Besucher aus Gips warten auf Weiterreise - Künstlerpaar stellt 106 kleine Figuren zum Mitnehmen auf

Trier · Visitors (Besucher) heißen die 106 Gipsfiguren, die zwei Künstler am Donnerstag in Trier aufgestellt haben. Mitnehmen und weitergeben ist erwünscht. Die Standorte werden im Internet dokumentiert. Sogar in den Weltraum haben es die Visitors geschafft.

Plötzlich sind sie da: acht kleine weiße Häufchen in einer Nische im Gemäuer der Porta Nigra. Sie sehen wie Schnee aus, sind aber aus Gips. Sie heißen Visitors, auf deutsch Besucher. Ragnhild Becker und Gunar Seitz haben insgesamt 106 solcher kleiner klumpenhafter Figuren in Trier aufgestellt. Vor der Porta Nigra, vor dem Dom, bei den Thermen und auf der Römerbrücke. Die Kunstobjekte dürfen aber nicht lange verweilen. Hinaus in die weite Welt sollen sie.

Vor dem Dreikönigenhaus stellen Becker und Seitz mehrere Visitors auf einen Stromkasten. "Guck mal, was ist das?", fragt ein Mädchen ganz laut. Eine vorbeikommende Klasse aus der Grundschule Wincheringen ist begeistert von den kleinen Figuren. "Das sieht aus, als wäre etwas übergelaufen. Man kann es anmalen", sagt Neele. "Ich nehme eine Figur für Papa mit, er wird sie nach Luxemburg bringen", sagt Fabienne.

Die Kinder haben gleich den Sinn der Aktion verstanden: weitergeben und gestalten. Jede Figur hat ein Etikett, ist durchnummeriert sowie mit E-Mail- und Internet-Adresse versehen. Denn Seitz und Becker wollen erfahren, was ihre Visitors erleben und wohin sie reisen.

Auf der Internetseite www.visitor-aktion.de ist aufgelistet, wo überall Gips-Besucher sind. "Inzwischen haben wir eine echte Fan-Gemeinde", sagt Becker. "Wir bekommen sehr viele Rückmeldungen", sagt Seitz. "Zum Beispiel hat ein Mann eine Tour in Schottland gemacht und in jedem Whiskey-Pub hat er seinen Visitor fotografiert." Jeder kann die Figuren mitnehmen, sie kosten ja nichts. "Wir setzen Kunst frei und wollen sehen, was die Menschen damit machen", sagt Seitz.

An der Nordseeküste, in Russland, in der Türkei, auf thailändischen Hausaltären: Mehr als 15 600 Stück gibt es bisher insgesamt. Seit elf Jahren reist das Künstlerpaar durch Europa und stellt die Visitors auf.
Die Figuren sind durch Zufall entstanden: "Eigentlich waren sie die Abfallhäufchen eines größeren Werkes", erzählt Seitz. Doch Freunde haben sich für sie begeistert. Das hat die Fantasie der Künstler angekurbelt. 2001 haben die beiden den ersten Visitor in der Schweiz auf einem Felshang neben einem Wasserfall aufgestellt.
Von den Schweizer Bergen ging es noch höher hinaus: Visitors umkreisen sogar die Erde. An Bord der Satelliten TerraSAR-X und TandDEM-X überfliegen ein Visitor aus Aluminiumlegierung und sein digital animiertes Abbild den Blauen Planeten.Extra

Der nördlichste Visitor befindet sich am Nordpol. Der südlichste Visitor ist in der Antarktis. Der höchste Visitor auf der Erdoberfläche genießt die frische Luft auf Chimborazo in 5000 Metern Höhe in den ecuadorianischen Anden. Der tiefste befindet sich im Toten Meer 400 Meter unter dem Meeresspiegel. Der schnellste rast mit 7,5 Kilometern pro Sekunde durch den Weltraum. Der nasseste Visitor schwimmt im Mittelmeer südlich von Korsika. bc

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