Armutszeugnis Tafel

Trier · Kann man Lebensmitteltafeln überflüssig machen? Über diese Frage ist im Priesterseminar heftig, aber fair diskutiert worden. Die Katholische Arbeitnehmer Bewegung (KAB) Diözesanverband Trier hatte zu dem Meinungsaustausch eingeladen. Sozialforscher Stefan Selke prangert an, dass die neue "Armenspeisung" den Kampf gegen Armut behindere.

Trier. Frische Schnittchen, appetitlich angerichtet, laden zum Stehimbiss nach der Diskussion. Großzügig belegte Brötchen sind für viele Menschen in Deutschland ein weit entferntes Luxusgut. Sie gehen zu Tafeln, um mit ihren Kindern nicht zu hungern.
Die Anlaufstellen, wo noch essbare Lebensmittel, die von den Supermärkten ansonsten entsorgt würden, an Menschen verteilt werden, seien ein Zeichen des Unheils, kritisiert Günther Salz, ehrenamtlicher Vorsitzender der KAB Diözesanverband Trier. Denn durch die "Vertafelung" der Gesellschaft entledige sich der Sozialstaat seiner Verantwortung.
Auch Stefan Selke, Professor für Soziologie an der Hochschule Furtwangen, übt wissenschaftlich untermauerte Kritik: Das Grundrecht auf Existenzsicherung dürfe nicht auf die Armenspeisung der Wohlfahrtsverbände und der Gesellschaft verschoben werden, sagt der Sozialforscher.
Selke spricht von einer modernen Armenspeisung. Eine von ihm durchgeführte Untersuchung im Auftrag der nordrhein-westfälischen Caritas hatte unter anderem ergeben, dass die Mitarbeiter der Tafel nur selten wirkliche Verantwortung übernehmen würden, etwa indem sie politisch aktiv sind. "20 Jahre Tafeln sind kein Grund zum Feiern!", betont der Wissenschaftler.
Als Seismograf der Armut, des Mitfühlens und der Skrupellosigkeiten bezeichnet sie Anton Kobel von Verdi. Unternehmen seien Brandstifter und spielten dann Feuerwehr. Auf der einen Seite zahlten sie Hungerlöhne oder flüchteten aus Tarifverträgen und produzierten somit Armut. Auf der anderen Seite spendeten sie Lebensmittel, deren Entsorgungskosten sie zudem einsparten, um Armut zu lindern.
Ludwig Geissbauer, stellvertretender Ländervertreter der Tafelbewegung für Rheinland-Pfalz und das Saarland, rechtfertigt das bundesweite Angebot: "Dadurch dass wir uns engagieren, helfen wir Menschen, darunter auch Kindern, eine schwierige Zeit zu überbrücken." Am Ende der stets fairen Veranstaltung sind sich alle einig: "Der größte Erfolg wäre, Tafeln überflüssig zu machen."
Extra

Zur Trier Tafel gingen im Jahr 2011 rund 1400 Menschen mit einem sogenannten Tafelausweis, informiert Ilona Klein vom Sozialdienst Katholischer Frauen in Trier. Der Ausweis kann je nach Anzahl der Familienmitglieder für mehrere Personen gelten. 400 Kinder waren unter den Hilfsbedürftigen. kat

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