Das Gewitter im Kopf

TRIER. In Trier treffen sich 60 Epileptiker und deren Angehörige aus der Großregion regelmäßig, um sich gegenseitig beizustehen. Der erste Anfall überkam die meisten ohne Vorzeichen - und veränderte das Leben der Betroffenen, der Eltern und Angehörigen völlig. Für einige Epileptiker ist ihre Krankheit ein Tabu, zu negativ sind die Reaktionen anderer auf ihre Krampfanfälle.

 Gespräche, gegenseitige Hilfe und gemeinsame Unternehmungen: Neben ihren regelmäßigen Gruppentreffen unternimmt die Selbshilfegruppe der Epileptiker Wandertage, Ausflüge und Grillabende.Foto: Christiane Wolff

Gespräche, gegenseitige Hilfe und gemeinsame Unternehmungen: Neben ihren regelmäßigen Gruppentreffen unternimmt die Selbshilfegruppe der Epileptiker Wandertage, Ausflüge und Grillabende.Foto: Christiane Wolff

Tatjana Nehren wohnt in Wasserbillig. Gezwungenermaßen. Denn die 23-Jährige darf nicht ans Steuer eines Autos. Die Gefahr, dass sie einen epileptischen Anfall bekommt, ist zu groß. Ihren ersten Krampfanfall hatte sie vor vier Jahren. Ganz plötzlich, ohne Vorzeichen. "Im Krankenhaus haben sie mir gesagt, dass ich nicht mehr Auto fahren sollte", sagt sie. "Ich musste mich komplett umstellen und in die Nähe meiner Arbeitsstelle ziehen. Seitdem bin ich total abhängig von anderen." Zwei Jahre lang hatte Tatjana nach dem ersten Anfall Ruhe, aber im vergangenen Jahr spielte ihr Gehirn gleich vier Mal verrückt. "Immer Aufwachanfälle am Morgen", sagt sie.Keine Hilfe von Passanten

Der Trierer Christian Schneider hatte seinen ersten Anfall erst vor einigen Monaten. "Es war auf dem Europa-Volksfest", erzählt der 24-jährige gelernte Schreiner. Wahrscheinlich brachten Lichtirritationen in einem Spiegellabyrinth die elektrischen Ströme in seinem Gehirn durcheinander. Auch er kam erst wieder im Krankenwagen zu sich. Seitdem hat er häufiger Anfälle, darf nicht mehr Auto fahren, wohnt im Dachgeschoss des Hauses seiner Mutter. Seine alte Arbeitsstelle musste er aufgeben. Mit der Epilepsie müssen die jungen Leute wahrscheinlich ihr Leben lang zurecht kommen. "Dazu kommt noch das Unverständnis der Leute", sagt Stefan Conrad, Vorsitzender der Trierer Selbsthilfegruppe für Anfallkranke und deren Angehörige (Saat). "Viele glauben, Epilepsie bedeute eine Beeinträchtigung der Intelligenz, aber das ist völliger Quatsch", erzählt Conrad. "Oder sie glauben, wir seien betrunken, wenn wir auf dem Boden liegen und krampfen", sagt Christian Schneider. Geholfen werde selten. "Nach einem Anfall in der Fußgängerzone bin ich auf der Straße aufgewacht, war alleine und hatte einen Fußabdruck auf der linken Hand", erzählt er. 60 Mitglieder von Gerolstein über Wasserliesch bis in den Hochwald hat die Saat, davon ein Drittel Eltern und zwei Drittel Betroffene und deren Angehörige. Gegründet hat die Gruppe vor 15 Jahren Ernst Schneck. "Damals hatte unser Sohn Matthias angefangen zu krampfen", erzählt Schneck. "Um mit dem Schicksal fertig zu werden, machte ich mich auf die Suche nach Menschen, denen es genauso ging wie uns." Das Interesse auf seine Aushänge war groß, schnell fand sich eine Gruppe zusammen. Die Geschichten der Saat-Mitglieder sind so unterschiedlich wie die Erscheinungsformen der Epilepsie - der Krankheit mit den tausend Gesichtern. Bei Maike Kolz erzeugt eine Blutansammlung auf dem Gehirn Druck auf die Gehirnzellen. Bevor die Zehnjährige regelmäßig an den Gruppentreffen teilgenommen hat, hatte sie acht bis zehn Krampfanfälle jährlich. Nach dem ersten Anfall vor der Klasse wollte sie wegen Hänseleien nicht mehr in die Schule gehen. Gespräche mit Lehrerinnen, die dann die Klasse aufklärten, halfen. "Seit die Epilepsie kein Tabu mehr für uns ist, hat sich die Zahl der Anfälle wesentlich verringert", erzählt ihre Mutter Helga. Helmut Kupei bekommt regelmäßig nachts Anfälle. Auch seine Frau ist Epileptikerin. Ihre beiden Mädchen - dreieinhalb Jahre und neun Monate alt - sind anfallsfrei, denn Epilepsie ist prinzipiell keine Erbkrankheit. "Aber die Anlage dazu haben sie sicher auch", sagt Kupei, der seine Krankheit so lange verschwiegen hat, bis ein normales Leben nicht mehr möglich war. "Jetzt rede ich offen darüber." Schließlich sei ein Anfall nichts anderes als ein biologischer Computer-Absturz. "Und wenn die elektrischen Ströme im Gehirn wieder in den richtigen Bahnen laufen, ist alles wieder ganz normal." Am 5. Oktober ist der bundesweite Tag der Epilepsie. Die Trierer Selbsthilfegruppe wird sich auf dem Hauptmarkt mit Stand und Infomaterial präsentieren. Zu ihren Treffen an jedem ersten Freitag im Monat im Warsberger Hof sind Interessierte herzlich eingeladen. Nächster Termin: 1. Oktober, 19 Uhr. Infos im Internet: www.epilepsie-trier.de, E-Mail: info@epilepsie-trier.de.

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