Der fliegende Landarzt

Da flog er über unser Haus, der Hubschrauber Christoph zehn. Ich war sechs, vielleicht auch sieben oder acht - so genau weiß ich es nicht mehr. Mein Vater sagte meist, wenn er den Hubschrauber sah: "Da fliegt der Christoph, anscheinend ist irgendwo ein schlimmer Unfall passiert." Christoph hat einen Hubschrauber - wow, dachte ich.

Das ist ja ein toller Mann, wenn der einen eigenen Hubschrauber hat. Der Hintergrund: Unser Dorfarzt heißt Christoph - und die Schlussfolgerung war damals eine leichte: Unser Arzt hat einen Hubschrauber - was für ein toller Arzt. So sah ich ihn jedes Mal, wenn der Notarzthubschrauber am Himmel entlangflog, in seinem Hubschrauber sitzen, auf dem Weg, ein Menschenleben zu retten. Bis zu dem Tag, als die schmerzliche Ernüchterung kam: Christoph war gar nicht unser Arzt, sondern einfach nur ein Rettungshubschrauber - wie langweilig. Wie peinlich! Jahrelang verheimlichte ich meine Unwissenheit, aus Angst, jemand könnte über mich lachen.

Umso schöner war der Tag, als mir eine gute Freundin in einem überschwänglichen Austausch jugendlicher Peinlichkeiten erzählte: "Als ich klein war, dachte ich immer, das Forsthaus Klink bei Mandern sei ein realer Ableger der Schwarzwaldklinik - jedes Mal, wenn wir dort vorbeigefahren sind, hat mein Hirn ein zusätzliches ,i' in den Namen des Restaurants geschrieben."

Heute sind wir beide schlauer. Und wenn ich es recht bedenke, so schlecht war die Idee mit der Forsthaus-Klinik ja gar nicht. Sascha Hehn als Halbgott in Weiß in den Tiefen des Hochwalds - die touristische Attraktivität wäre definitiv gesteigert, und mehr als ein Frauenherz hätte Ende der 80er für die Region geschlagen. Und vielleicht hätte sich ja auch noch ein Plätzchen für meinen Traum vom fliegenden Landarzt gefunden…

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