Behörden müssen Bücher horten

Trier/Hermeskeil · Das neue Schulbuchausleihsystem erweist sich auch im Jahr nach der Einführung als wahres Bürokratiemonster. Die Kosten übersteigen bei Stadt- und Kreisverwaltung den Landeszuschuss um ein Vielfaches. Dass die Bücher erstmals auch zurückgenommen werden müssen, stellt die Schulträger vor neue ungelöste Fragen.

Die Nerven in den Schulämtern lagen im vorigen Jahr blank, als die von der Landesregierung beschlossene Schulbuchausleihe startete: Zehntausende Bücher mussten bestellt und elektronisch katalogisiert, für jeden Schüler Buchpakete zusammengestellt werden. Die Stadt Trier mietete für die Lagerung der Büchermassen eine Lagerhalle an und beauftragte eine Firma mit dem Sortieren und Verteilen. Die Kreisverwaltung setzte auf die Unterstützung von Lehrern, Schulsekretärinnen und auch Schülern. "Es ist alles außerordentlich umständlich, zeitaufwendig und nervenaufreibend", stöhnte Triers Schuldezernentin Angelika Birk damals. Nur unter allergrößten Anstrengungen schafften es die Behörden, dass in den ersten Schultagen alle Kinder ihre Bücher in Händen hielten. Dabei hatten sich nur knapp 50 Prozent der Eltern für das neue Ausleihsystem angemeldet.

In diesem Jahr stehen die Schulträger vor einer neuen Herausforderung: Zusätzlich zur Mittelstufe können ab dem Schuljahr 2011/12 nämlich nicht nur alle Oberstufen-, Fachober- und Berufsschüler an dem Ausleihsystem teilnehmen - was die Verwaltung von Zehntausenden zusätzlichen Büchern bedeutet. Erstmals müssen die im vorigen Jahr ausgeliehenen Lehrmittel zudem zurückgenommen werden. Völlig offen ist bei Kreis und Stadt noch, wer das übernehmen soll: "Wir müssen mit unseren Schulen sprechen, um zu sehen, wie wir das regeln können", erklärt Thomas Müller. "An einigen Schulen könnte es auch zu Platzproblemen bei der Lagerung der Bücher kommen", schätzt der Pressesprecher der Kreisverwaltung.

Jedes Buch muss auf Schäden kontrolliert werden



Die Trierer Stadtverwaltung will die Organisationsmammutaufgabe als Dienstleistung ausschreiben. Dabei müssen die Bücher nicht nur zurückgenommen werden. Jedes einzelne Exemplar muss auf Beschädigunge kontrolliert werden. Gegebenenfalls müssen die Eltern Schadensersatz leisten - der ebenfalls von den Schulträgern eingetrieben werden soll. Ab wie vielen Eselsohren, eingerissenen Seiten oder Flecken der Buchpreis ersetzt werden muss, sollen die Schulträger "im konkreten Fall eigenverantwortlich" entscheiden, heißt es in den Richtlinien des Bildungsministeriums.

"Wir wissen auch noch nicht, wie und wo wir kleinere Schäden vermerken sollen, damit diese nicht etwa dem Schüler, der das Buch anschließend ausleiht, in die Schuhe geschoben werden können", sagt Kreissprecher Müller. Eine Möglichkeit könnte sein, die Bücher mit Aufklebern und entsprechenden Vermerken zu versehen. "Für die Schulen und alle Beteiligten bedeutet das Verfahren einen ganz erheblichen Mehraufwand", sagt Müller. Zusätzliches Personal sei bislang dafür nicht eingeplant.

Doch nicht nur der Mehraufwand bereitet den Kommunen Kummer: Das Geld, das das Land für die Organisation des neuen Ausleihsystems zur Verfügung gestellt hat, reicht hinten und vorne nicht. Pro teilnehmendem Schüler, der neu in das Ausleihsystem einsteigt, zahlt das Land neun Euro an die Schulträger. Für die Stadt Trier betrug dieser Landeszuschuss insgesamt 25 119 Euro. "Die Kosten für Personal, Miete für die Lagerhalle und so weiter beliefen sich allerdings auf 130 000 Euro", berichtet Rathauspressesprecher Ralf Frühauf. Beim Landkreis, bei dem Lehrer und Schüler beim Sortieren und Verteilen aushalfen, fällt die Differenz geringer aus: Dem Landeszuschuss von rund 28 000 Euro stehen Verwaltungskosten von rund 60 000 Euro gegenüber. "Auf dieser Differenz dürfen die Kommunen nicht sitzenbleiben!", erklärt Landrat Günther Schartz. Die Stadtverwaltung hatte schon im vorigen Jahr Ausgleichzahlungen verlangt.

Doch das Land ersetzt den Kommunen die durch das neue Gesetz aufgebürdeten Mehrkosten nicht: "Die Zuschusshöhe ist mit den Schulträgern fest vereinbart worden, nachträgliche Rückzahlungen sind nicht vorgesehen", sagt Wolf-Jürgen Karle, Sprecher des Mainzer Bildungsministeriums. Erst zum Schuljahr 2012/13 sei gegebenenfalls eine "Anpassung an die tatsächlichen Kosten bei wirtschaftlicher Aufgabenwahrnehmung" möglich, erklärt Ministeriumssprecher Karle.

Meinung

Bürokratisches Monster

Als großen Erfolg kann die Landesregierung die neue Schulbuchausleihe nicht verbuchen: Dass nur 50 Prozent aller Eltern mitmachen, zeugt nicht von der besten Akzeptanz. Zudem stellt das komplizierte System die Schulämter vor riesige organisatorische Probleme. Und die Kommunen bleiben wohl mal wieder auf dem Löwenanteil der Kosten sitzen für etwas, das die Mainzer sich stolz auf ihre Fahnen schreiben wollten. Stattdessen hat die Landes-SPD ein Bürokratiemonster neu erschaffen, mit dem (zumindest noch) keiner so recht zufrieden ist. Vielleicht wäre es besser gewesen, das alte Schulbuchsystem auszuweiten: Früher erhielten Eltern Gutscheine, die vom Buchhandel angenommen wurden. Dass die Gutscheine bis zum Ende der Sommerferien beantragt werden konnten, machte die Buchbestellung bei Schulwechseln oder Umzügen einfacher. Wichtiger, als die Angelegenheit zu verstaatlichen, wäre es gewesen, die Einkommensgrenze anzuheben. Denn die ist mit 30 000 Euro bei zwei Kindern viel zu gering bemessen, als das man von einer wirklichen Lernmittelfreiheit sprechen könnte. c.wolff@volksfreund.de

Extra
An der Schulbuchausleihe teilnehmen dürfen Schüler der Klassen 5 bis 13 sowie von Fachoberschulen und Berufsschulen. Die Grundschulen kommen erst im kommenden Jahr dazu. Die Einkommensgrenze, bis zu der Eltern für ihre Kinder kostenlos Schulbücher leihen können, ist variabel. Bei einem Paar mit einem Kind darf das Jahreseinkommen 26 500 Euro brutto nicht übersteigen (Alleinerziehende: 22 750 Euro). Für jedes weitere Kind erhöhen sich diese Einkommensgrenzen um 3750 Euro. Bei der kostenlosen Ausleihe werden den Schülern außer den Büchern auch alle Lernmaterialien wie Arbeitshefte oder Grammatiken zur Verfügung gestellt. Familien, die mehr verdienen, können auch an dem Ausleihsystem teilnehmen, müssen für die Bücher allerdings ein Drittel des Ladenpreises als Leihgebühr für ein Jahr zahlen. Bücher, die während der ganzen Schulzeit genutzt werden (Atlanten, Bibeln) sowie Arbeits- und Übungshefte müssen komplett selbst gezahlt werden. Alle müssen sich zur Teilnahme an der Schulbuchausleihe anmelden: Stichtag für die kostenlose Ausleihe ist am Dienstag, 15. März. Das entsprechende Formular liegt an den Schulen aus. Wer die Einkommensgrenze überschreitet und am kostenpflichtigen Ausleihsystem teilnehmen will, muss sich zwingend im Internet unter http://lmf-online.rlp.de zwischen dem 16. Mai und dem 7. Juni dazu anmelden. Dem Land muss dann eine Einzugsermächtigung erteilt werden für das Abbuchen der Leihgebühr von einem Konto. Für Bücher, die ein Jahr genutzt werden, ist ein Drittel des Ladenpreises fällig; für Bücher, die zwei Jahre genutzt werden, fällt jährlich ein Sechstel des Ladenpreises als Leihgebühr an. Die Schulträger stellen die Bücher für jeden einzelnen Schüler zusammen, ausgegeben werden diese Buchpakete nach den Sommerferien in den Schulen. Per Computer-Strichcode-System wird jedes Buch exakt einem einzelnen Schüler zugeordnet. Die Entgegennahme müssen die Schüler quittieren. Am Ende des Schuljahres müssen die Bücher zurückgegeben werden. Bei Beschädigungen kann der Schulträger Schadensersatz verlangen. Infos: http://lmf-online.rlp.de (woc)

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