Der Herr des Organismus'

TRIER. Er war der Wolf im weißen Kittel. Professor Boesken kam 1982 nach Trier ans Brüderkrankenhaus. Nun hat er die klinische Arbeitskleidung an den Nagel gehängt und beginnt einen neuen Lebensabschnitt – doch auch im Ruhestand kann er nicht ganz von der Medizin lassen. Vom heimischen Computer aus betreibt er eigenständig Labor-Beratungen.

"Ich wollte eigentlich nicht Arzt werden" - im Rückblick auf die nunmehr 41-jährige Karriere des Mediziners klingt die Aussage fast ironisch. Aber Boeskens Lebenslauf verlief nicht schnurgerade: Erst liebäugelte er mit einem Medizinstudium, verwarf diese Idee, da er "höchstens mittelmäßig gewesen wäre". So studierte er Chemie, sattelte aber bereits nach einem Semester auf die Medizin um. Das war 1960. Der damals 19-Jährige war nicht nur wissensdurstig, sondern suchte auch den Blick über den Tellerrand. Die Liste seiner Studienorte liest sich wie ein Reiseführer-Auszug: Münster, Innsbruck, Wien und Freiburg. Zumeist sind es jedoch Personen, an die er sich erinnert: "Wir hatten einen Gynäkologen, der kam immer mit einer schwarzen Pelerine zur Vorlesung. Er war lehrreich, weil er eine Persönlichkeit war." Nach einem Jahr New Jersey und einem dreijährigen Intermezzo an einem Max-Planck-Institut hatte Wolf Boesken genug von Ratten und Mäusen. Wissenschaft und Forschung waren ihm auf Dauer nicht genug: "Das Krankenhaus war für mich eine gute Alternative zwischen der Arbeit am Menschen und der Wissenschaft." Der Wechsel von Freiburg nach Trier war nicht leicht. Zum einen musste er seine heiß geliebten Berge verlassen, die ihm in so mancher Mittagspause als Wintersportterrain dienten, zum anderen war seine Gattin nicht wirklich begeistert: "Wäre es nach ihr gegangen, wären wir in Freiburg geblieben." Die Verlockungen des Brüderkrankenhauses waren jedoch größer. Boesken wurde als Verantwortlicher für die Neuordnung der Inneren Abteilung eingestellt, die zunächst in zwei, vor zehn Jahren sogar in drei Teilbereiche gegliedert wurde. So konnte er neue Schwerpunkte ausbauen, wobei er sich als Chefarzt der Inneren II vor allem den Bereichen der Nephrologie (Nierenerkrankungen), der Rheumatologie und der Diabetologie widmete. Dass sich in den letzten 22 Jahren viel verändert hat, führt er auch auf das sich stets wandelnde Selbstbild der Ärzteschaft zurück. Zur Veranschaulichung kreiert er eine typische Mediziner-Metapher: "Ein Krankenhaus ist wie ein großer Organismus von Ärzten, die sich gegenseitig bereichern." Dass er diesen pulsierenden Arbeitsplatz nun verlassen muss, ist sicherlich nicht leicht. Seinen heiß geliebten Schreibtisch hat er dem Nachfolger übergeben, nur die neue Schreibtischlampe zeugt von dem vollzogenen Generationswechsel auf dem Chefarztposten. Als belastend hat er seinen Beruf nie empfunden: "Ich lebe diesen Beruf, ähnlich wie früher der Handwerksmeister seine Werkstatt im eigenen Haus hatte. Mitfühlen ist dabei möglich, mitleiden nicht." Momente, die ihn trotz der notwendigen Distanz emotional berührten gab es: "Wenn einer deiner langjährigen Patienten aus dem Koma erwachte und dich erleichtert mit den Worten "Oh, Herr Professor, Sie sind da" begrüßt, dann ist das eine der schönsten Wertschätzungen", erzählt er mit nachdenklichem Blick. Auch wenn er nun den Luxus des Ausschlafens und mehr Zeit für Spaziergänge oder sein musikalisches Steckenpferd (spielt Querflöte und Klavier) genießt, nimmt Boesken den Ruhestand nicht wörtlich. Seine Tätigkeit im Aufsichtsrat der Deutschen Arbeitsgemeinschaft für klinische Nephrologie, als Vorstand der Landesärztekammer Mainz sowie seine hauseigene Labor-Beratung beanspruchen ihn weiterhin. Die ungewohnte Anwesenheit zu Hause ist auch für seine Ehefrau Neuland. Wolf Boesken schmunzelt und sieht dem recht gelassen mit einer Portion Hausmannshumor entgegen: "Wir kommen uns nicht ins Gehege, ich hab auch vorher schon gespült."

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