"Das Geschenk ist Propaganda" - Trierer China-Professor kritisiert Statuen-Geschenk für die Stadt

Trier · Der Trierer China-Professor Christian Soffel kritisiert im TV-Interview, dass Trier sich von der Volksrepublik eine überlebensgroße Karl-Marx-Statue schenken lassen will. Das Monument demonstriere den Geltungsanspruch des autoritären Staates, ist der Wissenschaftler überzeugt.

 Professor Christian Soffel, Leiter des Fachs Sinologie an der Uni Trier, vertritt in der Debatte um die Marx-Statue eine klare Meinung. Er sieht in dem Geschenk eine Machtdemonstration Chinas. TV-Foto: Friedemann Vetter

Professor Christian Soffel, Leiter des Fachs Sinologie an der Uni Trier, vertritt in der Debatte um die Marx-Statue eine klare Meinung. Er sieht in dem Geschenk eine Machtdemonstration Chinas. TV-Foto: Friedemann Vetter

Foto: Friedemann Vetter (ClickMe)

Kommt sie oder kommt sie nicht, die 5,50 Meter große Statue, die China zum 200. Geburtstag von Karl Marx stiften will? Über die Annahme des Geschenks entscheidet der Trierer Stadtrat am Donnerstag, 6. April.
Christian Soffel, Geschäftsführer des Fachs Sinologie an der Universität Trier, erklärt im Gespräch mit TV-Redakteurin Christiane Wolff, warum ein überdimensioniertes Denkmal letztlich abträglich für die Beziehungen zwischen Deutschland und der Volksrepublik wäre.

Bei seinem Besuch in Trier voriges Jahr sagte Bildhauer Wu Weishan, dass wir in Deutschland keine Vorstellung davon haben, wie bedeutsam Karl Marx für China ist. Welche Rolle spielt der große Sohn Triers in der Volksrepublik?
Professor Christian Soffel Karl Marx gilt als Begründer des heutigen chinesischen Selbstverständnisses, des gesellschaftlichen Zusammenhalts, der auf den - wie es heißt - großartigen Ideen von Marxismus, Leninismus und Maoismus beruht. In ihren Verlautbarungen greift die kommunistische Partei Chinas immer wieder auf Marx zurück, um ihre Politik und ihre Führungsrolle zu rechtfertigen. Zwischen der Person Karl Marx, seinen ursprünglichen Ideen und dem, was daraus gemacht wurde, wird dabei wenig differenziert.

Wie ist angesichts dessen die Statue einzuordnen, die China Trier schenken will?
Soffel Große Statuen wichtiger Persönlichkeiten aufzustellen hat in China Tradition. Gerade Präsident Xi Jinping hat diese Tradition in den vergangenen zwei, drei Jahren wiederbelebt. Die Statuen sind dabei Ausdruck eines starken Nationalismus. Die von der Zentralregierung für Trier gestiftete Figur passt dabei zur sogenannten Seidenstraßeninitiative des Präsidenten, die zum Ziel hat, weltweit Duftmarken zu setzen. China will so unter anderem demonstrieren, wie potent die Volksrepublik ist. Trier eine übergroße Karl-Marx-Statue zu schenken, steht im Kontext von gezielter Propaganda.

Aber Oberbürgermeister Wolfram Leibe bezeichnet das Geschenk doch als "freundliche Geste". Auch der chinesische Generalkonsul hat betont, dass in Chinas Beziehungen zu anderen Ländern ideologische Ansichten seit der Kulturrevolution keine Rolle mehr spielen würden, die Statue sei ein "reiner Ausdruck der Freundschaft".
Soffel Tatsächlich ist der Widerspruch, den wir zwischen Propaganda-Mittel und absichtslosem Geschenk sehen, für Chinesen nicht so deutlich. Propaganda ist in China allgegenwärtig, die Menschen dort sind es gewohnt, dass bei allem stets auch das eigene System beworben wird, das wird nicht hinterfragt. Und: Wer doch kritisch nachhakt, bringt sich in Gefahr.
Dass die Statue nicht bloß ein selbstloses Geschenk ist, sieht man auch schon daran, dass die Chinesen sich bei den Verhandlungen über die Größe nur auf eine kosmetische Verkleinerung von 80 Zentimetern eingelassen haben.

Apropos Aussehen des Denkmals: Einen konkreten Entwurf der Statue gibt es ja bereits. Wie gefällt sie Ihnen als Kunstwerk?
Soffel Die Figur schreitet lebensfroh nach vorne, der Blick ist unbeirrt. Marx sieht energisch aus, so, als wolle er politisch etwas bewegen, die Gesellschaftsordnung verändern. Durch die übernatürliche Größe wirkt Marx auf mich nicht wie ein Mensch, der auch Schwächen hat, sondern wie ein Idol. Die Verehrungshaltung Chinas gegenüber Marx kommt in der Übergröße zum Ausdruck, es geht um politische Meinungsbildung.

Immerhin soll das Denkmal statt der ursprünglich vorgesehenen 6,30 Meter nur noch 5,50 Meter hoch werden ...
Soffel … was einer optisch kaum spürbaren Verkleinerung von gut zehn Prozent entspricht. Die Reduzierung ist für mich daher auch kein Kompromiss - als solchen hat die Stadtverwaltung das Ergebnis der Verhandlungen mit Künstler und Konsulat ja bezeichnet. Denn die Figur ist immer noch weit überlebensgroß.

Aber kann denn selbst eine noch so große Statue Trier tatsächlich kommunistisch unterwandern?
Soffel Das nicht, und darum geht es den Chinesen auch gar nicht. Die wissen ganz genau, dass eine Bewerbung ihres politischen Systems hier nicht fruchtet. Das Problem ist ein ganz anderes: Chinesische Touristen werden die Statue als Zeichen für die Größe und Macht ihrer Regierung empfinden, als Bestätigung des Einflusses Chinas auf die Welt. Auf viele Chinesen dürfte es enormen Eindruck machen, dass ihre Politiker die Autorität haben, in Deutschland eine symbolträchtige Riesenfigur aufzustellen. Eine solche mächtige Regierung zu hinterfragen, wird damit noch schwieriger, als es ohnehin schon ist.
Ein weiteres Problem: Dass Trier die Statue annimmt, wie von China vorgeschlagen, fordert die Volksrepublik nicht zu einer Auseinandersetzung mit sich selbst auf. China dürfte sich dadurch für andere bevorstehende Verhandlungen - worüber und mit wem auch immer - eher gestärkt fühlen. Dabei beklagt das Auswärtige Amt schon seit einigen Jahren, dass die Verhandlungen mit China immer schwieriger werden.
Jede unkritische Akzeptanz stärkt die chinesische Regierung - die "westliche Werte" wie Menschenrechte und Meinungsfreiheit immer stärker infrage stellt und kürzlich sogar manche ausländische Organisation für illegal erklärt hat.

Wenn man schon der Statue eine solche Kraft zuschreibt, müsste man dann nicht konsequenterweise das von China finanzierte Konfuzius-Institut der Universität und auch die Beziehung zu Triers Partnerstadt Xiamen überdenken?
Soffel Schon von der reinen Größe her, der weltpolitischen Bedeutung und seiner Finanzkraft ist China ein ungeheuer wichtiges Land, zu dem wir unbedingt Kontakt halten wollen! Wir müssen allerdings aufpassen, uns nicht übermäßig instrumentalisieren zu lassen. Das bedeutet für das Konfuziusinstitut, dass es kein Projekt und keine Veranstaltung geben kann, an der nicht auch deutsche Kollegen beteiligt sind - und das ist auch so in der Satzung des Instituts festgeschrieben.
Bei der Statue müsste man sich meiner Ansicht nach darauf einigen, dass die Figur nur so groß wird, wie der Mensch Marx in der Realität es war.

Ob mit den Chinesen abgesprochen ist, dass an der Karl-Marx-Statue eine Schrifttafel aufgestellt wird, die den späteren Missbrauch seiner Ideen durch Diktaturen kritisch beleuchtet, hat die Stadt offenbar noch nicht geklärt. Glauben Sie, die Chinesen geben dafür ihre Zustimmung?
Soffel Das dürfte problematisch werden. Mit einer deutlich formulierten Kritik an Marx wäre China wohl nicht einverstanden. Und eine Tafel ohne Absprache einfach im Nachhinein aufzustellen, geht auch nicht. Die einzige Lösung ist, die Gespräche mit den Chinesen noch mal aufzunehmen. Ziel sollte sein, die Größe der Statue so zu reduzieren, dass die Zustimmung in der Trierer Bevölkerung groß ist. Zumal die Stifter sich das letztlich ja auch wünschen: ein positives Chinabild und keinen Widerwillen gegen das Geschenk.
Trier muss seinen Standpunkt gegenüber den Chinesen diplomatisch, freundlich, aber auch bestimmt vermitteln. Ich denke schon, dass China sich letztlich auch darauf einlassen würde - womit schlussendlich allen geholfen wäre.Interview Christian SoffelTRADITION UND MODERNE

Extra

 Ein Buch in der linken Hand und die Rechte am Revers des Gehrocks: So sieht der Entwurf für die Marx-Skulptur aus. Foto: Presseamt Trier

Ein Buch in der linken Hand und die Rechte am Revers des Gehrocks: So sieht der Entwurf für die Marx-Skulptur aus. Foto: Presseamt Trier

Foto: (wh_wst )

Christian Soffel ist 49 Jahre alt und Geschäftsführer des Fachs Sinologie (Chinawissenschaften) an der Universität Trier. Sein Spezialgebiet ist die traditionelle chinesische Kultur und ihre Nachwirkungen auf die Moderne. Soffel lehrt seit 2012 als Professor in Trier.

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