"Das Ökosystem Mosel schwebt in Gefahr"

Trier-Ehrang · 2009 fing Fischereiaufseher Guido Eberhardt die erste Schwarzmeergrundel, eine eingewanderte Fischart, in der Mosel. Er wunderte sich über die neue Art, die aussieht wie ein kleiner Drachen mit großem Maul. Heute gehen ihm in einer Stunde mehr als 130 dieser Fische an den Haken. Viele heimische Fischarten seien dafür so gut wie verschwunden, sagt er.

Trier-Ehrang. Wenn Guido Eberhardt eine Made an den Haken steckt und seine Angel auswirft, ist das eine Amtshandlung. Als Fischereiaufseher der Trierer Stadtverwaltung muss er sich regelmäßig ein Bild vom Fischbestand der Mosel machen. Was Eberhardt bei seiner letzten Kontrolle aus der Mosel gezogen hat, verschlug dem erfahrenen Angler jedoch die Sprache: "Das sprengt jeden Rahmen."

Das Problem: Grund für die Aufregung ist die Schwarzmeergrundel. Der europäische Brack- und Süßwasserfisch (siehe Extra) hat sich in den letzten Jahren durch den Rhein-Main-Donau-Kanal bis an die Nordsee ausgebreitet und besiedelt mittlerweile etliche Gewässer wie Mosel und Rhein, in denen er ursprünglich nicht heimisch ist.
"2009 habe ich die erste Schwarzmeergrundel in der Mosel gefangen und dachte: ‚Hier hat jemand einen exotischen Fisch aus seinem Aquarium ausgesetzt\'." Doch Eberhardt wurde schnell klar, dass das ein Irrtum war: Immer mehr Grundeln gingen ihm an den Haken. "Der Bestand ist seit 2009 jährlich um 50 Prozent gewachsen." Bei seiner letzten Kontrolle fing er 126 Schwarzmeergrundeln in einer Stunde - so viele wie nie zuvor.Fisch laicht zwei Mal im Jahr


"Das Tier laicht zwei Mal im Jahr", sagt Eberhardt, "mittlerweile hockt unter jedem Stein eine." Die Population der eingewanderten Art sei in den letzten Jahren explosionsartig angewachsen. "An und für sich ist das ein schönes Tier", sagt Eberhardt, aber die heimischen Fische wie Rotaugen, Brassen und Zander seien beinahe ganz verschwunden.
Deshalb ziehe es auch die Angler kaum noch ans Gewässer. "Es macht keinen Spaß mehr, wenn man alle zehn Sekunden diese kleinen Grundeln am Haken zappeln hat und keine Fische mehr fängt, die man in der Küche verwerten kann."
Die Schwarzmeergrundel sei ein Laichräuber, erklärt Eberhardt. Der Fisch fräße die Brut anderer Fische als auch deren Nahrungsgrundlage, Fischnährtiere wie Flusskrebse, vollständig auf. Das Ökosystem Mosel schwebe deshalb in höchster Gefahr, ist sich der Fischereiaufseher sicher und sagt: "Es ist alle höchste Eisenbahn zu handeln. Seit Jahren wird nur geredet. Aber bislang hat die Untere Fischereibehörde nichts unternommen."

Die Behörden: Der Unteren Fischereibehörde, die beim Kreis Trier-Saarburg und der Stadt angesiedelt sind, ist die neu etablierte Fischart bekannt: "Wir haben aber keine Handhabe", erklärt Martina Bosch, Pressereferentin der Kreisverwaltung, und verweist auf die Struktur- und Genehmigungsdirektion Nord (SGD Nord) als zuständige Obere Fischereibehörde. Dort sieht man die aktuelle Lage jedoch weniger bedrohlich: "Möglicherweise ist massiver Fraßdruck auf den Laich und die Jugendstadien unserer heimischen Fischarten zu erwarten", sagt Sandra Hansen-Spurzem, Pressesprecherin der SGD Nord.
Dass ein großer Teil der heimischen Fischarten bereits verschwunden ist, wie Eberhardt es darstellt, sieht man in Koblenz allerdings gelassen. "Die Erfahrung hat gezeigt, dass eine invasive Art nach wenigen Jahren selbst zusammenbricht, wenn Nahrung und Lebensraum knapp werden. Dabei ist es meist so, dass heimische Tierarten an den Rand ihrer Existenz gebracht werden. Sie überleben aber trotzdem."
Die Behörde geht zudem davon aus, dass sich die Natur selbst zu helfen weiß. "Da die neuen Arten ihre natürlichen Feinde nicht mitbringen, dauert es einige Zeit, bis vorhandene Arten die Zugewanderten als Beute nutzen und sich in der Folge ein ökologisches Gleichgewicht einstellt. Denkbare Fressfeinde gibt es in der Mosel, nämlich den Aal, den Barsch, den Wels und den Zander."

Lösungsansätze: Aus Sicht der SGD Nord könnten jedoch auch die Berufsfischer der Mosel mit ihren Reusen die eingewanderten Fische fangen und damit den Bestand senken.
Außerdem fordert Fischereiaufseher Eberhardt auch alle Vereine und Angler dazu auf, mitzuhelfen und vor allem zu kooperieren. Seiner Meinung nach könnte Gemeinschaftsfischen über Vereinsgrenzen hinweg dazu beitragen, den Bestand zu vermindern. Dabei sollten mehrere Hundert Angler gezielt der Grundel nachstellen. "Ob die Idee Erfolg hat, lässt sich schwer sagen. Wir können jedoch nicht herumsitzen, abwarten und Tee trinken", sagt Eberhardt.
Um ein Gemeinschaftsfischen zu organisieren, bittet der amtliche Fischereiaufseher Guido Eberhardt insbesondere Vereine, sich mit ihm in Verbindung zu setzen. Seine E-Mail-Adresse lautet eberhardt.guido@web.deMeinung

Auf sich gestelltIn den 1990er Jahren kam der Wels über den Rhein die Mosel heraufgezogen. Mittlerweile hat sich die neue Art etabliert - zur Freude einiger Angler, die den bis zu zwei Meter großen Fischen gezielt nachstellen. Weißfischangler verdammen die gefräßigen Riesen, da sie massenhaft Rotaugen und Brassen vertilgen. Im letzten Jahrzehnt explodierte dann der Kormoranbestand an den Gewässern in der Region. Der Zugvogel, der schon seit langer Zeit an der Mosel überwintert, verschlingt tonnenweise Fisch. Die Petrijünger rangen der Landesregierung eine Abschusserlaubnis ab, die das ökologische Gleichgewicht wieder herstellen soll. Nun frisst mit der Schwarzmeergrundel eine weitere nicht heimische Art den Anglern den Fisch vor der Nase weg und bedroht durch Laichfraß die Reproduktion der Edelfische. Die Fischer klagen: "In der Mosel lässt sich kaum mehr etwas fangen, das sich in der Küche verwerten lässt." Der Verkauf der Fischereierlaubnisscheine ist stark rückläufig. Abertausende natürliche Fressfeinde der Grundeln wie die Aalquappe in der Mosel auszusetzen, ist der SGD Nord jedoch verständlicherweise zu teuer. Also bleibt den Anglern, wie Fischereiaufseher Guido Eberhardt richtig erkannt hat, nur eine einzige Möglichkeit: sich selbst zu helfen. c.moeris@volksfreund.deExtra

Patricia Holm (Foto privat). Die Biologin arbeitet an der Universität Basel und beschäftigt sich mit invasiven Arten. Seit zwei Jahren forscht sie mit Hochdruck an der Schwarzmeergrundel und an Möglichkeiten, ihre Ausbreitung einzudämmen. Frau Holm, als wie gefährlich schätzen Sie die eingewanderte Schwarzmeergrundel für das heimische Ökosystem Mosel ein? Patricia Holm: "Die Folgen der Invasion können wir heute noch nicht genau absehen. In den großen Seen der USA gefährdet die Art durch Wegfressen der Brut beispielsweise den Fortbestand der Seeforellen. In der Mosel sind verschiedene Edelfische durch Laichfraß und Dezimierung ihrer Larven bedroht." Was kann man tun, um den Bestand zu senken und die weitere Ausbreitung zu verhindern? Patricia Holm: "Eine Maßnahme könnte der Besatz von Aalquappen sein. Dieser Raubfisch jagt Grundfische und wurde bereits in den USA erfolgreich zur Bekämpfung der invasiven Grundeln eingesetzt. Zudem könnte der Grundel-Laich an ausgebrachten Laichhilfen im Wasser gesammelt und später entfernt werden. Die angehefteten Eier der Schwarzmeergrundeln wären vom Laich anderer Arten leicht zu unterscheiden." CmoExtra

Die Art: Unter dem Begriff Schwarzmeergrundeln sind fünf verschiedene Grundelarten aus dem Schwarzen Meer zusammengefasst, die den Experten Sorge bereiten. Die Fische werden bis zu 25 Zentimeter lang, haben einen zylinderförmigen Körper, einen bulligen Kopf mit obenstehenden Augen und ein großes Maul. Sie sind schlechte Schwimmer und leben vorwiegend am Grund. Im Laufe der Evolution haben sie ihre Schwimmblase aufgegeben. Dafür verfügen sie über einen Bauchsaugnapf. Eventuell heften sie sich damit an Schiffe und lassen sich so über weite Strecken transportieren. Zudem heften sie ihren Laich an Schiffsrümpfe. Einschätzung des Berufsfischers: Über die Mosel zwischen Trier und Detzem (Kreis Trier-Saarburg) schippert auch täglich der Berufsfischer Manfred Schmitt aus Mehring seinen Kahn, um die ausgebrachten Stellnetze einzuholen. Anders als die unzähligen Freizeitangler ist der Berufsfischer mit seinen Netzen nicht auf das Angeln mit einer Rute, Schnur und Haken angewiesen. Seiner Einschätzung nach hat sich der Fischbestand in der Mosel durch die Schwarzmeergrundel kaum verschlechtert. "Die Tiere lassen nur den Anglern keine Chance", sagt Schmitt, der täglich kiloweise Rotaugen, Barsch und Zander aus der Mosel an Deck hievt. Den Moselfisch verkauft er überwiegend an luxemburgische Restaurants. Obwohl er durch die Ausgabe der Fischereierlaubnisscheine an die Freizeitangler über Provisionen mitverdient, sehe er derzeit keinen Handlungsbedarf, die eingewanderte Art zu dezimieren. "Für mich stellt die Schwarzmeergrundel kein Problem dar." cmo

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