Das Dorf am Rand der Stadt

Wenn man nicht gerade an der Hauptstraße entlangläuft, dann ist eine Ortsbegehung in Zewen ein erholsamer Spaziergang durchs Grüne. Zwischen Mosel, B 49 und Waldrand verbreitet der Stadtteil oft den idyllischen Charme eines intakten Dorfes.

 Klassisches Getränk zur Frühsommerzeit: Ortsvorsteher Helmut Mertesdorf (links) begrüßt TV-Redakteur Dieter Lintz nach dessen Entdeckungstour auf der Erdbeerkirmes mit einem Glas Erdbeerbowle. TV-Foto: Mechthild Schneiders

Klassisches Getränk zur Frühsommerzeit: Ortsvorsteher Helmut Mertesdorf (links) begrüßt TV-Redakteur Dieter Lintz nach dessen Entdeckungstour auf der Erdbeerkirmes mit einem Glas Erdbeerbowle. TV-Foto: Mechthild Schneiders

 Schön geworden: Schüler der Grund- und Hauptschule Zewen turnen auf dem Klettergerüst auf dem Schulhof. Der Pausenhof ist unter Mithilfe vieler engagierter Eltern gestaltet worden. Foto: Volker Adrian

Schön geworden: Schüler der Grund- und Hauptschule Zewen turnen auf dem Klettergerüst auf dem Schulhof. Der Pausenhof ist unter Mithilfe vieler engagierter Eltern gestaltet worden. Foto: Volker Adrian

I.Wahrscheinlich ist Zewen der einzige Trierer Stadtteil, den man riechen kann. Jedenfalls wenn man durch die Felder spaziert, die sich als Grüngürtel rund um die Wohnviertel gruppieren. Wo einem schon mal ein Radfahrer begegnet, der in flott-elegantem Slalom um die Pferdeäpfel kurvt - und sich bei näherem Hinsehen als 85-Jähriger entpuppt. Die Luft hier scheint gesundheitsfördernd zu sein. Kilometerweit läuft man über kleine Wege, stets den Geruch von Erdbeeren oder Gemüse in der Nase. Zwischen Beeten hindurch, in denen rote und grüne Salatköpfe malerische Linien formen, so akkurat, als seien sie mit der Wasserwaage ausgerichtet worden. Die Zewener Gartenbau-Tradition, so erzählt Ortsvorsteher Helmut Mertesdorf, rührt aus Zeiten, da die Männer des Dorfes bei der Bahn oder bei Zettelmeyer arbeiteten und die Ehefrauen mit dem Verkauf von selbst angebautem Obst oder Gemüse ein Zubrot verdienten. Jetzt teilen sich drei landwirtschaftliche Unternehmer den Markt: zwei große, und einer, der sich - marketingtechnisch clever - Kleinbauer nennt. Sie betreiben auch den erfolgreichen Straßenmarkt, der tägliche Hunderte von Autofahrer einen Zwischenstopp an der B 49 einlegen lässt.II.Diese Ortsdurchfahrtsstraße ist aber auch der Grund, warum viele Autofahrer Zewen nicht riechen können. Die Kreuzung mitten im Ort macht die unschuldigen Zewener gar zum Objekt von Flüchen und Wutausbrüchen - bei jenen Autofahrern, die sich morgens Richtung Luxemburg und nachmittags Richtung Trier durch endlose Staus quälen. Dabei gibt es etwas, was noch viel nerviger ist, als Zewen zu durchqueren: überhaupt erst aus dem Ortsinneren auf die B 49 einzubiegen. Zewener müssen geduldige Menschen sein. Und bald noch etwas geduldiger, wenn die Bahn-Westtrasse reaktiviert wird und der Bahnübergang das Verkehrschaos im Zentrum komplettiert. An die wundersame Lösung mit Hilfe eines Tunnels glaubt hier vor Ort jedenfalls kein Mensch.III.Eine Spur des früheren Zewener Wunschtraums findet sich noch in der Straße Im Biest, einer Halb-Allee, die von der B 49 Richtung Mosel führt. Zwischen schicken, gepflegten Häusern, von denen manche über den Flair einer herrschaftlichen Villa verfügen, klafft eine große Lücke: ein unbebautes, städtisches Grundstück, das im Fall eines Tunnelbaus für die komplizierten Arbeiten gebraucht würde. "Illusionen blüh\'n im Sommerwind", sang einst Alexandra. Im Biest hat man sich längst mit der Situation arrangiert, vom Straßengetöse ist hier eh nichts zu hören, in den Vorgärten dösen Katzen (darf man eigentlich sagen: die Biester?) zwischen plätschernden Brunnen vor sich hin.IV.Die Mittelständler-Straße Im Biest bindet seit einem halben Jahrhundert den Ortsteil Oberkirch an - ein Quartier mit einem ganz eigenen, geradezu urigen Charakter. Manchmal kurven hier fremde Auto- oder Fahrradfahrer auf der Suche nach einem der bäuerlichen Hofläden durch die Gegend, ansonsten bleiben die Zewener aber unter sich. Beziehungsweise die Oberkircher, wenn man es genau nimmt. Denn im dörflichen Stadtteil Zewen ist Oberkirch ein Dorf für sich. Alles gruppiert sich um die kleine St.-Michaels-Kapelle, die dank Bürger-Engagement für gelegentliche Messen und Trauungen zur Verfügung steht. Gerade hat ein Mäzen zwei neue Glocken spendiert.V.Von hier aus ist es nur noch ein Katzensprung bis zur Mosel. Am Zewener Ufer kommt sie so nahe an den Radweg heran, dass man das Gefühl hat, Wasser und Festland lägen auf einer Höhe. Segelboote und Schwäne scheinen zum Greifen nahe. Auf einigen Strecken müssen sich Autofahrer, Radler, Inliner, Jogger und Fußgänger den schmalen Weg teilen - da sind Rücksicht und Toleranz gefragt. Landeinwärts liegt der Zewener Sportplatz, ein Sandplatz der ganz alten Schule. Da sind andere Trierer Stadtteile besser bedient. Noch ein Stück weiter Richtung Konz versteckt sich das Ausflugslokal Moselaner hinter einem kleinen Hügel. Es scheint einen beachtlichen Fan-Kreis zu haben: Neben einem Dutzend Rädern bevölkern am helllichten Nachmittag 20 Autos den Parkplatz hinterm Haus, fast alle mit Trierer Kennzeichen. Essens-Auswahl und Weinkarte sind ordentlich.VI.Könnte man von hier aus querfeldein bergauf marschieren, käme man unweigerlich irgendwann auf der anderen Bahnseite in der Wasserbilliger Straße her aus. Vielleicht genau in der Höhe, in der sich dieser Tage eine Groteske zwischen den Zewenern und der nicht sonderlich geliebten Verwaltung im Trierer Rathaus abspielt. Am Straßenrand rottet und bröselt seit 20 Jahren ein ehemaliges Industrie-Gelände vor sich hin. Dem Betrachter bietet sich ein Bild, das man bestenfalls in Rumänien oder Bulgarien vermuten würde. Der Eigentümer würde hier gern Wohnungen errichten, die Stadt besteht darauf, dass es sich um ein Gewerbegebiet handelt - auch wenn offenbar niemand Gewerbe ansiedeln will. Im Konflikt zwischen Verwaltungslogik und (Zewener) Menschenverstand führt der Stadtteil derzeit mit 1:0. Ortsvorsteher Mertesdorf hat eine Mehrheit im Stadtrat hinter sich gebracht, die den Bebauungsplan ändern will.VII.Die Wasserbilliger Straße entlang, am Zewener Turm vorbei, über ziemlich rumpelige Wohnstraßen - irgendwann landet man an der Schule. Bildhübscher Schulhof, dank Bürger-Engagement. Allerdings "nur" noch eine Grundschule, die Hauptschule ist der jüngsten Reform zum Opfer gefallen. Vielleicht hätten die Zewener lauter schreien müssen. Nur noch ein paar Meter bis ins Zentrum des Stadtteils. "Ich gehe ins Dorf", sagt der Zewener, wenn er zum Einkaufen oder Flanieren in die Kantstraße/Meierstraße läuft oder fährt. 3600 Einwohner hat Zewen, so viele wie Konz-Roscheid oder Trierweiler. Aber im kleinen Gemeindezentrum finden sich drei Bäckereien, Filialen von Volksbank und Sparkasse, ein Fahrradladen und eine Fahrschule, eine Buchhandlung und eine Metzgerei, eine Apotheke, mehrere Friseure, ein Kebab-Imbiss, diverse Lokale, sogar ein Buchladen und ein Geschäft für Uhren und Schmuck. Da herrscht im Grunde immer Betrieb - auch wenn sich für Schlecker noch kein Ersatz gefunden hat. VIII.Einmal um die Ecke, und schon wechselt die geschäftige Atmosphäre. Mit Geld aus dem Stadtteil-Budget hat man den alten Kirchplatz von einer Parkplatz-Wüste mit Hundeklo in einen hübschen kleinen Treffpunkt verwandelt. Schüler sitzen auf einem Baumstamm und genießen die Morgensonne. Eine Steintafel erinnert an die Kirche, die einst hier stand. Anterro Encarnacao sorgt dafür, dass sie immer glänzt. Ehrenamtlich. Auch Zewener Bürger mit portugiesischen Wurzeln tragen ihr Scherflein zum Dorfleben bei.IX.Ein kleiner Aufstieg, an der Kita vorbei, dann nähert man sich schon dem Friedhof. Eine ansehnliche Terrassen-Anlage, gut in Schuss - auch wenn man die Träger bedauert, die bei diesen Höhenunterschieden Särge schleppen müssen. Neuerdings haben sie es leichter, konnten die Zewener doch nach langem Ringen (sie sind es ja nicht anders gewohnt) durchsetzen, dass hier auch Urnengräber angelegt werden dürfen. Das entscheidende Argument war freilich von der etwas makabren Sorte: In einigen besonders lehmigen Friedhofsböden werden die Leichen zu stark konserviert, was zu unangenehmen Effekten bei der Aufhebung der Gräber führen kann. Mit Urnen kann das nun künftig aber nicht mehr passieren. X.Vom Charakter eines intakten Dorfes reden viele Gemeinden - in Zewen wird er praktiziert. Besonders eindrücklich bei der Erdbeerkirmes zum Schluss der Erdbeersaison. Die örtlichen Vereine übernehmen die Organisation, betreiben Stände. 100 Stunden muss jeder Verein investieren, tatsächlich ist es sogar noch einiges mehr. Da fahren auch mal die Feuerwehrleute morgens mit raus, um die Erdbeeren für die berühmte Bowle zu ernten, die die Bauern kostenlos zur Verfügung stellen. Zwei Zentner landen binnen drei Tagen in dem schmackhaften, aber nicht übermäßig alkoholgesättigten Getränk - das übrigens auch ideal geeignet ist als Durstlöscher nach Stadtteil-Wanderungen. Da ist er dann auch wieder, dieser markante Erdbeer-Duft - diesmal im Glas.Dieter Lintz

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