Anders als alle Klischees

Die Trevererschule in Trier feiert in diesem Jahr ihren vierzigsten Geburtstag. Rund 100 Schüler aus der gesamten Region besuchen die "Schule mit Förderschwerpunkt motorische Entwicklung", wie die einstige "Sonderschule für Körperbehinderte" heute politisch korrekt heißt. Wer einen Blick hinter die Kulissen wirft, erlebt Überraschungen.

Trier. "Spuren eines traurigen Kängurus", so heißt das Bild, das neben vielen anderen im Gang vor dem Raum der Klasse 9 hängt. Der 16-jährige Daniel hat so illustriert, was er aus Mussorgskys Konzert "Bilder einer Ausstellung" herausgehört hat. 20 Gemälde sind zusammengekommen, zur einen Hälfte fantasievolle freie Assoziationen zu den Musikstücken, zur anderen Neu-Interpretationen der Original-Bilder. Vier Monate haben die körperlich und teilweise auch geistig behinderten Schülern an der Ausstellung gearbeitet und viele kluge Erkenntnisse über die Musik zusammengetragen.

Als nächstes Projekt der Abschlussklasse steht neben einem "Bewerbertraining" mit der IHK die Lektüre von Benjamin Leberts Kultroman "Crazy" an. "Den Film schauen wir auch", erzählt Yannick. Schul-Alltag, weitab von allen Klischee-Vorstellungen, die man sich von der Arbeit mit Behinderten macht.

Auf geht's mit Schulleiter Franz-Josef Schwaller einmal quer durch den kantigen Gebäudekomplex zum Frühstückskaffee der 5a. Wer hier Lehrer ist, braucht kein Fitnessprogramm, angesichts der langen Wege quer durch vier Trakte auf vier Etagen. Unpraktischer kann man eine Schule, deren Kinder massive Probleme mit der körperlichen Fortbewegung haben, kaum unterbringen.

Und doch war der Umzug in die Trevererstraße 1978 ein Meilenstein in der Geschichte der auf private Initiative in Olewig entstandenen Schule. "Die räumlichen Verhältnisse dort waren unsäglich", erinnert sich der damalige Schuldezernent Walter Blankenburg, dessen Amt mit dem Umzug unter Einbeziehung der Landkreise die Trägerschaft übernahm.

Seither hat sich die Schülerzahl verdoppelt. Und die Philosophie im Umgang mit Förder-Schülern mächtig verändert. Die Treverer-Schule setzt um, wovon "normale" Schulen nur träumen können: die optimale Förderung der individuellen Möglichkeiten jedes einzelnen Schülers. "Alle Kinder und Jugendlichen haben das Recht auf eine Bildung und Erziehung, die ihren persönlichen Fähigkeiten entspricht", umreißt Direktor Schwaller die Grundsätze.

Dazu gehört nicht nur der Unterricht, sondern auch das soziale Leben drumherum. Deshalb kommen die Treverer-Schüler alle ganztags, aus einem Einzugsgebiet zwischen Gerolstein, Saarburg und Traben-Trarbach.

Und die gemeinsamen Pausen und Mahlzeiten sind Bestandteil der pädagogischen Arbeit. So wie in der 5a, wo Nico gerade den Frühstückswagen hereinrollt. Die Schüler sind an der Essens-Planung beteiligt, machen beim Einkauf mit und kümmern sich um die Organisation - jeder im Rahmen seiner Möglichkeiten.

Es wird gesund gegessen, aber jeder hat auch einen "Essens-Joker", den er ziehen kann, wenn ihm etwas überhaupt nicht schmeckt. Nach dem Essen ist Pause angesagt, man tobt über den Schulhof, der eine im Rollstuhl, der andere auf dem Skateboard. In einem kleinen Sportraum im Keller steht "Ringen und Raufen" auf dem Stundenplan. Aber es gibt auch Ruheräume, in denen erschöpfte Kinder zu leiser Musik schlafen oder träumen können.

So sammeln sie Kraft für die nächsten, anstrengenden Unterrichtseinheiten. Die Klassen sind nicht stur nach Alter oder Form der Behinderung gegliedert, sondern werden jedes Jahr so sinnvoll wie möglich neu zusammengesetzt. Das geht nur bei einem Höchstmaß an Differenzierung, und es ist nichts Ungewöhnliches, wenn wie in der 3b auf sechs Schüler vier Lehrkräfte kommen. Weil die Kinder zwischendurch auch regelmäßig zur körperlichen Therapie müssen, ist viel Bewegung im Schul-Alltag. Diese Verzahnung sei "ein großes Plus", sagt Franz-Josef Schwaller.

Das ließe sich noch deutlich besser zur Geltung bringen, wenn die räumlichen Verhältnisse nicht so beengt wären. Bis zu sieben Physiotherapeuten drängen sich parallel in dem kleinen Gymnastikraum, für die Logopädie muss eine Art Abstellkammer reichen.

Etwas besser sieht es in der gut ausgestatteten Werkstatt aus, wo die Schüler Holz- oder Metallarbeiten lernen. Oder in der Küche, in der junge Leute wie Isabelle gerade den letzten Schliff für ihr künftiges Leben erhalten.

Sie ist gerade 18 geworden, bereitet den Umzug in ihre erste eigene Wohnung und die Arbeit in einer Werkstatt für Behinderte vor. Ein wunderbares Stück Normalität - wie es ohne die Treverer-Schule nie möglich geworden wäre.

Am kommenden Samstag, 25. April veranstaltet die Trevererschule von 9.15 bis 12.45 einen Tag der offenen Tür. Angelehnt an den Schulalltag, erhalten Besucher einen Einblick in Unterricht, Therapie und weitere Förderangebote. Im Bistro der Werkstufe gibt's Kaffee und Kuchen.

Trier. (Dil) Die Treverer-Schule in der gleichnamigen Straße in Heiligkreuz hat knapp 100 Schüler, die sich auf 13 Klassen verteilen.

Der Unterricht geht von 8.30 bis 15.30 Uhr. Täglich bringen 16 Kleinbusse die Kinder zur Schule und wieder nach Hause. Die Entscheidung, ob ein Kind in die Trevererschule kommt, fällt die ADD im Einvernehmen mit den Eltern auf der Basis eines sonderpädagogischen Gutachtens, das ein Experte der Schule erstellt. Wird dort besonderer Förderbedarf festgestellt, kann das Kind entweder eine dafür besonders ausgestattete "normale" Grund- oder Hauptschule (die sogenannte Schwerpunktschule) besuchen oder eine Förderschule für Behinderte.

Die Trevererschule ist dabei auf die Förderung der "motorischen Entwicklung" spezialisiert, nimmt also nur Kinder, die körperbehindert sind - wobei oft eine geistige Behinderung hinzukommt. Hauptziel ist die ganzheitliche Entwicklung. Es gibt unterschiedliche Schul-Abschlüsse, die auf die stark differierenden Möglichkeiten der Schüler abgestellt sind. Zentrales Problem ist die seit Jahren als notwendig anerkannte, aber aufgrund der finanziellen Lage nie ernsthaft angegangene Errichtung eines neuen, geeigneten Gebäudes an einem verkehrsgünstigen Standort.

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