Garten gestalten Bitte nicht schneiden: Verblühen erwünscht!

Trier/Aalten · Haben Sie die Pflanzengemälde im öffentlichen Grün bemerkt? Sie sehen nicht nur anders aus als früher, sie werden auch anders gesehen. Über die Ästhetik der Vergänglichkeit macht sich unsere Gartenkolumnistin Gedanken und hat einen Gartenmeister aufgespürt, dessen Prärie-Anpflanzungen den neuen Stil verkörpern.

Die letzten Blüten der Prachtkerze legen sich wie ein Feuerwerk zum Saisonfinale über Strukturstauden wie Rutenhirse und Silberraute in der Prärie-Staudenmischpflanzung an der Zurmaiener Straße in Trier.

Die letzten Blüten der Prachtkerze legen sich wie ein Feuerwerk zum Saisonfinale über Strukturstauden wie Rutenhirse und Silberraute in der Prärie-Staudenmischpflanzung an der Zurmaiener Straße in Trier.

Foto: Kathrin Hofmeister

Ist das Kunst oder kann das weg? Es ist dieser fragende Ausdruck, der Passanten bisweilen im Gesicht steht, wenn sie in der Zurmaiener Straße in Trier an den in Cortenstahl gerahmten Prärie-Staudenmischungen vorbeikommen. Wie avantgardistische Pflanzenbilder stehen sie da: Zwischen schwarzbraun gewordenen Frucht- und Samenständen tanzten zuletzt Prachtkerzenblüten. Hinfälliges Laub sackt in sich zusammen. Nur die Edelrauten tuschen noch etwas Silberglanz neben die Erdfarben. Müsste das nicht längst runtergeschnitten werden? Auf keinen Fall, lehrt die aktuelle Pflanzenverwendung. Wie in der zeitgenössischen Kunst hat sich in der Welt der Pflanzengestaltung etwas getan –, und damit auch an der Art Pflanzen zu betrachten.

Lange verkörperten Blumen Opulenz und pralles Leben. Die Blüte stand im Mittelpunkt und mit ihr die Farbe. Doch eine Pflanze ist viel mehr als Blüte. Ihr Habitus kann noch im Vergehen seinen Reiz haben. Die vielfältige Ausgestaltung der Form tritt deutlicher zu Tage. Struktur und Linienführung rücken in den Fokus.

Man könnte es mit Ölmalerei und Graphitzeichnung vergleichen. Beides hat seine Faszination und Berechtigung. Das prächtige Ölgemälde überwältigt im Gesamten, während man in der Zeichnung nach und nach unbeachtete Details aufspürt, ruft die Staudenmischpflanzung im herbst-winterlichen Jahreslauf andere Empfindungen hervor als der Sommerflor.

TV-Gartenkolumnistin Kathrin Hofmeister hat Gärtnermeister Laurens Lageschaar in seinem Betrieb im niederländischen Aalten besucht. Er ist Spezialist für das neue Pflanzen.

TV-Gartenkolumnistin Kathrin Hofmeister hat Gärtnermeister Laurens Lageschaar in seinem Betrieb im niederländischen Aalten besucht. Er ist Spezialist für das neue Pflanzen.

Foto: Kathrin Hofmeister

Prärie-Mischungen sind für diese Art des atmosphärischen Erlebens besonders geeignet. Das liegt daran, dass die oft subtilen Farben der Präriepflanzen durch kontrastreiche Texturen ergänzt und gesteigert werden. In der immer blütenärmer werdenden Jahreszeit überdauern sie in einer gerüstartigen Frucht- und Samenstand-Optik, die neue gestalterische Möglichkeiten eröffnet. Stauden die stabil stehen bleiben wie Brandkraut und Gräser bieten dem Raureif eine Leinwand. Die Ästhetik der Vergänglichkeit bekommt ein Gesicht.

 Im Schaugarten der niederländischen Staudengärtnerei Lageschaar sind die Prärie-Garten-Konzepte in einzelnen Kompartimenten aufgepflanzt, so dass man sich  ein Bild davon machen kann.

Im Schaugarten der niederländischen Staudengärtnerei Lageschaar sind die Prärie-Garten-Konzepte in einzelnen Kompartimenten aufgepflanzt, so dass man sich ein Bild davon machen kann.

Foto: Kathrin Hofmeister

Einer, der das Konzept der Staudenmischpflanzung perfektioniert hat, ist der Niederländer Laurens Lageschaar. Im September habe ich ihn in seiner Staudengärtnerei im gelderländischen Aalten an der deutschen Grenze zu Nordrhein-Westfalen besucht und mir seine Präriegarten-Serie im betriebseigenen Schaugarten erklären lassen.

 Die Samenstände des Purpur-Sonnenhuts entfalten zwischen Silberraute und Rutenhirsen-Gras ihre eigene Schönheit.

Die Samenstände des Purpur-Sonnenhuts entfalten zwischen Silberraute und Rutenhirsen-Gras ihre eigene Schönheit.

Foto: Kathrin Hofmeister

Prominent waren Lageschaars Prärie-Anpflanzungen wegen Corona in die Medien gekommen. „2018 haben wir am Catshuis, dem Wohnsitz des niederländischen Ministerpräsidenten in Den Haag einen Prärie-Garten angelegt“, erzählt Laurens Lageschaar. Zu Beginn der Pandemie, als die ganze Welt verunsichert war und von Woche zu Woche über die aktuell zu ergreifenden Maßnahmen beratschlagte, trat Mark Rutte jeden Sonntag vor die Presse und verkündete vor dem Empfangsgebäude der Regierung den Stand der Dinge. Damit waren die Prärie-Staudenmischungen im Bild und das Lageschaar-Team freute sich „oh guck mal, unser Präriegarten.“

Inwieweit die Medienpräsenz die Wertschätzung für die neue Gartengestaltung gesteigert hat, bleibt Spekulation. Tatsache ist, dass Pflanzungen im Präriestil den Zeitgeschmack treffen. Einer der Ersten, der Pflanzen aus den Prärien Nordamerikas einsetzte, war Lageschaars Landsmann Henk Gerritsen. Mit Star-Gartenarchitekt und Staudenzüchter Piet Oudolf verfasste er bahnbrechende Gartenbücher über einen neuen naturnahen Stil, der seine Inspiration aus dem Vorbild amerikanischer Prärien schöpft. Mit der Jahrtausendwende kamen Präriepflanzungen in Europa richtig in Mode. In Deutschland hatten erste Anlagen im Hermannshof in Weinheim, im Westfalenpark Dortmund und dem Berggarten in Hannover den Weg geebnet. Ideal für sonnige Standorte und wegen ihrer tiefreichenden Wurzeln von Natur aus angepasst an Trockenperioden, reagieren die stresstoleranten Arten auf die Herausforderungen des Klimawandels und haben ein neues Kapitel im Erleben von Pflanzungen aufgeschlagen. Mittlerweile benutzt man den Begriff Präriepflanzung häufig für jeglichen naturalistischen Verwendungsstil mit einem hohen Anteil von Gräsern.

  Gräser wie silberweißes Chinaschilf und flirrende Rutenhirse verweben Zwischentöne von lavendelfarbener Pyrenäen-Aster, sulphurgelbem Mädchenauge und karminrosafarbener Fetthenne zu einem wiesenartigen Bild.

Gräser wie silberweißes Chinaschilf und flirrende Rutenhirse verweben Zwischentöne von lavendelfarbener Pyrenäen-Aster, sulphurgelbem Mädchenauge und karminrosafarbener Fetthenne zu einem wiesenartigen Bild.

Foto: Kathrin Hofmeister

„Wenn man keine Gräser verwendet, ist es ein bisschen steif“, findet Laurens Lageschaar. Die Weichzeichner haben das Talent, Pflanzungen natürlich wirken zu lassen. Jede Form von Gras weckt die Assoziation an eine Wiese. Durch ihren Halmwurf verweben Gräser in einer Blumenwiese Blüten miteinander. Das Schwingende verbindet. In gleicher Weise strukturieren sie die Pflanzung. Für ein schönes Herbst- und Winterbild sind sie unerlässlich.

Prärie-Mischungen fangen ein Stück Wildnis ein und geben uns die Freiheit, die Dynamik bewusst mitzuerleben.

Prärie-Mischungen fangen ein Stück Wildnis ein und geben uns die Freiheit, die Dynamik bewusst mitzuerleben.

Foto: Kathrin Hofmeister

Die starke Präsenz im fortgeschrittenen Jahreslauf liegt bei Prärie-Aarten am natürlichen Wachstumsrhythmus. Im Unterschied zu Mischpflanzungen, die im späten Frühling und Frühsommer auftrumpfen, eine Nachblüte im Spätsommer bereithalten und danach oft heruntergeschnitten werden, starten Präriestauden später in die Saison. Man spricht von sogenannten „warm season plants“. Die Pflanzen der warmen Jahreszeit bauen sich erst mit den steigenden Temperaturen im Sommer so richtig auf. Sie blühen verhältnismäßig spät, aber über einen langen Zeitraum und überraschen im Anschluss mit stabilen Winterstrukturen. Manche Gartengestalter sagen mit den Prärie-Pflanzungen lerne man, natürliche Rhythmen wahrzunehmen. Das Vergehen wird als Teil eines immerwährenden Kreislaufs akzeptiert. Aufs Natürlichste erleichtert das Ineinander-über-Gehen von Blüten in Früchte und Samen genauso wie das Verblassen der Blattfarben und der Rückbau üppiger Pflanzenmasse zu gerüstartigen Strukturen das eigene Verabschieden von der Saison. Der Übergang von einer Jahreszeit in die andere wird erfahrbar. Wenn das keine Kunst ist?!

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