Der CDU-Kandidat, den kein Mensch kennt

Ganz Trier stellt sich zwei Fragen: Wer bitte ist denn Enrico Schilling, und welche Wahl will er für die CDU gewinnen? Sein Konterfei grinst von in Trier und Konz verteilten Plakaten auf die Menschheit herab. Slogan: "Zukunft für die Stadt." Aber welche Stadt? Die Wahrheit liegt irgendwo da draußen.

So könnte eine Folge von "Akte X" beginnen. Die Bewohner und Besucher der Stadt Trier sehen einen Politiker, von dem sie noch nie gehört haben, und kein Mensch hat auch nur die geringste Ahnung, bei welcher Wahl der Kerl antreten will. Die Kommunalwahl läuft erst am 7. Juni 2009. Ist Trier durch einen Riss im Raum-Zeit-Gefüge ge rutscht und in einer anderen Dimension - mit anderen Politikern - gelandet? Oder hat die Chefetage der Trierer CDU eine Geheimwaffe ausgegraben und fängt jetzt schon mal an, diese dem Volk näherzubringen?

Der Riss in Raum und Zeit wäre eine schöne Theorie, vielleicht spielt die Eintracht ja in dieser Dimension in der Bundesliga. Doch zuerst soll doch bitte die CDU erklären, wer Enrico Schilling ist. "Das weiß ich doch nicht", knurrt Berti Adams, Fraktions-Chef im Stadtrat. Man kann sich den Metzgermeister während dieser Aussage gut mit einem großen Fleischermesser in der Hand vorstellen. "Das haben sich schon beim Landesparteitag in der Europahalle alle gefragt." Und keine Antwort darauf gefunden.

Doch diese Antwort liegt irgendwo da draußen. In der Gemeinde Tornau im Landkreis Wittenberg in Sachsen-Anhalt. Denn Enrico Schilling existiert und ist dort ehrenamtlicher Bürgermeister. Seine Wahlplakate sind weder Scherz noch Fälschung. Im März wollte er hauptamtlicher Bürgermeister der 8000-Einwohner-Stadt Gräfenhainichen werden, die 25 Kilometer südwestlich der Lutherstadt Wittenberg liegt. Doch er hat verloren. Enrico Schilling dementiert, dass er jetzt Bürgermeister von Trier werden will. Was auch vergeblich wäre, da 2009 kein solcher gewählt wird. "Ich war noch nie in Trier", gibt er zu. "Ich habe keine Ahnung, was meine Plakate dort verloren haben."

Keine Sorge, Herr Schilling. Sie sind quasi ein Opfer des Stabhochsprung-Meetings, das heute vor der Porta stattfindet. Die Schilling-Plakate klebten auf den Pappwänden, die - aus alten Beständen aufgekauft - für die Stabhochsprung-Plakate benutzt wurden. Offenbar gab es weder Zeit noch Gelegenheit, Enrico zu entfernen. Also blieb er drunter, der Stabhochsprung kam drüber. "Wir wissen nicht, wieso sich einige unserer Plakate gelöst haben, so dass Herr Schilling wieder zum Vorschein kam", sagt Thorsten Assion von der Firma Schneider Promotion & Transport GmbH, die für die Organisation des Stabhochsprung-Meetings verantwortlich ist. Trotzdem vielen Dank, Herr Assion. Einen derart witzigen Hintergrund hat die Trie rer Politik nur sehr selten.

Jörg Pistorius

Mehr zum Stabhochsprung-Meeting in Trier lesen Sie im Sport auf Seite 19

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort