Als lägen die Toten zu Tische

TRIER-WEST. Ein Kleinod ganz besonderer Art liegt auf dem Gelände der Grundschule Reichertsberg. Dort wurde bei dem Bau der Schule im Jahr 1967 eine gut erhaltene Grabkammer aus konstantinischer Zeit entdeckt. Sie ist in ihrer Innenausstattung und Ausgestaltung einzigartig in der Region.

Etwa 30 Jahre lang fristete die Grabkammer nach ihrer Entdeckung einen Dornröschenschlaf auf dem Reichertsberg. Nur zur Schulfeier im Jahr 1998 wurde sie ausnahmsweise der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Seitdem sorgt Sabine Faust, Kustos am Rheinischen Landesmuseum, dafür, dass die wissenschaftlichen Untersuchungen des hoch interessanten Fundes voran gehen. "Sowohl von der Innenausstattung als auch von ihrer Ausgestaltung ist die Grabkammer einzigartig in unserem Raum", berichtet die promovierte Fachfrau für Archäologie der Römerzeit. Der Grund: Im Inneren der Grabkammer stieß man auf gemauerte wannenartige Grabstätten. Sie sind genauso angeordnet wie die damals üblichen Speisebetten in einem spätrömischen Speiseraum, dem so genannten Triklinium. Keine vergleichbare Grabstätte

In diese wannengemauerten "Grablegen" wurden die Bleisarkophage gestellt, die heute - trotz Metallräubereien- teilweise noch vorhanden sind. "Weit und breit gibt es keine Parallele", sagt Faust, "da hat Trier etwas ganz Besonderes". Eine weitere Besonderheit der Grabkammer sind die üppigen Wandmalereien, die allerdings unter fortschreitendem Zerfall leiden. Vögel mit Pflanzenranken, ein Genius mit Füllhorn und Spendeschale, ein großer Blattkranz - die römische Familie der Spätantike hatte sich ihre Grabkammer monumental herrichten lassen. Schließlich gehörte zu der Grabkammer ein zweigeschossiger Grabbau, der wie ein kleiner Tempel gestaltet war - ähnlich wie bei dem Igeler Grutenhäuschen. Schon damals recycelten die Bauherren: Verarbeitet wurden bei dem Grabbau am Reichertsberg Teile eines anderen älteren Grabbaus, die mit einer Inschrift versehen sind und heute gut sichtbar am Eingang der Grabkammer zu lesen sind. In der Grabkammer, die aller Wahrscheinlichkeit aus dem späten dritten Jahrhundert stammt, wurden acht Erwachsene und ein Kind bestattet. Außerdem war in der Grabkammer ein nicht ausgetragener Embryo beigesetzt. Anthropologische Untersuchungen haben ergeben, dass die weiblichen Toten mit 152 und 153 Zentimetern Körperlänge sehr klein waren, bei den Männern schwankte die Größe zwischen 162 und 176 Zentimetern. Um ihre Gesundheit war es zu Lebzeiten nicht bestens bestellt: Eine Frau litt an Krebs. Bei den anderen Toten wurde von dem Mainzer Anthropologie-Institut Karies, Parodontose und Arthrose festgestellt. Den Toten wurden Glasgefäße in die Sarkophage beigelegt, die im Landesmuseum ausgestellt sind. Zwei Sandsteinsarkophage, die auf die wannengemauerten Grablegen gestellt waren, stehen heute in der Grundschule Reichertsberg. "Damit wir in der engen Grabkammer überhaupt etwas untersuchen konnten", sagt Faust. Ob die Grabkammer jemals frei zu besichtigen sein wird, ist fraglich. Hohe Restaurierungskosten, die mit der Bestandssicherung auf dem städtischen Grundstück einher gehen, würden entstehen. Immerhin werden die neuen Erkenntnisse über die Grabkammer in der nächsten Ausgabe der Trierer Zeitschrift für Kunst und Kultur, der Hauszeitschrift des Landesmuseums, veröffentlicht. Morgen in unserer Stadtteil-Serie: Ortsvorsteher Helmut Kress - die personifizierte Beständigkeit.

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