wir in einer angst einflößenden Situation, zum Beispiel im Gespräch mit einem Schwerkranken, die innere Landkarte herunter, und gehen durch, ob es vergleichbare Momente in unserem Leben gegeben hat. Dieser Prozess spielt sich bei vielen Menschen ab. Aber beim Abgleichen mit der eigenen Landkarte und dem Entgegnen von Beispielen aus dem eigenen Erlebten, wird schnell überhört, wie es dem anderen geht. Es gibt drei Dinge, die gutes Zuhören verhindern. Das ist Zuhören aus Eigeninteresse und Pflichtgefühl, Zuhören unter Druck oder unter Angst. Auch wer müde ist, sollte keine wichtigen Gespräche führen – das gilt auch in der Telefonseelsorge. Wer keine Zeit hat, sollte so ehrlich sein und sagen, ich kann dir kein Ohr leihen. Gutes Zuhören bedeutet, wirklich etwas zu leihen.

Rein quatschen, zu müde zum Zuhören sein – ist doch jedem schon passiert.

Schneider Auf jeden Fall. Zuhören ist ja nichts, was wir wie Lesen in der Schule lernen. Ich habe in der Telefonseelsorge gelernt anders zu zuhören, als in meiner vorherigen Arbeit in der Lebensberatung des Bistums. Dabei habe ich vielmehr lösungs-orientiert zugehört. In diesem telefonischen Angebot der Seelsorge geht es nicht um Veränderung. Es geht darum, da zu sein und ein Angebot zu machen.

Was ist der dritte Punkt, der gutes Zuhören verhindert?

Schneider Das ist Bewertung. Wer schon während des Gesprächs ein Label draufmacht und seinen eigenen Wertmaßstab an das Gehörte anlegt, verhindert gutes Zuhören. Dazu gehört auch das Bagatellisieren. Sie hatten eben das Beispiel: Wer weiß, wozu es gut ist. Das ist ein Beispiel für das Herunterspielen der Probleme anderer.

Also auch nach der Frage „Wie geht es dir? einfach abwarten?

Schneider Die Frage wie es dem anderen geht, ist oft eine Floskel, auf die viele Menschen keine ernsthafte Antwort erwarten. Aber wer sie stellt, muss auch damit rechnen, dass jemand in einer Krisensituation steckt und für eine ernsthafte Antwort bereit sein. Wir wissen nie, was den anderen wirklich bedrückt. In der Telefonseelsorge haben wir oft sehr interessante Telefonate. Eine Frau meldete sich und sagte, mein Mann ist verstorben. Die erste Reaktion wäre normalerweise, das Beileid auszusprechen. Aber die Frau sagte gleich, das brauche sie nicht, ihr Mann sei ein „Arsch“ gewesen. Das ist nur ein Beispiel wie wir mit unserer Landkarte reagieren und auf der anderen Seite ganz andere Bedeutungszusammenhänge sind. Darauf lässt sich entgegnen, es tut mir leid, ich habe etwas angenommen, was bei Ihnen gar nicht zutrifft und höre, dass Sie eher entlastet sind. So reagiert in der Regel niemand in einem Alltags-Gespräch. Das lernen unsere Mitarbeiter, das Gegenüber aus seinem jeweils eigenen persönlichen Erleben heraus wahrnehmen zu können.

Möchten Menschen nicht einfach Trost und Mitgefühl?

Schneider Manche Menschen, die bei uns anrufen, möchten sich vergewissern, dass sie in ihrem Erleben nicht falsch sind, suchen Entlastung durch reden, wollen sich besser verstehen. Zum Beispiel diejenigen, die in einer Krise sind und nicht wissen, was der nächste Schritt sein kann. Andere möchten sich sortieren, wieder andere möchten einfach nur etwas sagen. Es rufen viele einsame Menschen bei uns an, die niemanden haben. Es gibt aber auch diejenigen, die immer wieder anrufen, weil sie in chronischen Krisen stecken, etwa an einer schwierigen Beziehung festhalten. Die Telefonseelsorge ist aber in erster Linie für Menschen in akuten Krisen gedacht und ist aus der Beratung Suizidgefährdeter entstanden

Wie steht es mit dahin gesagten „Versprechen? Vieles wird angekündigt und nie eingehalten?

Schneider Wir haben während jedes Gesprächs einen inneren Beobachter, der mitläuft. Es gibt Menschen, die dazu mehr Zugang haben, als andere. Selbst wenn dieser Zugang unterschiedlich ausgeprägt ist, unsere innere Welt ist mindestens so groß wie unsere äußere. Es entsteht möglicherweise eine neue innere Spannung wenn ich etwas ankündige und im gleichen Moment schon spüre, dass ich es nicht einhalten werde. Es gehört schon Mut dazu, sich und dem anderen ehrlich gegenüber zu sein. Beziehungen verändern sich, gerade durch das Auftauchen von Krisen. Nichts besteht ewig. Unser Leben ist in einer ständigen Veränderung.

Sollte tatsächlich einmal therapeutische Hilfe angeraten sein, darf ein Laie sich das trauen?

Schneider Wenn sich über einen längeren Zeitraum an einer Trauer zum Beispiel nichts verändert, wäre es gut, über eine therapeutische Hilfe nachzudenken. In einem entsprechenden Rahmen, einem Dialog, könnten enge Freunde sich natürlich trauen, einen entsprechenden Vorschlag zu formulieren, fragen, ob es vielleicht nicht besser wäre. Aber, wenn jemand das nicht möchte, sind jedem Zuhörer die Hände gebunden. Manchmal ist Klagen auch etwas Sicheres, es gibt Halt und es zu verlieren, würde eine neue Angst erzeugen. Die Angst vor dem Schritt zu Veränderung darf nicht höher sein, als die Frustration oder der Schmerz der Situation. Kein Zuhörer weiß, was ihm entgegnet wird. Jeder Mensch ist anders und jedes Gespräch kann Überraschungen bieten. Das erleben wir auch in der Telefonseelsorge. Unser Ziel ist es, dass sich der Anrufer verstanden fühlt und sich selbst besser versteht.

„Private“ Gespräche können diesen Anspruch nicht haben.

Schneider Was in privaten Gesprächen wie besprochen wird, ist sicherlich sehr unterschiedlich. Wir machen in der Telefonseelsorge die Erfahrung, dass sich besonders Menschen mit Scham und Schuldgefühlen an uns wenden, weil Sie sich nicht trauen im engsten Kreis über ihre belastenden Gefühle und Gedanken zu sprechen. Weil dadurch noch mehr Scham entsteht oder sie sich anderen nicht zumuten möchten. Sicherlich profitieren unsere ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von ihrer Ausbildung und dem ständigen Üben des richtigen zuhörens. Ich vermute, sie hören auch im Privaten anders zu. Erstens, weil sie mitbekommen, was es alles gibt und sich von Bewertungen distanzieren können, und zweitens, eher zwischen den Wörtern hören, um was es eigentlich geht.

Können wir das im Alltag überhaupt leisten?

Schneider Ich sehe das aus einer anderen Brille. Auch in unserem Alltag, im Umgang und Gesprächen mit dem Partner, den Kindern, ist doch die Frage, inwieweit ich bereit bin, mich darauf einzustellen, feinfühlig zu sein oder zu werden. Vor allem in unseren engen Beziehungen ist gutes Zuhören wichtig. Wenn jemand im wahrsten Sinn des Wortes verstanden wird, fühlt er sich auch angenommen. Diese Erfahrung gilt ja nicht nur für die Telefonseelsorge. Das sogenannte Bindungssystem und das Vertrauen in sich selbst und die Welt werden aktiviert – ein wichtiger Faktor für Eltern-Kind-Beziehungen aber auch für Paar-Beziehungen. Wir Menschen sind soziale Wesen und brauchen das Gefühl der Verbundenheit. Gutes Zuhören kann helfen, Konflikte zu reduzieren. Wenn Menschen sich verstanden fühlen und sich selbst verstehen, sind sie deutlich umgänglicher.

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