Der Schlichter vom Kiez Nord

TRIER-NORD. Beleidigung, Mobbing, Handgreiflichkeiten - Anzeige. Doch bei kleineren Hahnenkämpfen im privaten Kreis kräht oft kein Staatsanwalt nach einem Prozess. Statt vor dem Kadi müssen sich in solchen Strafsachen erzürnte Rheinland-Pfälzer erstmal vor dem Schiedsmann treffen.

"Arschloch!" Gerhard Nordhausen wendet sich leicht ab und erklärt: "Früher hat so eine Beleidigung 6000 Mark Strafe gekostet. Jetzt sind es - wenn überhaupt - noch 60 Euro." Die Zeiten haben sich geändert - auch für den Streitschlichter von nebenan. Seit 27 Jahren leistet Schiedsmann Nordhausen versöhnliche Nachbarschaftshilfe unter den rund 14 000 Bürgern in Trier Nord: "Die Maßstäbe und das Publikum sind anders geworden. Es gibt weniger Ärger hier", resümiert er. Wenn der Ehrenbeamte auf den Schlips getretene Bekannte oder geohrfeigte Freunde aus seinem Revier wieder an einen gemeinsamen Verhandlungstisch bringt, heißt das amtlich "Sühneversuch" und ist nach Landesrecht Vorraussetzung für den Gang zum Strafgericht. Aber so weit käme es dann meist gar nicht mehr, betont der 69-Jährige. "80 Prozent meiner Fälle enden gütlich", sagt er stolz. Nur leider würden immer weniger Leute überhaupt kommen, um ihren Ärger einvernehmlich zu begraben: "Das Schiedsamt steht heute da wie ein Aschenputtel, und wenn das so weiter geht, fällt es bald in einen Dornröschenschlaf", beschreibt Nordhausen die gar nicht märchenhaften Aussichten der Traditionsinstitution. Nur noch ein Drittel der Anfragen von vor 20 Jahren hat er heute zu bearbeiten, sagt der ältere Herr im grauen Anzug etwas traurig - und dabei lägen seine aktuellen Zahlen sogar noch über dem Durchschnitt der neun Trierer Schiedsstellen. "Die Leute wissen gar nicht mehr, dass es dieses Amt gibt", vermutet Jutta Terner. Die Leiterin des Amtsgerichts Trier, das Gerhard Nordhausen durch seinen Einsatz entlasten soll, schüttelt den Kopf: "Die Leute beschweren sich über zu hohe Verfahrenskosten, bringen aber minimale Streitwerte bis vor Gericht." Dabei wären Verhandlungen bei den Schiedsstellen nicht nur recht, sondern auch billig. Die normale Gebühr betrage gerade mal 20,46 Euro - rechtsverbindliche Einigung inklusive. "Mit allen Auslagen hat bei mir noch niemanden mehr als fünfzig Euro gezahlt", bekräftigt Nordhausen. Auch außerhalb der strafrechtlichen Bagatellfälle wünschte sich der fortgebildete Rechtslaie in kleinen zivilrechtlichen Fragen zunächst die Zuständigkeit des Schiedsmannes. In anderen Bundesländern müssten jetzt alle Streitwerte bis 750 Euro zunächst bei den Schiedsstellen vorgestellt werden. "Grotesk ist dann nur, wenn in immer mehr Schiedsverhandlungen Rechtsanwälte mit den betroffenen Parteien sitzen." Auch wenn er selber keine Probleme mit den Anwälten habe und viele Leute einfach ihren Rechtsschutz ausnutzen wollten, werde doch mit Kanonen auf Spatzen geschossen. Mobbingfälle im privaten Umfeld seien jetzt immer häufiger Thema bei seinen Verhandlungen im Bürgerhaus Nord, die "auch schon mal eine ganze Nacht" gedauert hätten. Aber die erinnernswerteste Amtsgeschichte ist Schiedsmann Nordhausen schon vor langem passiert: Zwei zerstrittene Nachbarn - "Männlein und Weiblein" - habe er wieder miteinander versöhnt. Und zwar ganz besonders gut: "Später haben die beiden tatsächlich geheiratet. Und ich war zur Hochzeit eingeladen", freut er sich über den glücklichsten Verhandlungsausgang seiner Ehrenlaufbahn.

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