Arbeiten auf dem Flugplatz für das Studium

Kommt man heute auf den Parkplatz der Universität Trier, findet man auf vielen Autos eine Aufschrift, die lautet: "Abi 2005" oder "Abi 2004". Die jungen Leute, die heutzutage an der Universität studieren, sind stolz auf das Erreichte, auf den gleichsam ersten Schritt auf dem Weg auf eine höhere Laufbahn. Warum sollen sie nicht stolz sein? Die Eltern oder Großeltern haben dem Abiturienten bei Beginn des Studiums ein Auto ermöglicht - wenn auch nur ein gebrauchtes, die jungen Leute müssen mobil sein. Sie fahren zwischen Uni, zu Hause und Studentenwohnung oft hin und her. Die Zeiten haben sich gewandelt. Mein Abitur liegt über 50 Jahre zurück - 1952. Die Umstände waren damals ganz andere. Ab 1943 besuchte ich das Gymnasium in Bitburg. Die Schule hatte Ende 1944 wegen Kriegseinwirkung ihre Tore geschlossen. Im Spätsommer 1945 wurde der Unterricht wieder aufgenommen. Die Räumlichkeiten des Gymnasiums waren noch gezeichnet vom Krieg: die Wände und der Fußboden voller Löcher von Granat- und Bombensplittern. Wie sollten wir aber zur Schule ins rund zehn Kilometer entfernte Bitburg kommen? Es fuhr noch keine Bahn, auch kein Bus. Übrig blieb nur, mit dem Fahrrad zur Schule zu fahren. Gott sei Dank hatte ich ein Fahrrad, das in Ordnung war. Beim Abzug einer Kompanie Soldaten, die zuletzt in unserem Dorf einquartiert war, blieb ein Fahrrad zurück. Ich war glücklich, denn dadurch konnte ich jeden Tag nach Bitburg kommen. Mitschüler waren nicht in solch einer guten Lage. Die Fahrräder, die sie noch besaßen, hatten eine schlechte Bereifung oder andere Mängel. Wir Schüler aus Alsdorf fuhren jeden Tag bei Wind und Wetter rund zwanzig Kilometer zur Schule und zurück. Jene aus Irrel, Minden und weiter brachten es täglich wohl auf dreißig bis vierzig Kilometer. Manche, die aus dem oberen Kreis Bitburg kamen, hatten noch weiter zu fahren. Im Winter, zumal bei Glatteis, kam es zu manchen Unfällen. Zudem: Die Straßen waren schlecht, voller Schlaglöcher, verursacht durch Granaten und Bombeneinschläge während des Kriegs. Zwar wurden am Ende der 40er-Jahre Omnibusse zwischen Irrel und Bitburg eingesetzt. Aber aus vielerlei Gründen durften wir Schüler in diesen nicht mitfahren. Das Fahrrad blieb die einzige Möglichkeit, zur Schule zu kommen.Anfang der Fünfziger fuhr die Eisenbahn wieder

Erst Anfang der 50er-Jahre war die Eisenbahnstrecke, die von Granaten und Bomben schwer zerstört war, von Trier-West über Ralingen, Irrel, Niederweis, Bitburg, Erdorf wieder befahrbar. Wir Schüler hatten dann darin unser eigenes Abteil. Meine Mitschüler und ich stiegen auf in den weiteren Klassen des Gymnasiums. 1948/49 war meine Klasse in der Untersekunda und damit stand das so genannte "Einjährige" an. Es war ein gewisser Schulabschluss für einen eventuellen Übergang in einen Beruf. Mancher Mitschüler aus meiner Klasse beendete das Gymnasium und wechselte zu einer Handwerkerlehre. Die Berufsaussichten waren in diesen Jahren nach dem Krieg gering. 1948 kündigte der Direktor unserer Klasse und den Schülern der damaligen Abiturklasse einen Berufsberater an. Dieser sollte uns über mögliche Berufe informieren. Der Berufsberater machte uns aber keine großen Hoffnungen. Manche aus unserer Klasse verließen dennoch die Schule, um einen Handwerkerberuf anzugehen. Nur noch eine kleine Schar von einem Dutzend Schülern blieb übrig und besuchte die Schule weiter. Die Schüler der damaligen Abiturientenklasse waren ehemalige Wehrmachtsangehörige, die teils über das normale Alter eines Abiturienten hinaus waren. Einige trugen Kleidung, die sie als ehemalige Wehrmachtsangehörige auswiesen: russische oder deutsche Soldatenstiefel oder Wehrmachtsuniformen- und Kleidungsstücke, die umgefärbt waren. Neue Kleidung konnte man damals noch nicht kaufen. Mündliche Abiturprüfung vor fremden Lehrern

Die damaligen Abiturienten unterzogen sich einem Zentralabitur, das heißt, die Abiturienten kamen an einem neutralen Ort zusammen, wo sie Abituraufgaben vorgelegt bekamen, die sie vorher nicht kannten, und wurden von fremden Lehrern mündlich geprüft. Später wurde diese Form nicht mehr verwendet. Kurz nach dem Abitur 1951 kam der Direktor zu uns in die Klasse und er eröffnete uns das "Ergebnis" unserer Vorgänger: von 25 Schülern schafften nur vier das Abitur. Uns wurde es bange. "Stellt euch für das nächste Jahr auf ein hartes Abitur ein!", warnte der Direktor. Die Lehrer taten im folgenden Schuljahr alles, um uns für diese Prüfung fit zu machen. Im Frühjahr 1952 konnten wir feiern. Von dem Dutzend Schülern blieb keiner zurück. Aber die Frage nach der Zukunft blieb offen. Die Menschen waren in den vergangenen Jahren fleißig gewesen. Es ging wirtschaftlich überall bergauf. Wer Arbeit suchte, konnte sie erhalten. Abiturienten, die ein Studium ergreifen wollten, standen alle Fächer zur Verfügung. Es gab keine Begrenzung für bestimmte Studiengänge. Dafür war Bafög jedoch ein Fremdwort. Die meisten Abiturienten, die ein Studium beginnen wollten, mussten selbst Geld verdienen. Dazu gehörte auch ich. Wenige Wochen nach dem Abitur lud der Direktor des Gymnasiums uns - die ehemaligen Abiturienten - zu einem Treffen ein. Eine Dame, die im Auftrag der amerikanischen EES (European Exchange Service) kam, bot uns Arbeit in einem amerikanischen Verkaufsladen namens "Post exchange" der Air Force auf dem Flughafen Bitburg an. Dort könnten wir Geld verdienen. Zwei Mitschüler und ich meldeten uns. Der Flughafen verfügte noch nicht über feste Gebäude. Die Soldaten lebten in Zelten. Uns diente eine Holzbaracke als Verkaufsladen. Wiederum musste das Fahrrad als Beförderungsmittel dienen. Es gab keine Werkskantine, in der man das Mittagessen hätte einnehmen können. Ein Butterbrot und eine Flasche Kaffee - über eine Thermoskanne verfügte man damals nicht - mussten reichen. Essen mussten wir möglichst schnell, denn eine feste Mittagspause gab es nicht. Es gab keine Gewerkschaft, die sich für eine geregelte Arbeitszeit einsetzte. Später siedelten wir mit unserem Laden in ein großes Steingebäude um, in dem nun viele Waren angeboten werden konnten. Zu unseren Kunden gehörten ab diesem Zeitpunkt nicht nur Soldaten, sondern auch deren Familien. Ein Getränkeladen eröffnete; ich wurde dort zum Manager ernannt. Der Flughafen wurde weiter und weiter ausgebaut. Das erste Gehalt waren 220 Deutsche Mark

Mehr und mehr Baufirmen wurden landauf und landab eröffnet. Wie stolz war ich, als ich mein erstes selbst verdientes Geld in Empfang nahm: 220 Mark. Zuletzt, nach fast zwei Jahren waren es 400 Mark. In den Jahren vorher musste der elterliche Geldbeutel für alles herhalten. Manches hätte man sich gerne gekauft, aber die Eltern konnten keine finanzielle Unterstützung bieten. Die Arbeit bei den Amerikanern machte mir große Freude: Man lernte viele Soldaten und deren Familien kennen, mit denen man gute Freundschaft pflegte. Sie luden mich ab und zu ein und besuchten mich auch zu Hause. Die amerikanischen Soldaten von einst fürchteten uns Deutsche als "Nazis", und wir fürchteten sie mit ihren Granaten und Angriffen durch ihre Jagdbomber. Im Jahre 1952 waren wir Freunde. In den letzten Monaten meiner Arbeit reifte mehr und mehr der Entschluss heran, Theologie zu studieren. Meine Lieblingsfächer am Gymnasium waren seinerzeit Mathematik und Physik, jedoch kreisten in der Obersekunda, Unter- und Oberprima meine Gedanken um die Frage: Wie kann ich mein Leben sinnvoll gestalten und den Menschen am meisten helfen? Ich schwankte in meinen Berufswünschen zwischen dem Studium der Medizin und der Theologie. Im Herbst 1953 meldete ich mich zum Eintritt ins Priesterseminar und zum Studium der Theologie an der Theologischen Fakultät Trier zum Wintersemester an. Heinrich Ewen, Katholischer Pfarrer aus Wittlich

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