Das Besondere liegt im Alltäglichen

Trier-Tarforst · Aus dem ehemaligen verträumten Bauerndorf Tarforst ist in den vergangenen Jahrzehnten seit der Eingemeindung und durch die ständig wachsenden Neubaugebiete drum herum ein blühender, moderner, vielschichtiger Stadtteil geworden. Bei ihrer Stadtteiltour haben Ortsvorsteher Werner Gorges und TV-Redakteurin Christiane Wolff diejenigen getroffen, die eine Nachbarschaft ausmachen: ganz normale, besondere Menschen.

Trier-Tarforst. Kein Trierer Stadtteil scheint so heterogen wie Tarforst: Vom Vollerwerbslandwirt Maternus Dietzen mit seinem Benninger Hof über die Winzerfamilie Gehlen, die Alteingesessenen im alten Dorf, die zugezogenen Familien in den Neubaugebieten Trimmelter Hof und Trimmelter Berg, das wimmelige Einkaufszentrum mit dem benachbarten Studentenwohnheim bis zum Campus der Universität reicht die Spanne. Ein Spaziergang durch Alt-Tarforst mit 12 Begegnungen zeigt, dass das dörfliche Leben trotz der vielen Änderungen in den vergangenen Jahrzehnten intakt ist.

I.
"Willkommen in Tarfost" grüßt die große Holztafel am Eingang von Alt-Tarforst. Bei unserer Stadtteiltour mit Ortsvorsteher Werner Gorges lassen wir die Wohnstraßen allerdings zunächst rechts liegen. Denn links vom Ortseingang wartet der Höhenstadtteil mit der wohl größten und schönsten Sportanlage Triers auf: Ein neuer Kunstrasenplatz mit Basketballfeld auf der anderen Seite der Kohlenstraße, diesseits, in Steinwurfweite entfernt, Hallen für Tennis, Badminton und Squash sowie der zweite Fußballplatz des Sportvereins Tarforst. 2013 wurde die 180 000 Euro teure Naturrasenanlage eröffnet, nur rund 28 000 Euro kamen als Zuschuss von Bund und Land, den Rest hat der Verein selbst gestemmt. "Rund 30 000 Euro Schulden haben wir noch bei der Bank", sagt Gorges. Durch Veranstaltungen und Spenden soll der noch ausstehende Betrag reinkommen.

II.
Am Clubhaus des Vereins startet auch die erste und bislang einzige Trierer Traumschleife. Die Beschilderung des hochoffiziell zertifizierten Premiumrundwanderwegs ist schon fertig, noch in diesem Monat soll die Eröffnung sein. Die Galgenkopftour bietet auf gut 15 Kilometern Wiesen, Wald und eindrucksvolle Weitsichten auf die Berge von Eifel und Hunsrück sowie ins Mosel- und Ruwertal.
III.
Auf einem schmalen Asphaltweg geht es entlang des Nonnenbungerts weiter. Einst wuchsen dort Weinreben, heute sind es Dutzende Apfelbäume. Die Äste hängen voll, es scheint ein gutes Viezjahr zu werden. Anne Schulz ist auf dem Weg mit ihren beiden schwarzen Labradoren Billy und Snooky unterwegs. "Ich schätze es sehr an unserem Stadtteil, schnell im Grünen zu sein", sagt die 32-Jährige. Etliche Herrchen und Frauchen sind mit ihren Lieblingen täglich rund um den Höhenstadtteil unterwegs. Konflikte bleiben da nicht aus - zum Beispiel, wenn die Hunde aus den Brunnen, an denen auch Kinder spielen, trinken. Die Tarforster setzen auf Kommunikation: Per extra entwickeltem Flyer werden die Hundehalter um Rücksicht gebeten. "Die Probleme sind schon weniger geworden", sagt Ortsvorsteher Gorges.

IV.
Für den Bau der Universität mussten die Eltern von Wilhelm Gehlen Mitte der 1970er ihre Felder und Wiesen abgeben. Waren die Weinberge der Familie bis dato ein Zusatzgeschäft, sattelten die Landwirte komplett um und wurden Vollerwerbswinzer - die einzigen in Tarforst. "Aber unsere 4,5 Hektar Weinbergsflächen liegen in Olewig", sagt Wilhelm Gehlen. Die Weinstube, die vor fast 40 Jahren dazu kam, ist in der ganzen Stadt bekannt: Im alten Gewölbekeller von 1893 und auf der hellen Sonnenterrasse gibt's moselländische Küche und hauseigenen Wein.

V.
Am Andreasbrunnen in der Tarforster Straße sitzt Marcellus Gehlen in der Sonne. "Hätten Sie besser mal einen Eimer Farbe mitgebracht statt Stift und Block", ruft er der TV-Reporterin zu. "Und der Andreasbrunnen müsste von innen auch mal neu verputzt werden", setzt er nach. Tatsächlich blättert die Farbe der Sitzbank in großen Fetzen ab, und auch das Becken des vor zehn Jahren sanierten Andreasbrunnens könnte nachgearbeitet werden. 15 Jahre lang war Marcellus Gehlen Ortsvorsteher von Tarforst und redet heute noch gerne mit, wenn es darum geht, was im Ort noch alles gemacht werden müsste. "Aber grundsätzlich ist alles an Tarforst schön, die viele Natur, die gute Luft, einfach alles", versichert der 85-Jährige.
Sein eigenes Haus strahlt auf der gegenüberliegenden Straßenseite in bestem Zustand: 1585 gebaut, ist es das älteste Gebäude der Trierer Höhenstadtteile und seit 1800 im Besitz der Familie.

VI.
Auf ihren letzten Metern steigt die Tarforster Straße steil an. Ein Kreuzweg führt mit 13 großen Sandsteinskulpturen aus dem Stadtteil heraus immer bergan bis zur Kreuzwegkapelle. "Die Stationen müssten auch mal wieder freigeschnitten werden", sagt Ex-Ortsvorsteher Marcellus Gehlen. Ursprünglich standen die Skulpturen am Trierer Petrisberg, in den 1930ern holte die Marianische Bürgersodalität - deren Ehrenpräfekt Gehlen ist - die Stationen auf die Tarforster Höhe.

VII.
Weiter geht es durch die Straße Im Sarkberg. Der Blick öffnet sich weit über den Uni-Campus, Mariahof und bis Euren. Die Hanglage macht den Garten von Franz und Luzia Weber steil. Die Birnbäumchen hängen voll von kleinen, noch festen Birnen. Die Jostabeeren sind dagegen schon reif. "Viel Arbeit, so ein Garten, und wenn nix kommt, kommt's Unkraut", scherzt Franz Weber.

VIII.
Auch Johannes Laux hat draußen immer was zu tun. In seinem alten Bauerngarten liegt das Summen der Hummeln in der Luft. Früher hatte er Schweine, Rinder, Getreide. Und dazu - für 36,5 Jahre - den Job als Hausmeister an der Universität. Der 72-Jährige ist seit Langem in Rente und die Landwirtschaft nur noch sein Hobby. Den üppigen Stauden- und Nutzgarten mit Beerensträuchern, Zwiebeln, Salat, Kapuzinerkresse, Kartoffeln und Bohnen hält Ehefrau Irmgard in Schuss. Um die sieben Ponys auf der Wiese nebenan kümmert sich Johannes. Vom Gras fast zugewuchert, zeugt eine alte, rostige Brühmühle allerdings noch von den ehemaligen Zeiten, als im Hof noch geschlachtet wurde: In dem großen Metallrohr wurden die toten Schweine mit heißem Wasser überbrüht, um ihre Schwarte von den Borsten zu befreien.

IX.
Am Sarkbrunnen haben die Tarforster Frauen bis Mitte der 1960er Jahre am frühen Morgen ihre Wäsche gewaschen, bevor das Vieh aus den Bauernhöfen ringsum zum Trinken kam. "Daran kann ich mich noch gut erinnern", sagt ein Anwohner. "Um so mehr schmerzt es, wenn man sieht, was heute draus geworden ist."
Ein schöner Anblick sind die völlig veralgten Becken und das dürftig aus dem Brunnenrohr plätschernde Rinnsal tatsächlich nicht. Das Wasser stammt aus einer Quelle bei Irsch. Bei der Neuverlegung der Leitung vor etlichen Jahren muss allerdings etwas nicht optimal gelaufen sein. "Das Rohrsystem hat seitdem wohl zu wenig Gefälle", schätzt Ortsvorsteher Gorges. Der alte Brunnen scheint zwischen den alten Tarforstern und dem für den Erhalt der Wasserstelle zuständigen städtischen Grünflächenamt zu einem kleinen Zankapfel avanciert zu sein. "Da müsste mal jemand ran mit Sachverstand", ätzt einer der Anwohner - der seinen Namen allerdings lieber nicht in der Zeitung lesen möchte.

X.
Vor ihrem Haus in der An dreasstraße ist Gisela Heuken damit beschäftigt, frische Schafwolle fürs Spinnrad und zum Weben vorzubereiten. Die Wolle stammt von einem Schäfer aus Möhn in der Eifel, der seine Tiere wenige Tage zuvor geschoren hat. Die zusammenhängenden Wollstücke von Rücken-, Schenkel-und Seitenpartien der Schafe hat Gisela Heuken mit Wasser aus dem Gartenschlauch gründlich abgespritzt und gewaschen. Anschließend werden die Vliese über Wäscheständern und Hecken zum Trocknen ausgebreitet. "Meine Nachbarin spinnt daraus Wolle zum Stricken, und ich webe kleine Teppiche und Läufer", sagt die 72-Jährige.

XI.
KGV und KKV - unter diesen beiden Kürzeln verbergen sich zwei Tarforster Vereine, die beide eigentlich keine richtigen Vereine sind und die beide den gleichen Zweck verfolgen: Weihnachtskrippen gucken, oder eben - laut Duden umgangsprachlich - kucken. Der Krippen-Kuck-Verein (KKV) ist dabei der ältere der beiden, der KGV hat sich erst vor 12 Jahren gegründet. "Nach den Weihnachtstagen bis etwa Mitte Januar, immer am Wochenende, besuchen sich unsere sechs Mitgliedsfamilien, um gegenseitig ihre Weihnachtskrippen zu begutachten", erzählt Irmtrud Britten vom KGV. Dazu werden Weihnachtslieder gesungen, die Kucker singen eine gute Stunde, die Gucker "nur" etwa 20 Minuten. Es gibt was zu essen und - natürlich - zu trinken. "Wir haben uns immer was zu erzählen", sagt Irmtrud Britten. "Die Treffen sind immer wunderschön und gehören fest zu unserem Festtagsprogramm", bestätigt Krippen-Gucker Werner Gorges.

XII.
Die Stadtteiltour durch Tarforst endet dort, wo sie enden muss: bei Wollscheids. Seit der vorvergangenen Jahrhundertwende ist der Familiengasthof eine feste Institution in der Stadt. Nicht nur am Wochenende - insbesondere bei den zum Kult avancierten Bayrischen Wochen im Herbst - sind die Tische im rustikalen Restaurant oft proppenvoll besetzt. Im großen Biergarten locken schattige Plätzchen. In den vergangenen Jahren haben die Wollscheids modernisiert: Die Gästezimmer wurden komplett renoviert, auf der Karte stehen neben gutbürgerlichen Gerichten mittlerweile auch Tapas- und Barbecue-Abende. Auf der Terrasse stehen chice Gartenmöbel statt Bierzeltgarnituren. "Trotzdem bleiben wir weiter ein ganz bodenständiges Gasthaus, wie wir es schon immer waren", sagt Inhaber und Koch Andreas Wollscheid.
Auch eine Gruppe Wanderer hat den Gasthof an diesem Sommertag für ihre Rast auserkoren. "Das ist haargenau so, wie man sich einen Ausflugsgasthof vorstellt", freut sich einer der Männer auf sein Bier nach der offenbar anstrengenden Sommertour. Recht hat er.

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