Baby Alexas Weihnachtsengel

TRIER. Eine Familie auf der Durchreise, plötzlich muss die Mutter ins Krankenhaus. In der Jugendherberge zurück bleiben ein völlig überforderter Vater ("Das macht sonst alles meine Frau!"), Töchterchen Susanna (2) und Alexa (6 Monate). "Zum Glück gibt es Weihnachtsengel", sagt der Vater heute: Eine Putzfrau der Herberge hatte sich um sein Baby gekümmert - und es gleich mit nach Hause genommen.

Nicht enden wollendes Säuglingsflehen dröhnt quälend durch die langen Jugendherbergsflure. Papa Axel Orlamünder aus Zöschen bei Leipzig ist "nur mal kurz" verschwunden - wie er sagt. "Der ist mit seiner anderen Tochter Einkaufen gegangen - das Kind war stundenlang allein", stellt dagegen Zimmermädchen Sylvia Urmes klar. Die junge Mutter ist erschüttert. So sehr, dass sie mit Einverständnis der Chefin "erweiterten Dienst" schiebt: Windeln statt Bettlaken wechseln, Fläschchen statt Zimmer machen, vorsingen statt Mob wringen - drei Tage lang. Am dritten Morgen ist die Mutter des Babys noch immer im Krankenhaus. Nach akuter Gallenentzündung und Notoperation weiß niemand, wann sie entlassen wird. "Die Kleine würde ich auch noch mitnehmen", sagt Frau Urmes ("wie man das so sagt") zu einer Kollegin, weil Alexa so lieb strahlt. Ob sie das wirklich machen würde, habe der Mann sofort ernst gefragt, erinnert sich die unfreiwillige Tagesmutter. "Baff - wer rechnet denn mit so was", kommentiert sie kopfschüttelnd. Letztendlich habe er sich nicht mal nach ihrem Namen, einer Adresse oder Telefonnummer erkundigt. "Mama, wir haben ein Kind, hat die Sylvia am Telefon gesagt", berichtet deren Mutter Renee Urmes. "Die hat gesehen, da ist ein kleiner Mensch in Not. Da fackelt sie nicht lange." "Leihoma" Urmes hält den "kleinen Menschen" stolz im Arm. Alexa schaut mit großen Haselnuss-Augen aus dem geliehenen grün-roten Strampler in die fremde Küche und ist ganz ruhig. Seit drei Tagen wohnt die Kleine nun schon in ihrer Gastfamilie - mit grünem Licht von Jugendamt und Polizei. "Sie schläft so friedlich, dass ich kein Auge zu kriege - und immer gucke, ob sie auch noch atmet", erzählt Tanja Laude, die Schwester der hilfsbereiten Reinemachefrau, die als "Leihmutti" einspringt. Sie ist Hausfrau und anerkannte Pflegemutter. Das allerdings weiß Alexas Vater gar nicht. Fläschchen, Schnuller Mütze - alles fehlte

"Das blanke Kind mit fünf Pampers und einer halben Tüte Milchpulver", habe der 43-Jährige ihr gegeben, sagt Sylvia Urmes. Zum Glück sei noch Kleidung von ihrer eigenen Tochter da gewesen, und auch ihre Chefs, die Jugendherbergseltern, hätten ausgeholfen. Trotzdem: "Wir mussten erstmal los: Fläschchen, Essen, Mütze, Schnuller - alles hat gefehlt", ihr Mann habe erst beim Abholen von der Arbeit live von seiner neuen Vaterrolle erfahren, erinnert sich Tanja Laude an die ersten Stunden als unverhoffte Aushilfsmama. Zehn Anrufe bei der eigenen Mutter später hätten auch das erste Fläschchenmachen und Babysäubern ihres Lebens geklappt, beschreibt die 31-Jährige ihren Kickstart in Sachen Säuglingspflege. "Wir mussten einfach helfen", befindet Renee Urmes. Selbst siebenfache Mutter und elffache Großmutter, ist sie sich sicher: "Der Vater war schlicht überfordert. Dem Baby geht es ansonsten sehr gut." Aufgeweckt, rund und rosig liegt Klein-Alexa mittlerweile wieder im Arm ihrer leiblichen Mutter, Olga Naidu Chaucanes, die eigentlich zur Arbeitssuche mit der Familie in die Region gekommen war. Die Kolumbianerin fiel bei der Rückkehr aus dem Luxemburger Krankenhaus aus allen Wolken: "Ich dachte die ganze Zeit, jemand passt hier in der Herberge auf Alexa auf, weil der Besuchsweg so weit war", beteuert die 40-Jährige - auf Spanisch. "Was meint sie?", fragt ihr Lebensgefährte, denn ihre Sprache versteht er so wenig, wie sie die seine. "Eine vorweihnachtliche Fee" jedenfalls sei "die Sylvia", sagt der Reisebusfahrer zur spontanen Hilfeleistung von Sylvia Urmes. "So freundlich, so lieb" sei das gewesen, staunt er immer noch. "Wir danken dieser besonderen Frau, dass sie uns Unbekannten so geholfen hat." Und Alexas Mutter hält ihr Kind ganz fest - als wolle sie es nie wieder loslassen.

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