Dem Trübsinn ein Ende

TRIER. Alle Jahre wieder erfreuen die Parteien zu Wahlkampfzeiten das Herz und das Auge des Betrachters mit fantasievollen, originellen, inhaltsträchtigen und aussagekräftigen Wahlplakaten. Der umworbene Wähler strahlt, darf er die Pracht am Straßenrand in seiner Eigenschaft als Steuerzahler doch finanzieren.

Wer liest zum Beispiel so etwas nicht gerne: "30-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich" fordert die Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands, und man sucht als Mittvierziger am nächsten Lichtmast unwillkürlich nach dem Schild, das für die ungekürzte Altersrente ab 45 wirbt. Ein Ausbund an Realismus ist dagegen FDP-Veteran Rainer Brüderle mit seiner Gleichung "Mehr FDP = weniger Steuern = mehr Arbeitsplätze". Kandidat mit Konfirmanden-Charme

Wahrscheinlich meint er die Arbeitsplätze für drei FDP-Minister und Steuererleichterungen für Parteispenden. Zum Ausgleich tut die FDP auch etwas für die Jüngsten der Gesellschaft - sie stellt sie als Bundestagsbewerber auf. Der Trierer Direktkandidat Christoph Pitsch lächelt jedenfalls von seinen Plakaten mit dem Charme eines leicht verspäteten Konfirmanden. Sein SPD-Kontrahent Karl Diller, über das durchschnittliche Vorruhestandsalter längst hinaus, ist das Altersphänomen schlechthin. Von Legislaturperiode zu Legislaturperiode wirkt er auf seinen Plakaten immer jünger. Die Segnungen der Schönheitschirurgie? Eher unwahrscheinlich. Ein Computer-Fotoshop auf dem neusten Stand der Technik? Mag sein. Vielleicht ist die Politik für den Hermeskeiler aber auch einfach ein optischer Jungbrunnen. Wenn es so weitergeht, kann er sich 2030 um den Bundesvorsitz der Jungsozialisten bewerben. Die älteren Sozialisten präsentieren einen Oskar Lafontaine, der mit seinen üppigen Gesichtsformen auf den Mammut-Plakatwänden wie eine Reinkarnation des allen Asterix-Fans bekannten feisten Römers "Claudius Überflus" wirkt. Viel hübscher sind da die thematischen Motiv-Plakate der Linken mit der ästhetischen Anmutung eines Produkts des VEB Druck und Propaganda Gleisnitz-Sömmerda. Ihre Botschaft: Sekt für alle. "Dem Trübsinn ein Ende", steht auf einem quietschpinken Exemplar. Die Zeile stammt übrigens aus einem Lied von Grönemeyer. Titel: "Kinder an die Macht". Vor 20 Jahren hätten das die Grünen auch noch gesungen, inzwischen plakatieren sie "Ja zu Joschka". Früher hat man die Köpfe der Promis abgeschlagen, jetzt stellt man sie wie eine Reliquie am Straßenrand aus. Etwas frecher ist da die örtliche Bewerberin Corinna Rüffer. Nur was sie aussagen will, bedürfte einer feuilletonistischen Analyse. Ein selbstkritischer Hinweis auf die Kopflastigkeit der Grünen? Wilde Haarschnitt-Fantasien angesichts der Fransen von Frau Merkel? Daumen runter, aber für wen oder was? Reich-Ranicki, klären Sie! Gänzlich unerklärlich scheint dagegen der Fall mit den Republikanern. "Arbeit für Wojciech - Hartz IV für Deutsche?", lautet ihre rhetorische Frage. Als ob es nicht die anständigen deutschen Bauern und Winzer wären, die Ernte für Ernte nach den Wojciechs rufen, weil der Michel längst zu bequem und zu lahm geworden ist, um Spargel zu stechen oder Trauben zu lesen.Zielgruppenorientierung ist gefragt

Bernhard Kaster hingegen ist sich für nichts zu bequem. Der CDU-Kandidat pflegt sogar seine Wahlwerbung der jeweiligen Umgebung anzupassen. Rund um das Trierer JTI-Werk beispielsweise kämpft er plakativ für "Augenmaß bei der Tabaksteuer". Denkt man die Zielgruppen-Orientierung konsequent zu Ende, müsste vor dem Mutterhaus ein Kaster-Plakat mit dem Motto "Unsere Kopfpauschale versichert auch gegen Lungenkrebs" hängen. Geradewegs auf die Zielgruppe der Missgünstigen zielt übrigens das jüngste Produkt im Plakatwald. "Hier freut man sich auf die Kopfpauschale", raunt die SPD vor dem Hintergrund nobler Luxusyachten. Nein, man wolle keinen Neid-Wahlkampf, hatte Franz Müntefering noch vor wenigen Wochen versichert. Natürlich nicht. Aber ein bisserl hetzen wird doch erlaubt sein. Wo der Kanzler doch bekanntermaßen seinen Urlaub stets im Drei-Mann-Zelt mit Doris und Viktoria per Schlauchboot-Paddeltour auf der Leine zubringt...

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