Das neugierige Kind wird 100

Trier-Süd · Sie ist ein personifiziertes Geschichtslexikon: Annemarie Zander weiß fast alles über Triers Historie und hat ihr Wissen immer gerne weitergegeben. Am Sonntag feiert die Grande Dame der Trierer Geschichts- und Familienforschung ihren 100. Geburtstag.

 So alt wie die Kaiser-Wilhelm-Brücke: Annemarie Zander, geboren am 12. Mai 1913 in Pallien. Das Bild der Palliener Kirche stammt von Vater Anton Propson (1888-1973), der begeisterter Hobbymaler war. TV-Foto: Roland Morgen

So alt wie die Kaiser-Wilhelm-Brücke: Annemarie Zander, geboren am 12. Mai 1913 in Pallien. Das Bild der Palliener Kirche stammt von Vater Anton Propson (1888-1973), der begeisterter Hobbymaler war. TV-Foto: Roland Morgen

Trier-Süd. "Ich war ein sehr neugieriges Kind und habe den Leuten immer Löcher in den Bauch gefragt. Vor allem meinen Großvater und meinen Vater." Bei denen ist Klein-Annemarie an die Richtigen geraten. Sie erzählten abenteuerliche Geschichten von Römern, Rittern und Napoleon. Aber das Schwadronieren von Johann Elsen und Anton Propson hatte was Gutes: "Es weckte mein Interesse an Geschichte."
Beim Kaiserbesuch dabei


Viele Kapitel der jüngeren Stadthistorie hat Annemarie Zander, geborene Propson, hautnah miterlebt. Als Kaiser Wilhelm am 14. Oktober 1913 die nach ihm benannte Moselbrücke eröffnete, war sie dabei - als Baby "gut verpackt auf Mutters Arm, weil bei dem großen Gedränge wohl kein Platz für den Kinderwagen war".
Prägende eigene Erinnerungen hat sie an einen Bombenangriff 1917, der ihren Heimatstadtteil Pallien traf, an die Besatzungszeit nach dem Ersten Weltkrieg, den passiven Widerstand gegen die Franzosen. "Unvergesslich" auch der Trier-Besuch von Reichspräsident Paul von Hindenburg am 11. Oktober 1930: "Ich sah einen würdigen, aber völlig übermüdet wirkenden Greis. 1933 war er nur noch eine Marionette." In jenem schicksalhaften Jahr absolvierte die im Dienst der Firma Lambert stehende Ex-Ursulinen-Schülerin im März ("Deshalb noch ohne Führer-Brimborium") die Gartengehilfen-Prüfung als einzige im weiten Trierer Land mit sehr gut. Gartenarchitektin wurde sie dann doch nicht, sondern zeitweilig Sekretärin am Friedrich-Wilhelm-Gymnasium und dann Lohnbuchhalterin und "Fräulein vom Amt" in der Paulinus-Druckerei. Dort lernte sie ihren späteren Mann Claus Zander (1910-2000) kennen. Mit 40 sagte Annemarie Zander dem Berufsleben adieu. Nun konnte sie sich endlich ihrer großen Leidenschaft Geschichtsforschung und Familienkunde widmen.
Sie wurde Stammgast in Archiven, die Wohnung der Zanders in der Löwenbrückener Straße entwickelte sich zur Chefredaktionsstube für das vom Verein Trierisch herausgegebene Neue Trierische Jahrbuch. Dessen Schriftleiter war Claus Zander von 1965 bis 1990, stets unterstützt von seiner Frau. Die war da schon längst eine gefragte Kennerin der Stadtgeschichte und der wichtigsten Familien, Amtsträger und Künstler im Erzbistum und Kurfürstentum Trier. Ihren eigenen Stammbaum kann sie bis ins 14. Jahrhundert zurückverfolgen. Ein weiteres Resultat ihrer peniblen Forschung - oft in enger Zusammenarbeit mit Alois Thomas (Bistumsarchiv) und Theresia Zimmer (Landeshauptarchiv) - ist die Verkartung zahlreicher uralter Kirchenbücher.
Von ihrem Wissen, ihrer Hilfe und Zuarbeit haben zahlreiche Lokalhistoriker, Familienkundler und Wissenschaftler profitiert - oftmals ohne Annemarie Zanders Zutun als Quelle angemessen zu kennzeichnen. Ein Ärgernis? "Bei aller Bescheidenheit: ja." Aber mit fast 100 sehe sie "gelassen darüber hinweg" und liest und forscht weiter, "weil es ja auch ein netter Zeitvertreib ist. Ich habe keinen Fernseher."
Ihr Wunsch zum 100.: "Nett feiern" mit der Familie (darunter drei Enkel, sechs Urenkel), und "dass Gott mich einigermaßen gesund hält und nicht zum Pflegefall werden lässt".

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