Den Schulentwicklungsplan im Tornister

Trier · Es ist eines der heißesten kommunalpolitischen Themen in Trier: Wie geht es weiter mit den vielen Schulen der Stadt? Schuldezernentin Angelika Birk hat sich Rat geholt bei der bundesweit renommierten Agentur Biregio. Und die kündigt "einschneidende Vorschläge" an.

Trier. Einen alten Fuchs wie Wolf Krämer-Mandeau kann so schnell nichts mehr überraschen. Für hunderte von Kreisen, Städten und Gemeinden hat er Schulentwicklungspläne entworfen, unter anderem auch für Eifel und Mosel. Und doch hat ihn Trier zum Staunen gebracht: noch nie hätten er und sein Team "eine so extrem kleinteilige Grundschullandschaft" gesehen. Anders formuliert: kaum eine Stadt in Deutschland habe "so viele Schulen mit so vielen Klassen bei so wenigen Schülern". Und Krämer-Mandeau macht keinen Hehl daraus, dass er die Kleinstaaterei weder pädagogisch noch finanziell für sinnvoll hält.
Es ist der Vorteil externer Experten, dass sie Klartext reden können. Vielleicht hat die Schuldezernentin deshalb Krämer-Mandeau engagiert, um das havarierte Schiff der Trierer Schulentwicklungsplanung wieder in Bewegung zu bringen. Das hätte man auch fünf Jahre früher haben können, aber Schuldezernat und Stadtratsmehrheit waren seinerzeit der Meinung, ein - wie es hieß - "Gutachten von der Stange" sei für Trier nicht gut genug. Die Folgen sind bekannt.
Nun scheint die neue Strategie zu sein, die Wahrheit in kleinen, schnellen Dosen zu verabreichen. 120 Lehrer, Elternsprecher, Stadtratsmitglieder, Ortsvorsteher, dazu Vertreter von ADD und Landkreis kamen in die Arena, um mit einem Feuerwerk von 87 Grafiken bombardiert zu werden. Allerdings ohne konkrete Vorschläge für jede einzelne Schule. Die sollen bei einer zweiten Konferenz am 27. Juni folgen. Allerdings ließen die Aussagen der Planer durchaus einige Schlüsse zu, wohin die Reise geht.
Wie entwickeln sich die Schülerzahlen?
Überraschung: Laut Biregio ist mit mehr Schülern zu rechnen. Grund: der "Klebe-Faktor" (Krämer-Mandeau), der den Trierern einen wachsenden Anteil von Absolventen der Uni und der FH beschert, die sich entschließen, hier zu bleiben - um dann als junge Familien bevorzugt in der Nähe der Innenstadt oder einzelnen Neubaugebieten zu wohnen. Vorausgesetzt, die Stadt bietet ihnen bezahlbaren Wohnraum. Weil diese Gruppe alsbald Nachwuchs in die Welt setzt, steigt die Zahl der Trie rer Grundschüler von derzeit 3200 in den nächsten zehn Jahren auf 4000.
Was heißt das für die Grundschulen?
Prinzipiell könnten die Trierer Grundschulen diesen Anstieg ohne zusätzliche Lehrer und Klassen verkraften. Aber nur bei optimaler Verteilung, also dann, wenn die Plätze für Schüler auch da angeboten werden, wo die größte Nachfrage herrscht. Will man aber alle vorhandenen Standorte erhalten, auch die kleinen, muss man 20 zusätzliche Klassen an den gefragten Standorten einrichten - samt Lehrpersonal, Ausstattung und Baufläche. "Geld, das in Beton fließt, kann nicht mehr in die Köpfe fließen", warnt Krämer-Mandeau. Was ihm vorschwebt, ist seiner Folie 85 zu entnehmen: Räumlich großzügig ausgestattete, modernisierte Grundschulen - aber nur noch mindestens zweizügig. Sieben Grundschulen werden diese Größe nicht erreichen, auf einen Teil von ihnen käme wohl die Schließung zu.

Was wird aus den Realschulen plus?
Bittere Erkenntnis: Nur 20 Prozent eines Jahrgangs werden laut Studie eine städtische Realschule plus besuchen. Die anderen wandern aufs Gymnasium oder zu Privatschulen. Aus dem Potenzial der Stadt dürften selbst bei wachsenden Schülerzahlen nur zwei dreizügige R-plus zu bestücken sein. Derzeit sind es drei. Besonders problematisch sieht es für Ehrang aus, wo Biregio für die nächsten Jahre nur noch 40 bis 45 Fünftklässler erwartet - zum Leben zu wenig, denn das Land verlangt drei Parallelklassen mit einer Messzahl von je 25.
Was ist in den Gymnasien los?
Die Trierer Gymnasien bedienen immer weniger die Landkreise mit. Biregio sieht das grundsätzlich positiv, weil es die Stadt entlastet, warnt aber vor einem "Rückschlag-Effekt", falls Schulen im Kreis sich nicht auf Dauer tragen. Problematisch wird es aber auch umgekehrt, wenn - wie in Schweich - eine Schule aus dem Kreis einer benachbarten Schule aus der Stadt das Wasser abgräbt. Stadt und Umland seien "siamesisch verflochten", sagt Krämer-Mandeau, viele Probleme nur in Absprache lösbar.

Was tut sich bei den Förder- und Schwerpunktschulen?
Biregio rechnet damit, dass die Tendenz zur Inklusion zunimmt. Will heißen: Weniger Schüler mit Förderbedarf gehen auf separate Schulen, mehr machen von der Möglichkeit Gebrauch, unter spezieller Betreuung eine nahe gelegene Regelschule zu besuchen. Entsprechende Betreuungskapazitäten müssten dann aber eingeplant werden - was wiederum gegen "Zwergschulen" spricht. Allerdings setzt das auch voraus, dass das Land eine entsprechende Linie fährt.
Was wird aus dem Prinzip "Kurze Beine, kurze Wege"?
Experte Krämer-Mandeau sieht das skeptisch. Diese Forderung werde von Eltern erhoben, "wie man es gerade braucht". Sei die nächstgelegene Schule aus Sicht der Eltern die beste, bestehe man auf dem kurzen Weg. Halte man aber eine entferntere Schule für besser, gelte das Prinzip nicht mehr. Dann heiße es oft "kurze Beine, kurze Wege, kurzer Prozess".

Wie geht es weiter?
Am 27. Juni gibt Biregio Butter bei die Fische und und legt bei einer zweiten Konferenz konkrete Vorschläge auf den Tisch. Wolf Krämer-Mandeau hat mehrfach "einschneidende" und "unpopuläre" Maßnahmen angekündigt - über die freilich der Stadtrat nach den Ferien entscheiden muss. Der Druck ist dabei groß, weil die Aufsichtsbehörde ADD bereits angekündigt hat, keinerlei Mittel für Schulbau und -sanierung zu genehmigen, so lange kein tragfähiges Gesamtkonzept vorliegt.Meinung

Keine Zeit für Wunschkonzerte
Ironie des Schicksals: Was die neuen Experten am Ende vorschlagen, könnte gar nicht so weit entfernt liegen von dem, was die Verwaltung vor Jahren selbst wollte und was an der Zaghaftigkeit des Dezernats und dem Unwillen der Fraktionen scheiterte. Da hat Trier wertvolle und teure Zeit verloren. Der neue Anlauf ist klüger konzipiert. Denn er macht deutlich, dass Schulentwicklung kein Wunschkonzert ist, sondern an harten Fakten anzusetzen hat. Wer möglichst gute, vielfältige Schulen will, muss die begrenzten Mittel bündeln. Masse ist nicht Klasse, Fläche ist nicht Nähe. Es kommt auf die bestmögliche personelle, bauliche und ausstattungsmäßige Qualität der Schulen an - und die gehört dahin, wo die Nachfrage möglichst vieler Eltern zu erwarten ist. Das kann eben auch bedeuten, dass einige Schulen geschlossen werden. Das ist bedauerlich, aber richtig so. Maßstab für die Schulentwicklung muss die optimale Lösung für die Schüler von heute und morgen sein, und nicht vor einem halben Jahrhundert abgeschlossene Eingemeindungsverträge. Wer nur Besitzstände einklagt, wer Schule als Ersatzmaßnahme für verkorkste Stadtteilpolitik begreift, der erweist den Schülern einen Bärendienst. d.lintz@volksfreund.de

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