Alle 15 Sekunden eine Raketenwarnung

Ruthie Eitan ist Dozentin am Sapir College in der israelischen Negev-Wüste. Die Gegend wird seit Jahren täglich mit Raketen beschossen. Am Paulusplatz erzählte die Historikerin, wie man in Nachbarschaft zum Gazastreifen dennoch einen Studienalltag aufrechterhält.

 Georg Schneider vom akademischen Auslandsamt der Fachhochschule Trier, Ruthie Eitan und Mark Indig von der Deutsch-Israelischen Gesellschaft. TV-Foto: Frank Göbel

Georg Schneider vom akademischen Auslandsamt der Fachhochschule Trier, Ruthie Eitan und Mark Indig von der Deutsch-Israelischen Gesellschaft. TV-Foto: Frank Göbel

Trier. "Sehen sie zur Tür dahinten", sagt Ruthie Eitan und zeigt in die Ecke des Raumes der Fachhochschule am Paulusplatz. "Können sie sich vorstellen, wenn jetzt der Alarm losginge, dass sie alle in 15 Sekunden da rauskommen?" 15 Sekunden, das ist die Zeit, die durchschnittlich im israelischen Sderot vor einer aus dem Gaza-Streifen einfliegenden Kassam-Rakete gewarnt wird. Dann kracht ein krudes, in Heimarbeit hergestelltes Geschoss irgendwo ein. Nicht immer mit einer Detonation, nicht immer in unbewohntem Gebiet."Akademische Exzellenz im Terror"

Ruthie Eitan ist fünfzig Jahre alt und Dozentin für Geschichte am Sapir College in der Nähe von Sderot in der israelischen Negev-Wüste. Auf Einladung der Trierer "Deutsch-Israelischen Gesellschaft" erzählt die Frau davon, wie man an der Partneruni der Trierer FH "im Terror seine akademische Exzellenz bewahrt". Die Einwohner des Landkreises Shaa Negev leben seit acht Jahren unter Dauerbeschuss aus dem kaum fünf Kilometer entfernten palästinensisch verwalteten Gebiet. Seit die Hamas im von den Israelis geräumten Gazastreifen an der Macht ist, sei es noch schlimmer geworden, erzählt Ruthie Eitan. An manchen Tagen krachen nach ihren Berichten sechzig der Raketen ein, ein Mitschüler wurde vor kurzem in unmittelbarer Nähe zu Eitan getötet, als eine Rakete ihr Auto traf.Dennoch behauptet sie, frei von Zorn zu sein: Auch ihre Kommilitonen hielten wenig von militärischen Lösungen und Vergeltungsmaßnahmen. Stattdessen erzählt Ruthie Eitan von Plänen, auch den Leuten aus dem Gazastreifen wieder Möglichkeiten zu geben, sich zu bilden, Perspektiven zu schaffen aus der Logik des Terrors heraus. "Ich bin Historikerin, ich weiß, so etwas schafft man nicht von heute auf morgen", sagt sie. Aber es sei schon mal so viel besser gewesen. "Bis 2000 hatten wir Studenten aus dem Gazastreifen und der Westbank." Dann kam die zweite "Intifada". Die Dozentin beschreibt das College als eine Bastion der Vernunft in einem "Krieg aus dem 18.Jahrhundert". Die Studenten trotzten dem mörderischen Wahnsinn um sie herum ganz bewusst, weil sie "multikulturell, aufgeklärt und progressiv" seien. Ein "ganz besonderer Geist" verbinde sie, schildert sie bei ihrem Besuch in Trier. Sowieso sei das College, das jeden Tag rund 10 000 Menschen besuchen, nicht mehr aus der Gegend wegzudenken. Als Arbeitgeber, als Bildungsstätte, als Idee.Manche Dinge müsse man deshalb immer im Hinterkopf behalten, sagt Ruthie Eitan. "Zum Beispiel keine hochhackigen Schuhe zu tragen." Damit könne man nicht so gut rennen, wenn wieder eine Rakete nahe. "Einmal wusste ich nicht, ob ich mich jetzt in den Dreck in Deckung werfen soll, oder nicht lieber hoffen, dass sie halt woanders einschlägt. Wenn man da so steht und so was überlegt, da können die kurzen 15 Sekunden wieder ganz schön lang werden."

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