Der fremde Nachbar

METZ. Knapp fünfzig Jahre ist es her, dass die Nachbarstädte Trier und Metz ihre Partnerschaft beschlossen. Damals ein kühner Schritt, gut ein Jahrzehnt nach Ende des Zweiten Weltkriegs. Die Beziehung begann stürmisch, erlebte innige und weniger innige Zeiten, schlief fast ein, ging langsam in routinierte Freundschaft über, bevor sie zuletzt im Zeichen der Großregion eine kleine Renaissance auf politischer Ebene erfuhr. Aber verbindet die Menschen beider Städte noch mehr als solide Nachbarschaft?

Sur le Boulevard. Eine Prachtstraße stellt man sich anders vor. "Boulevard de Trèves", das klingt nach Geschäften, Restaurants, Flaneuren. Aber die Trierer Straße in Metz ist ein graues Stück Stadtautobahn kurz vor dem Ortsende-Schild. Bei schönem Wetter würden die vorbeiflitzenden Autos vielleicht noch eine Spur Charme entwickeln, aber der Sprühregen verbreitet Desillusionierung in feinen Tröpfchen. Was, wenn diese Straße den Stand der Partnerschaft symbolisiert? Der Gedanke drängt sich auf, nachdem man das einzige Straßen-Namensschild im Umkreis von 200 Metern ausgemacht hat. Ein einsamer Fußgänger zwängt sich durch den Matsch, den die Autoreifen bei jeder Umdrehung auf das Trottoir schleudern. Didier Stammbach lacht, als er unser Anliegen hört. "Boulevard de Trèves?" - da hätten wir uns wirklich was Schöneres aussuchen können. Klar kennt er die "Jumelage" mit Trier, war auch schon zwei Mal da, um die "Porte noire" zu besichtigen. Wo immer wir an diesem Tag erzählen, dass wir aus Trier kommen, stoßen wir auf freundliche Gesichter, gesprächige Menschen. Aber auch auf die Geschichte dieser Grenzregion, deren Launen dafür gesorgt haben, dass Metz oft deutsch und Trier oft französisch war, verbunden mit vielen Versehrungen und Zerstörungen. Da sind Wunden geblieben. Didier Stammbach, Jahrgang 1941, erzählt von seinem Familienstammbuch daheim, in dem sein Vorname von der deutschen Präfektur zwangsweise in "Dietrich" geändert wurde. Da sei "noch der Hitler-Stempel drauf", sagt er, aber es klingt keine Bitterkeit durch. Im Übrigen werde es wirklich mal wieder Zeit, die Beziehung zu Trier durch einen Besuch aufzufrischen. In der Festung. Wer den Boulevard de Trèves vergeblich auf der Suche nach einem einzigen Anlieger abgelaufen ist, wird kurz vor Ende doch noch fündig. Eine gigantische Kasernenanlage erstreckt sich zu beiden Seiten der Straße, die gelben Jaumont-Kalk-Wände leuchten durch alle Abnutzungserscheinungen hindurch. "Erbaut 1878" steht auf Deutsch am mächtigen Fort de Belcroix, wo ganze Wälder auf den Dächern wachsen. Schon wieder diese verflixte Geschichte, diesmal das 19. Jahrhundert. Die Fenster sind vernagelt, nur eine Halle lässt ahnen, dass sie noch benutzt wird. Wo bis vor 15 Jahren in der "Boulangerie"-Fabrik Backwaren für die französische Armee produziert wurden, ist nun die Stadtreinigung untergeschlüpft. "Ah, Trèves", ruft Vorarbeiter Jean-Marc Maurice, "bien sur" kenne man die Partnerstadt, zumindest in seiner Generation, anders als bei den Jüngeren. "C'est beau, votre marché de Noel!", schwärmt er. Der Trierer Weihnachtsmarkt ist inzwischen das stärkste Identifikations- Element für die Bürger der Nachbarstadt. Und nicht wenige glauben, dass der neue Weihnachtsmarkt in Metz aufgrund des Trierer Vorbilds entstanden ist. Schließlich fahre Bürgermeister Jean-Marie Rausch regelmäßig privat vor den Feiertagen zum familiären Bummel über den Trierer Hauptmarkt, flüstern die Auguren in der Mairie. Au coeur de la Ville. Bürgermeister Rausch residiert an der Place d'armes, mitten im Herzen der Stadt. Ein Patriarch von 76 Jahren, gestählt in unzähligen Polit-Schlachten, Mitglied diverser französischer Regierungen. Er denkt gerade über eine weitere Amtszeit nach, es wäre seine siebte seit 1971. "Ich baue einen neuen Stadtteil", sagt er in gutturalem Deutsch über seine neuesten Pläne. Er meint das wörtlich. Triers OB Helmut Schröer, dessen Vermittlung den kurzfristigen Termin im Allerheiligsten möglich gemacht hat, guckt ein bisschen neidisch. Wahrscheinlich würde er auch gerne so regieren. Für Jean-Marie Rausch ist die Partnerschaft Trier-Metz einfach Realität. Auch wenn bei den offiziellen Beziehungen in Sachen Kultur, Sport oder Vereine derzeit nicht viel los ist, wie er einräumt. Seine Mitarbeiter schauten "im Moment eher in andere Richtungen". Aber auf privater Ebene funktioniere der Kontakt, so wie bei ihm selbst, seit es ihn als Jugendlichen in den ersten Nachkriegstagen zur Ferienzeit in die Nähe von Trier verschlug. Sogar die Incognito-Besuche beim Trierer Weihnachtsmarkt gebe es tatsächlich, schmunzelt Rausch. Auf amtlicher Ebene setzen Rausch und Schröer, die Duz-Freunde, auf "Quattropole", das Städtenetz, das seit sechs Jahren Trier und Metz mit Saarbrücken und Luxemburg verbindet. Da tut sich jede Menge, von der Wirtschaftsförderung über modulare Sprachkurse bis zu Internet- Portalen. Man hat vieles vor, und die traditionelle Partnerschaft wirkt vor dem Hintergrund dieser Hightech-Verschwisterung fast altbacken. Kein Wunder, dass es so etwas wie eine Trier-Gesellschaft in Metz nicht gibt. Und trotzdem: Einen Traum aus früheren Tagen hat Rausch behalten, den von einer direkten Schiffsverbindung zwischen Trier und Metz. "Da würden die Menschen besser begreifen, dass beide Städte an der Mosel liegen". Über den Wogen. Sanft überspült das leichte Hochwasser der Moselle die Auen des "Parc du Luxembourg". Bei 190 Flusskilometern bis Trier und einer Geschwindigkeit von vier Stundenkilometern werden die Wellen, die gerade unter der "Pont des Morts" hindurchströmen, übermorgen um die gleiche Zeit an der Trierer Römerbrücke ankommen. Das kümmert Maxime Roland wenig. Der 16-jährige Schüler hat von einer Partnerschaft Trier-Metz noch nie gehört. "Non, jamais", antwortet er auf die Frage, ob man in der Schule schon mal darüber geredet hat. Dabei gibt es zwischen dem Trierer Hindenburg-Gymnasium und dem Collège Robert Schuman in Metz einen regelmäßigen Austausch- und nicht nur da. Aber zumindest bei Maxime und seinem Bekanntenkreis hat sich das nicht herumgesprochen. Dabei mag er deutsche Städte, war schon in "Kolonje" und "Ambuhr". Aber Triährr? War da nicht "quelque chose avec les Romains?" Da muss er sich doch mal gelegentlich erkundigen. Im Schatten der Kathedrale. Maxime bräuchte gar nicht weit zu laufen. Valentine Vernier könnte ihm alles über Metz, Trier und die Römer erzählen. Defnn neben dem Krieg, der Großregion und der Mosel ist die Antike das vierte Bindeglied zwischen den beiden Städten. Und Valentine, Presse-Attachée bei der Tourist-Information gleich neben der prächtigen Kathedrale, könnte ihm sicher eine Menge erzählen über Julius Caesars Truppen, die dermaleinst auf dem Weg nach Trier auch Metz eroberten und eine Fülle spannender Zeugnisse hinterließen. Aber sie führt auch Prospekte aus dem aktuellen Trier am Quattropole-Stand mit seinen modernen Auslagen. Trierer Besucher kehren hier öfter ein, so wie in den Cafés auf der Place St. Jacques, wo Einheimische und Touristen sich drängen, sobald das Thermometer mehr als fünf Grad zeigt. Sie kommen zur Besichtigung, für Kulturveranstaltungen oder zum Einkaufen auf dem riesigen Frischmarkt. Was umgekehrt in Trier los ist, spricht sich in Metz nur mühsam rum. Die Landesgartenschau hat man hier registriert, die Völklinger Hütte ist ein Begriff. Sonst weiß man wenig. "Mais ca commence", sagt Brigitte Demski von der Tourist- Info auf die Frage nach dem Bewusstsein für die Partnerschaft Trier-Metz. Merkwürdig, wenn etwas nach 50 Jahren erst anfängt. Aber nicht chancenlos. Beim Partisanen. Remy Tritschler wundert sich längst nicht mehr über die Aufs und Abs der Jumelage. 35 Jahre amtiert er nun als Dezernent, und mehr als jeder andere hat er in den siebziger Jahren die Städtefreundschaft angetrieben. Zusammen mit dem Trierer Kulturdezernenten Walter Blankenburg, "einem wirklich guten Freund", wie er mit unverkennbarer Herzlichkeit erzählt. Ein "Partisan für die Partnerschaft" sei er immer noch. Aber da komme nichts Vergleichbares mehr nach bei den Jüngeren. Die fabelhafte Zusammenarbeit, der Geist der Gemeinsamkeit, all das sei der Routine gewichen. Doch Tritschler, der Veteran, ist kein Fatalist. Die Städtepartnerschaft spiegele nur die gesellschaftliche Entwicklung wider, sagt er. "Die Leute interessieren sich nicht mehr für ihren Nachbarn in der Straße, warum dann für den auf der anderen Seite der Grenze?" Ein Projekt wie Quattropole hält er für "nötig, aber nicht ausreichend, weil es nur ökonomisch orientiert ist". Wer Verständigung wolle, müsse "auf Freundschaft setzen, nicht nur auf Wirtschaft". Das, so sein Vermächtnis, "können wir Alten nicht allein, dafür brauchen wir die Jugend". Die sei auch heute noch für eine Städtepartnerschaft zu motivieren, glaubt Tritschler. "Aber nur, wenn man sich wirklich anstrengt".

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort