„Der größte Flop aller Zeiten“

TRIER. Enttäuschend, bürokratisch, ineffizient: Das Urteil über die neue Grundsicherung fällt verheerend aus. In Trier entwickelt sie sich zum Arbeitsbeschaffungsprogramm für die Verwaltung.

 Unbeschwerter Lebensabend – so wünscht man sich das Alter. Aber nicht jeder kommt in den Genuss. Foto: Vetter.

Unbeschwerter Lebensabend – so wünscht man sich das Alter. Aber nicht jeder kommt in den Genuss. Foto: Vetter.

Alois Schmitt (Name geändert) ist bitter enttäuscht. „Wenn ich kein Mann wäre, würde ich jetzt heulen“, sagt der 67-Jährige. Hoffnungsvoll ist er zum neuen Grundsicherungsamt bei der Trierer Stadtverwaltung gekommen, frustriert geht er wieder nach Hause in seine winzige Eineinhalb-Zimmer-Wohnung.Alois Schmitt, dessen Mini-Rente hinten und vorn nicht zum Leben reicht, ist Sozialhilfe-Empfänger. Mit Freude hat er im letzten Jahr von den Plänen der Regierung gehört, Menschen, die von „Alters-Armut“ betroffen sind, aus der Sozialhilfe rauszuholen und ihnen einen Anspruch auf „Grundsicherung“ zuzubilligen.Wie viele andere hat sich Schmitt aufgemacht, um einen Antrag zu stellen. Und tatsächlich: Die Grundsicherung steht ihm zu. Das war die gute Nachricht. Die schlechte: Weil er wegen einer Magenerkrankung über die Sozialhilfe auch einen besonderen ErnährungsZuschuss erhalten hat, den es bei der Grundsicherung nicht gibt, bleibt weniger Geld als vorher.Konsequenz: Alois Schmitt muss sich beim Sozialamt wieder anstellen, um nicht schlechter zu stehen als bisher. Kein Einzelfall. Fast 700 Menschen wurden bei der Trierer Stadtverwaltung von der Sozialhilfe in die Grundsicherung „umgeschichtet“ – mit einem Bearbeitungsaufwand von drei Stunden pro Antrag. „80 Prozent“, konstatiert Sozialdezernent Bernarding fassungslos, „landen dann doch wieder bei der Sozialhilfe“.Dort müssen sie natürlich wieder „bearbeitet“ werden – ein Dauerzustand, befürchtet Dieter Schuler, Amtsleiter beim Grundsicherungsamt, das in Trier 22 Mitarbeiter umfasst. Bernarding spricht schon vom „größten Flop aller Zeiten“. Die Verwaltung betreibe im Auftrag des Bundes „einen Riesenaufwand, den uns keiner bezahlt“.Und das gilt nicht nur im Bereich der Sozialhilfe-Empfänger. Haupt-Adressat der Reform waren diejenigen, die bislang überhaupt keine Leistungen in Anspruch genommen haben, obwohl sie Anspruch hätten. „Verschämte Armut“ heißt das im Fachjargon. Kurt Bösen (Name geändert) wird sauer, wenn er diesen Begriff hört. Als arm würde er sich nicht bezeichnen, auch wenn sein regelmäßiges Einkommen am Rand des Existenzminimums liegt. Aber als er von den Einkommensgrenzen hörte, die zur Grundsicherung berechtigen, sah er eine gute Chance, seine magere Finanzsituation zu verbessern.Doch auch ihm war kein Glück und erst recht kein Geld beschieden. Der 64-Jährige hat auf seinem „eisernen Sparbuch“ 5000 Euro gebunkert – für die Beerdigung „und einen ordentlichen Grabstein“, denn er will den wenigen Verwandten, die er hat, „nicht zur Last fallen“.Aber solche „Vermögen“, wie es im offiziellen Sprachgebrauch heißt, müssen offengelegt werden – und damit liegt Bösen oberhalb der zulässigen Freigrenze. Wie die meisten der Antragsteller, die bisher keine Mittel von Vater Staat erhalten haben. 618 solcher Anträge wurden in Trier gestellt, knapp die Hälfte wurden bisher bearbeitet. Ergebnis: 18 stolze Grundsicherungs-Bezieher.„Das ist deprimierend“, sagt Georg Bernarding, „die geweckzen Erwartungen wurden in keiner Weise erfüllt“.Und wer in den Genuss der Regelung kommt, kann sich nicht über Reichtümer freuen: 40 bis 50 Euro sind laut Amtsleiter Schuler im Schnitt fällig. „Die Leute sind teils sauer, teils enttäuscht“, hat er beobachtet. Sein Amt habe versucht, „möglichst intensiv zu beraten, um zwecklose Anträge von vornherein zu verhindern“. Aber die Informationspolitik der Renten-Träger sei „viel zu spät in die Pötte gekommen“ und habe die Leute „eher irritiert“.So herrscht wenige Wochen nach Einführung der Grundsicherung allseitiger Frust. „Die haben das wahrscheinlich gut gemeint“, sagt Kurt Bösen. „Aber gut gemeint und gut gemacht sind zweierlei“.

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