Deckel drauf nach 20 Jahren

Abschluss nach rund 20 Jahren der Entmunitionierung und Sanierung: Seit dem gestrigen Mittwoch gelten die wesentlichen Arbeiten auf dem Gelände der 1920 explodierten Munitionsfabrik "Espagit" in Hallschlag (Verbandsgemeinde Obere Kyll) als abgeschlossen. Land und Bund zahlten dafür bisher 54,3 Millionen Euro.

 Brachlandschaft mit Bunker: So sah es während der Munitionsräumung vor dem Haus des Hallschlager Landwirts Martin Quetsch aus. TV-Foto: Archiv/Fritz-Peter Linden

Brachlandschaft mit Bunker: So sah es während der Munitionsräumung vor dem Haus des Hallschlager Landwirts Martin Quetsch aus. TV-Foto: Archiv/Fritz-Peter Linden

Hallschlag-Kehr. 20 Jahre "Espagit": 6316 Granaten wurden geborgen, davon 506 kampfstoff-verdächtig (jede davon kostet in der Entsorgung 2800 Euro). Hinzu kamen 5100 Kilogramm Sprengstoff, 36,7 Tonnen Zündladungen, 56 Tonnen Munitionsteile und 400 Tonnen Metallschrott. Außerdem mussten hunderte Tonnen kontaminiertes Erdreich ausgebaggert, fortgebracht und entsorgt werden. Hinzu kamen immer wieder Verzögerungen durch technische, juristische oder andere Kalamitäten. Kein Wunder, wenn Projektleiter Heinz Reinert vom Landesbetrieb Liegenschafts- und Baubetreuung (LBB) sagt, es gebe "kaum eine vergleichbare Rüstungsaltlast in Deutschland". Deshalb sind am Ende - nämlich bei der Feierstunde an der Wasser-Reinigungsanlage im Seifenbachtal - doch alle Verantwortlichen zufrieden mit dem Erreichten: "Ich denke, das ist heute ein guter Tag - auch für die Region", sagt Landes-Innenminister Karl Peter Bruch, der zugibt, anfangs vor der Größe des Projekts regelrecht erschrocken zu sein.Entsprechend viele Menschen waren daran beteiligt - allein bei der federführenden Trierer Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion (ADD): Wenn man alle heute mitgenommen hätte, die in den 20 Jahren am Projekt Hallschlag gearbeitet haben, "hätten wir einen Bus gebraucht", sagt ADD-Präsident Josef Peter Mertes. Auch er dankt allen - nicht zuletzt Willi Wehrhausen vom Kampfmittel-Räumdienst, dem "Botschafter der ADD vor Ort". "Ein ganz hervorragender Fachmann" sagt auch Werner Arenz, Bürgermeister der Verbandsgemeinde Obere Kyll. Zudem sei Wehrhausen in dieser Zeit - und im Umgang mit den geplagten Espagit-Nachbarn - auch noch "ein halber Psychologe geworden".Sicherungsvariante bleibt umstritten

Alles in Butter also? Nicht ganz: Die sogenannte Sicherungsvariante bleibt in der Kritik. Statt mindestens 40 Millionen weitere Euro für die Komplett-Entmunitionierung in der Kernzone um die explodierte Fabrik auszugeben, beschlossen Land und ADD, die 13 Hektar Fläche abzudecken, das Regen- und Sickerwasser abzufangen und zu reinigen - für die kommenden 50 Jahre. Diese Variante kostet "nur" etwa 16 Millionen Euro.In Hallschlag ist man damit nach wie vor nicht glücklich: "Die Ortsgemeinde ist immer für die Entmunitionierung gewesen", sagt Ortsbürgermeister Hans-Jürgen Breuer. "Aber wir mussten uns der höheren Gewalt beugen."Seine Hoffnung: dass den Kindern im Dorf und deren Nachkommen daraus keine Nachteile entstehen.Und einen gesalzenen Satz kann sich dann auch Werner Arenz aus ganz anderem, aber aktuellem Anlass nicht verkneifen: "Wenn man über kommunale Gebietsreformen nachdenkt", sagt er zu Minister Bruch, "dann ist Größe nicht ausschlaggebend." Meinung Dicke Fliege im Sektglas Das explosive Erbe Hallschlags aus dem Ersten Weltkrieg hat viel Aufwand und Geld gekostet. Anlieger, Arbeiter und Behörden waren zwei Jahrzehnte lang pausenlos damit beschäftigt, die Sysyphos-Aufgabe zu stemmen. Wie in der griechischen Sage ein praktisch unmögliches Vorhaben. Denn kaum schien das Gröbste erledigt, tauchten immer wieder neue Probleme auf. Irgendwann zog das Land die Notbremse. Der reinen Sanierungslehre entspricht die gewählte Deckel-drauf-Variante nicht gerade, scheint aber wissenschaftlich vertretbar und wirtschaftlich geboten. Wahre Feierstimmung wird mit dieser Fliege im Sektglas nicht aufkommen. Statt Jubelrufen gibt es eine Mischung aus Seufzern, Aufatmen und der Hoffnung, dass das bedeckte Material ewig friedlich schlummert und sich der Umweltschaden in Grenzen hält. m.hormes@volksfreund.de

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