Den Unfreien auf der Spur

Rund 60 000 Menschen lebten im 4. Jahrhundert in der römischen Kaiserstadt Trier. Etwa jeder achte bis zehnte war ein Sklave. Uni-Wissenschaftlerin Dr. Andrea Binsfeld (38) erforscht das Leben der Unfreien.

 Andrea Binsfeld mit einem Beispiel antiker Sklaverei aus dem Rheinischen Landesmuseum: Die vier Frauen, die der sitzenden Dame beim Frisieren zur Hand gehen, sind Leibeigene. TV-Foto: Roland Morgen

Andrea Binsfeld mit einem Beispiel antiker Sklaverei aus dem Rheinischen Landesmuseum: Die vier Frauen, die der sitzenden Dame beim Frisieren zur Hand gehen, sind Leibeigene. TV-Foto: Roland Morgen

Trier. Was wäre das römische Imperium ohne Sklaverei gewesen? "Unvorstellbar!", sagt Andrea Binsfeld (Uni Trier), "seine Wirtschaft basierte zu einem großen Teil auf Sklavenarbeit, sein gesellschaftliches Leben ebenfalls."

Um so erstaunlicher, dass den in der Antike allgegenwärtigen "Unfreien" bisher erst wenig Beachtung aus archäologischer Sicht geschenkt wurde. Das soll sich jetzt ändern. Andrea Binsfeld ist Mitarbeiterin des Projekts "Forschungen zur antiken Sklaverei" der Mainzer Akademie der Wissenschaften und der Literatur.

Klischee vom Peitschen-Schwinger



Und das römische Trier bietet ihr ein großes Betätigungsfeld: "In einer so großen Stadt hätte ohne Sklaven gar nichts funktioniert. Keine beheizten Thermen, keine Wasserversorgung, kein Bauwesen."

Aber auch keine Annehmlichkeiten im privaten Leben. Das Klischee vom peitschenschwingenden Sklaventreiber trifft durchaus zu, aber es gibt auch die Leibeigenen, die etwa als Erzieher und Ammen hohes Ansehen genossen. Oder Kinder, die wie eigener Nachwuchs behandelt wurden und deren Verlust gleichsam schmerzte, "wie es die Marmorbüste erahnen lässt, die ein Herr für einen verstorbenen Achtjährigen hat setzen lassen". Andrea Binsfeld findet in Grabinschriften, auf Mosaiken und anderen Abbildungen und Literatur die Hinweise auf das harte Leben der Unfreien: "Ich tauche in deren Schicksale ein", sagt die gebürtige Saarländerin, die längst ihre alte Meinung von Archäologie revidiert hat: "Als Schülerin dachte ich, das sei brotlose Kunst, und habe nach dem Abi erst einmal ein Jurastudium begonnen, aber dann rechtzeitig gemerkt, dass die Altertumsforschung genau mein Fall ist." Ihre Magister- und ihre Doktorarbeit befassten sich mit christlicher Archäologie. 2006/07 arbeitete sie am "Amicus Treverensis" mit, dem Trierischen Volksfreund, wie er zu Zeiten Konstantins hätte ausgesehen haben können. Nun ist sie den Menschen auf der Spur, die durch Kriegsgefangenschaft, Verschleppung oder, weil sie keinen anderen Ausweg wussten, als sich selbst zu verkaufen, ihre Freiheit eingebüßt hatten. "Mit ihnen wurden lukrative Geschäfte betrieben, und ohne sie wäre Rom nichts gewesen", weiß die 38-jährige Schwiegertochter des renommierten ehemaligen Landesmuseums-Archäologen Prof. Dr. Wolfgang Binsfeld. Deshalb reagierte das Imperium auch so rigoros auf Aufstände wie den des legendären Spartakus (73 bis 71 v. Chr.). Eine der Erkenntnisse aus den bisherigen Forschungen: "Rom ohne Sklaverei - das war so unvorstellbar, dass selbst das Christentum keinen ernsthaften Beitrag zu seiner Abschaffung leistete."

Ein verstaubtes Thema? "Keineswegs", sagt Andrea Binsfeld; "Sklaverei ist in vielen Ländern immer noch aktuell. Nur heißt sie heute anders, zum Beispiel Kinderarbeit oder Zwangsprostitution."

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