Alleine unter Viezexperten

Trier · Viez gilt als das Nationalgetränk der Trierer. Aus den Kneipen und Biergärten der Region ist das Getränk nicht wegzudenken. Bei einer Blindverkostung des Dienstleistungszentrums Ländlicher Raum wurden nun wieder die besten Erzeugnisse prämiert. Ich durfte mitbewerten und habe völlig neue Erfahrungen gemacht.

Trier. Ein Arbeitsauftrag der besonderen Art: Eine Viezverkostung steht an, und ich soll berichten. Ob ich gerne Viez trinke, fragt mich mein Chef. Da muss ich kurz überlegen. Etwas zögerlich antworte ich: "Ja!" Dabei trinke ich selten Viez.
Meine letzten Erfahrungen habe ich vor Jahren auf einer Eifeler Disco gemacht. Damals wurde Covie, also Cola mit Viez gemischt, getrunken. In großen Colaflaschen konnte man das Gemisch an der Theke kaufen. Es schmeckte süß und ließ sich auch in größeren Mengen konsumieren. Deswegen habe ich wohl auch zu viel davon getrunken. Ein prägendes Erlebnis. Viele Jahre habe ich keinen Viez mehr angerührt. Auch nicht, als ich nach Trier zog. Da sah ich meinen Freunden lieber zu, wie sie aus ihren Porzen tranken.
Nun darf ich also bei einer Viezverkostung mitmachen. Ich beschließe, mein Verhältnis zum Viez noch mal zu überdenken. Mit weichen Knien und leichter Anspannung betrete ich den Seminarraum der Staatlichen Weinbaudomäne Avelsbach in Trier. Ein großer Raum mit dunklen Fliesen und vielen Holzregalen. Die Sonnenstrahlen dieses warmen Frühlingstages dringen durch die vielen Fenster.
In dem Raum haben sich bereits zehn Männer versammelt. Reihum schüttele ich alle Hände. Hanspitt Weiler von der Trierer Viezbruderschaft fragt nach: "Sie sind also die Viezexpertin beim TV?" Mit einem Lächeln versuche ich der Frage auszuweichen. Ich sei Neuling in dem Bereich und lerne gerne dazu, gebe ich zurück. "Es gibt auch viel zu wenige weibliche Viezexperten", lacht er.
Dann nehmen wir an den großen Holztischen, die in Hufeisenform angeordnet sind und mit roten Papiertischdecken ausgelegt sind, Platz. Zwischen Han spitt Weiler und Jürgen Schmidt vom Dienstleistungszentrum Ländlicher Raum (DLR), der die Verkostung leitet, fühle ich mich sicher: Neben einem ausgewiesenen Viez-Genießer und einem Experten kann nicht mehr viel schiefgehen.
Vor mir aufgebaut stehen zwei Weingläser und ein Wasserglas. Das wirft erste Fragen bei den Anwesenden auf: Die Porzen fehlen! Schmidt entschuldigt sich: "Hier hatten sie leider nur Weingläser. Aber so können wir gut die Farbe erkennen." Außerdem befindet sich auf dem Tisch ein silberfarbenes Gefäß, das von der Form her an eine Sanduhr erinnert. Ein Ausgießgefäß, wo auch hineingespuckt werden kann. Zu Essen gibt es Weizenbrötchen und Käsewürfel.
Es kann losgehen: Gerd Scholten, Abteilungsleiter für Weinbau und Oenologie im DLR Mosel, erklärt das Prozedere der 17. Viezprämierung: "Bewerten Sie einfach, ob die Probe schmeckt oder nicht schmeckt. Und seien Sie mutig bei der Punktevergabe." Geschmack, Geruch und die Harmonie zwischen beidem wird bewertet. Ein Punktwert von null (ungenügend) bis fünf (hervorragend) kann pro Kategorie vergeben werden. Die Höchstpunktzahl beträgt 15 Punkte. Scholten: "Behalten Sie die Probe einen Moment im Mund, und lassen Sie den Viez auf die Geschmacksnerven wirken." Ob meine Geschmacksnerven überhaupt 42 Proben aushalten?
Am Ende des Tisches sind die 42 Flaschen aufgereiht. Damit die Hersteller nicht am Etikett erkannt werden können, sind die Flaschen mit Wellpapier eingehüllt. Auf dem Deckel befindet sich lediglich die Nummer der Probe. Jürgen Schmidt öffnet die erste Flasche, reicht sie weiter und verkündet: "Probe Nummer eins!" Dieser Ausspruch wird sich an diesem Nachmittag noch 41. Mal wiederholen.
Jetzt wird es ernst. Ich konzentriere mich darauf, alles richtig zu machen und hoffe inständig, dass ich nicht allzu sehr betrunken sein werde. Die Papiermanschette macht es schwer, etwas aus der Flasche ohne Verschütten auszugießen. Glücklicherweise verschütte ich erst mal nichts.
Bedächtige Stille im Raum. Dann Gläserklirren, Schlürfen und Schmatzen. Kritische Blicke und Gläserschwenken. Danach greifen die Männer beherzt zum Stift und notieren ihre Bewertung in der Tabelle. Weit und breit keine Kneipenstimmung, sondern pure Konzentration. Ich hoffe derweil, dass ich überhaupt irgendwelche Unterschiede zwischen den Proben erschmecken kann.
Die erste Probe ist verkostet. Hanspitt Weiler resümiert: "Ich hätte nichts dagegen, wenn davon ein Fässchen bei mir im Keller liegen würde." Diese Probe ordne ich mal im Mittelfeld ein. Der Viez riecht ordentlich nach Apfel und hat eine gute Säure. In Sachen Säure gehen allerdings die Meinungen auseinander. Was ich als angenehm sauer empfinde, halten meine Mitverkoster für zu mild. Hanspitt Weiler stellt fest: "Die Geschmacksempfindungen von Männern und Frauen sind durchaus verschieden."
Weiter geht\'s: "Probe Nummer zwei", verkündet Jürgen Schmidt. Schnell noch einen Schluck Wasser und einen Käsewürfel. Die zweite Probe riecht muffig. So muffig, dass ich eigentlich gar keine Lust zum Probieren habe. Ich tue es trotzdem und vergebe null Punkte. Mut zu einer eindeutigen Bewertung, denke ich mir.
So geht es die nächsten zwei Stunden weiter. Die Stille im Raum wird lediglich von ein paar Witzen und Ausdrücken des Wohlgefallens unterbrochen: "Opulenter Körper, kräftig im Geschmack." Oder: "Einfach lecker!" Immer wieder kritisches Augenbrauenheben und nachdenkliche Mienen. Meine Schlucke werden unterdessen immer kleiner. Zu spucken traue ich mich nicht. Mein Brötchen habe ich schon im ersten Drittel der Verkostung aufgegessen. Der Alkohol macht mir großen Appetit: Wie gut, dass es die Käsewürfel gibt. Meine Befürchtung zu Beginn der Probe ist allerdings unbegründet: Es gibt große Unterschiede im Geschmack, die sich gut bewerten lassen. Auch die Farbe des Viezes variiert: Von Hellgelb bis Bernsteinfarben ist alles dabei.
Jürgen Schmidt schaut mir ab und an kritisch über die Schulter, ob ich auch nirgends abschreibe. Aber ich lasse mich nicht von den Reaktionen der anderen beeinflussen und versuche so selbstsicher wie nur möglich meine Bewertung abzugeben. Er erklärt mir auch, dass der Viez vorrangig aus Mostäpfeln hergestellt wird. Diese werden auf Streuobstwiesen angebaut und hören auf klangvolle Namen wie der Rote Trierer Weinapfel, Winter-Rabau oder Luxemburger Renette. Allerdings sei der Preis für die Äpfel momentan im Keller. Er möchte junge Leute dennoch motivieren, die Streuobstwiesen wieder zu pflegen. Beim DLR ist er unter anderem als Berater für Streuobst und Obstverwertung tätig.
Bei Probe Nummer 31 passiert es dann: Eine ungeschickte Handbewegung und ich verschütte mein Wasserglas. Unweigerlich scherzen die anderen, ob ich denn nun betrunken sei. Bin ich nicht. Die Käsewürfel haben eine gute Grundlage geschaffen. Mit dieser Grundlage schaffe ich es bis zum Ende der Verkostung.
An diesem Nachmittag habe ich gelernt, dass es große Unterschiede beim Viez gibt und er mir je nach Sorte sogar gut schmeckt. Mein Viez-Jugendtrauma habe ich jedenfalls überwunden. Das nächste Mal trinke ich gerne eine Porz bei meinen Freunden mit.Extra

 Die Sieger der Viezprämierung des Dienstleistungszentrums Ländlicher Raum freuen sich über die Auszeichnung.

Die Sieger der Viezprämierung des Dienstleistungszentrums Ländlicher Raum freuen sich über die Auszeichnung.

Foto: friedemann vetter (ve.), Friedemann Vetter ("TV-Upload vetter"

Rudi Müller (Pluwig), Erwin Sauerwein (Palzem), Karl-Albert Klein (Kastel-Staadt), Peter Greif (Tawern-Fellerich), Thomas Benzmüller (Mülheim), Philipp Goßler (Koblenz), Anita Gabler (Esch), Ernst Fögen (Spangdahlem), Tim Näckel (Gransdorf), Leo und Katharina Ambrosius (Föhren), Robert Reis-Oberbillig (Riol), Alois Zeimetz (Holsthum), Klaus Weyde (Bernkastel-Kues), Josef Hasdenteufel (Hatzenport), Kelterei Gorges (Thomm), Jochen Faber (Erden), Marc Conrad (Welschbillig) jwa

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