Der Tag, an dem die Amis kamen

TRIER. Das erste wichtige Etappenziel auf deutschem Boden erreicht die 3. US-Armee am 2. März 1945. Um 10 Uhr an jenem Freitag hisst Captain Robert Wilson auf dem Hotel Porta Nigra das Sternenbanner, und General George Patton funkt seinem Oberbefehlshaber Dwight D. Eisenhower: "Wir haben Trier eingenommen."

Trier ist die erste große deutsche Stadt, die Pattons Männer erobern. Hinter ihnen liegt ein langer und verlustreicher Weg. Bereits am 7. Februar überqueren Einheiten der 76. US-Infanterie-Division die Sauer bei Echternach. Der Hochwasser führende Fluss aber hat zahlreiche der schwer beladenen und unerfahrenen jungen Soldaten in den Tod gerissen. Ihre Kameraden erreichen Ende Februar die Kyll und stoßen dann auf Trier vor. Auf der anderen Seite der Mosel setzen personell noch relativ starke deutsche Verbände den Amerikanern schwer zu. Die 94. US-Division und die 10. Panzerdivision, die in der Nacht zum 27. Februar bei Schoden über die Saar gesetzt und den Westwall durchbrochen haben, sehen sich im Raum Zerf/Lampaden Wehrmachts-Einheiten und der 6. SS-Gebirgs-Division Nord gegenüber, die sie in schwere Kämpfe verwickelt. Während die deutschen Truppen auf sich alleine gestellt kämpfen und keinerlei Unterstützung etwa von der Luftwaffe erwarten dürfen, können die bestens ausgerüsteten und gut verpflegten Amerikaner auch auf eine funktionierende Luftaufklärung bauen. Sie lassen eine starke Einheit über Pellingen auf den Weg nach Trier schwenken. Auch sie stößt auf heftigen Widerstand. Auf den Bergrücken und am Stadtrand stationierte Luftabwehr-Einheiten fügen mit ihren 8,8-cm-Geschützen den vorrückenden Panzerkolonnen hohe Verluste bei, vermögen die Amerikaner aber nicht vom Vormarsch abzubringen. Bereits am Nachmittag des 1. März erreichen sie den Grüneberg und kontrollieren von dort aus den Stadtausgang Richtung Ruwer. Ihre Sherman-Panzer rollen dann durch Weinberge und Gärten talwärts und gehen an der Pfalzeler Brücke in Stellung. Um 16 Uhr passieren 13 Panzerfahrzeuge mit aufgesessener Infanterie die Zementbrücke bei Kürenz, bleiben aber wenig später stehen. Die US-Truppen haben keine Eile mehr. Sie lassen die Nacht verstreichen, um dann zielsicher Nägel mit Köpfen zu machen. Die in Trier verbliebenen deutschen Soldaten - Nazi-Funktionäre haben sich schon längst aus dem Staub gemacht - stehen auf verlorenem Posten. Ihre wahren Feinde: Hunger, Durst, Übermüdung, Ungewissheit. Alles in allem ist es ein zusammengewürfelter, schlecht ausgerüsteter Haufen, über den der Kampfkommandant Oberst Beckmann gesagt haben soll, mit 500 besoffenen Volkssturm-Leuten lasse sich die von Hitler befohlene "Festung Trier" nicht verteidigen. Der Alkohol spielt in Triers letzten Kriegsstunden in der Tat eine Rolle und wohl eine größere als bisher angenommen. Während am Nachmittag des 1. März auf der linken Moselseite ein deutsches Sprengkommando in Euren damit beginnt, wichtige Verkehrsverbindungen unbrauchbar zu machen und am Abend die Napoleon- und die Kaiser-Wilhelm-Brücke in die Luft jagt, unterbleiben auf der anderen Fluss-Seite sämtliche Sprengungen - aus bislang unbekannten Gründen.Trinken, bis die Amis vor der Tür stehen

Heimatforscher Adolf Welter liefert nun eine plausible Erklärung: "Die Pioniere wollten ihr Zerstörungswerk an der Bahnüberführung an der Pellinger Straße beginnen und sich dann Richtung Norden vorarbeiten. An der Pellinger aber griff Dorothea Wahlen beherzt ein. Sie lud die Soldaten zu einer kleinen Stärkung in das nahe gelegene Weingut ihrer Familie ein." Den Umtrunk habe Dorothea Wahlen so lange hinaus gedehnt, bis die Amis vor der Tür standen. Die 1800 Jahre alte Römerbrücke bleibt als einziger Moselübergang unversehrt. Warum - das wird wohl nie vollends geklärt werden. Die Schilderungen deutscher "Retter" verweist Welter ebenso ins Reich der Fabel wie die amerikanische Darstellung, der am frühen Morgen des 2. März mit seinem Trupp von Olewig kommend in die Stadt eingedrungene Oberstleutnant Jack Richardson aus Athens/Texas habe trotz starkem Beschuss die Sprengkabel zerschnitten: "Es gab kein Abwehrfeuer. Und da die Kabel teilweise außerhalb der Fahrbahn hingen, waren sie für Richardson zunächst auch nicht erreichbar." Um eine nachträgliche Sprengung zu verhindern, schicken die Amerikaner hunderte Gefangener aus den Luftschutzstollen unterhalb des Markusberges auf die Brücke. Sie müssen dort stundenlang ausharren. Da ist die Einnahme Triers bereits gelaufen. Die Eroberer sind am frühen Freitagmorgen von Kürenz aus mit Panzern in die Stadt eingerückt. Über die Paulinstraße kommen sie zur Porta. Um 10 Uhr schlägt Robert Wilsons große Stunde: Auf dem Hotel Porta Nigra hisst der Captain aus Newark/New Jersey ein von seiner Frau genähtes Sternenbanner. Weiter führt der Vormarsch über Nordallee, Lindenstraße, Georg-Schmitt-Platz und die Uferstraße zur Römerbrücke, wo Richardson und seine Leute warten. Trier ist vom Nazi-Joch befreit. Die Kampfeinheiten fahren sofort weiter Richtung Ehrang und stehen am Abend an der Kyll. Ab dem 6. März fliegen US-Piloten vom Eurener Flugplatz aus Kampfeinsätze. Am 7. März überqueren die Amerikaner in Remagen den Rhein; am 8. Mai gibt das "1000-jährige Reich" mit der bedingungslosen Kapitulation endgültig den Geist auf. Am 19. März 1945 übernimmt die US-Militär-Regierung Trier. Mit ihr kommt ein 31-jähriger Emigrant zurück nach Deutschland: der Schriftsteller und spätere DDR-Regimekritiker Stefan Heym (1913-2001). Heym arbeitet vorübergehend als Vernehmungsoffizier in Trier.

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