Der Gelehrte und die Geladene

Die Trierer SPD hatte zwar Professor Friedhelm Hengsbach und seine Thesen über den Mindestlohn in den Mittelpunkt ihres Neujahrsempfangs in den Viehmarkt-Thermen gestellt. Doch die wirkliche Protagonistin war Malu Dreyer. Geladen und mit blitzenden Augen stand die SPD-Chefin und Ministerin gestern am Rednerpult.

 Wenn sie spricht, hört man zu: die Trierer SPD-Chefin Malu Dreyer am Rednerpult beim Neujahrsempfang. TV-Foto: Jörg Pistorius

Wenn sie spricht, hört man zu: die Trierer SPD-Chefin Malu Dreyer am Rednerpult beim Neujahrsempfang. TV-Foto: Jörg Pistorius

Trier. (jp) "Ja, ich bin die Vorsitzende der Trierer SPD. Ja, ich bin Ministerin. Ja, ich bin die Ehefrau des Oberbürgermeisters. Dennoch nehmen wir wichtige politische Themen nicht mit ins Bett." Malu Dreyer hätte in diesen Sekunden wahrscheinlich gar kein Mikro gebraucht. Keiner der Gäste aus Wirtschaft, Politik und Kirche macht auch nur das leiseste Geräusch. Niemand wollte auch nur die kleinste Nuance verpassen. Es ging wieder einmal um die Beteiligung der Stadtwerke am modernen Kohlekraftwerk in Hamm. Die SPD hatte sich offiziell gegen diese Beteiligung ausgesprochen, war aber überstimmt worden (der TV berichtete). OB Klaus Jensen hatte sich den Argumenten der SPD-Spitze deckungsgleich angeschlossen. Dreyers Botschaft: Wer es aufgrund dieser Entscheidung wagen sollte, die Unabhängigkeit meines Mannes anzuzweifeln, bekommt es mit mir zu tun.Professor Friedhelm Hengsbach gilt als einer der führenden Sozialethiker Deutschlands. Zu diesem theoretischen Unterbau kommt eine ausgezeichnete Eloquenz und eine Gestik, die den Eindruck erweckt, als dirigiere der Priester, Philosoph und Ökonom ein Orchester. "Es gelingt den Gewerkschaften nicht mehr, in Tarifverhandlungen auf gleicher Augenhöhe zu verhandeln", sagte Hengsbach. "Es gelingt nicht mehr, eine solche Verhandlungsposition aufzubauen, dass ein Vollzeit-Erwerbstätiger von seinem Lohn auch halbwegs menschenwürdig leben kann." Was ist zu tun? "Die politisch Verantwortlichen müssen sich öffentlich für die Tarifautonomie einsetzen", erklärte der Professor. "Sie ist der erste Schritt, um die totale Vermarktung menschlicher Arbeit in Grenzen zu halten." Ein Mindestlohn müsse eine Balance finden. Ist er zu hoch, gefährdet er Arbeitsplätze. Ist er zu niedrig, wird er sinnlos. "Diese Balance soll keine Arbeitsplätze abbauen, aber an dem Leitbild festhalten, dass Menschen durch Arbeit gesellschaftlich integriert sind und dass derjenige, der arbeiten will und kann, an den sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Gütern der Gesellschaft teil hat."Die Frage nach einer Mindestlohn-Höhe entziehe sich der Analyse. "Es gibt keinen objektiven, exakt bestimmbaren Maßstab für die wirtschaftliche Leistung und das angemessene Entgelt. Was der gerechte Lohn ist, kann niemand präzise sagen."

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort