Angriffslustig und stets lebensfroh

Der Moselaner — wie kann man ihn beschreiben? Ist er eher träg und verschlafen oder eher fleißig und strebsam? Ist er provinziell oder weltoffen? Eher ein aufgeregter Charakter oder neigt er mehr zu Nachsicht und Gleichmut? Es ist gar nicht so einfach, sich für das eine oder andere zu entscheiden. Zu gegensätzlich sind die Typen, zu verschieden die Eigenarten, um "den Moselaner", "die Moselanerin" präzise zu charakterisieren.

Mit Sicherheit kann man aber über den Moselaner sagen: Er liebt seine Heimat. Seine Heimat, das ist der Fluss mit der unvergleichlichen Kulturlandschaft.
Kulturlandschaft und nicht Naturlandschaft, diese Unterscheidung muss man treffen. Denn der Moselaner hat sich sein Lebensumfeld in Jahrhunderten mühevoll erschaffen. Er hat felsige Berghänge urbar gemacht und Mauern in Steillagen errichtet, um Wein anzubauen.
Darauf ist er enorm stolz. Und er hält sein Produkt für das edelste der Welt. Da gibt es für ihn überhaupt keinen Zweifel.
Der Wein hat ihm auch Wohlstand gebracht. Wohlstand, den er ganz gerne auch zeigt. Man denke an die zahlreichen herrschaftlichen Winzer- und Weinhändlerhäuser, die es in jedem Ort gibt.
In Traben-Trarbach stehen besonders viele dieser prächtigen Anwesen. Fast alle wurden um die Jahrhundertwende gebaut, im damals beliebten Jugendstil. Es waren goldene Zeiten. Sicher: Auch an der Mosel waren die Zeiten nicht immer gut. Vor allem dann, wenn der Weinpreis im Keller war.
Bekommt er nicht den verdienten Lohn für seine mühsame Arbeit, wird der Moselaner angriffslustig. Natürlich sind immer "die da oben" an allem schuld. Selbstkritik gehört nicht zu den ausgeprägten Eigenschaften des Moselaners. Er schimpft und protestiert, manchmal ziemlich rabiat. Legendär ist der Sturm auf das Finanzamt und das Zollamt Bernkastel im Februar 1926, als wütende Bürger, zumeist Winzer, Akten, Bücher und Mobiliar aus den Fenstern auf die Straße warfen.
Aber auch in den 1960er und 1970er Jahren gingen die Moselaner mit der "Obrigkeit" nicht immer zimperlich um, die sich auf "Protestversammlungen" wüste Beschimpfungen gefallen lassen musste.
In solchen Zeiten halten die Moselaner zusammen. Ist die Welt für den Moselaner hingegen einigermaßen in Ordnung, lässt er den lieben Gott einfach einen guten Mann sein. Das Schöppchen Wein am Abend, eine ausgedehnte Pause im Wingert, ausgelassen feiern auf der Weinkirmes — so lässt sich das Leben ertragen. Schließlich ist da der Fluss - die Mosel, die so ganz anders ist als der mächtige, urdeutsche Rhein. Viel lieblicher und sanfter. Etwas abseits gelegen, mehr westlich, nicht ganz so deutsch, fast schon französisch.
Viele Windungen hat die Mosel, und hinter jeder dieser vielen Schleifen gibt es andere Typen mit einem eigenen Dialekt und eigenem Stolz. Individualisten eben.
Der Kröver ist zuallererst ein Kröver, erst an zweiter Stelle ein Moselaner. Das gilt ebenso für die Bernkasteler oder Traben-Trarbacher. Wir sind die Besten, sagt jeder von sich.
Der Kröver, jahrhundertelang als Bürger des "Kröver Reiches" mit bemerkenswerten Rechten und Privilegien ausgestattet, strotzt nur so vor Selbstbewusstsein.
Die Traben-Trarbacher hingegen sind stolz, einst zu einem gräflichen Herrscher, den Sponheimern, gehört zu haben.
Manchmal fällt es den Moselanern schwer, über den eigenen Kirchturm zu schauen. Die Mosel ist ja auch eingegrenzt von Bergen und Hügeln, die den Blick hinter den Horizont etwas erschweren.

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