"Der Zwang beherrscht mich"

TRIER. "Ich weiß im Prinzip, dass es völlig verrückt ist, aber ich komme nicht dagegen an." Günther Engel (Name geändert) aus Trier muss sich ständig waschen – "bis zu 60-mal am Tag". Der 36-Jährige leidet an einer so genannten Zwangsstörung. Er wandte sich an den TV, um über die psychische Erkrankung, die sein Leben zerstört, offen zu sprechen.

Auf den ersten Blick scheint alles völlig normal zu sein. Die Drei-Zimmer-Wohnung ist sauber und ordentlich, Engel wirkt ruhig. Nur den üblichen Handschlag zur Begrüßung lehnt er ab. "Wenn ich jemandem die Hand gebe, nimmt der Drang noch zu", sagt er. "Dann merkt jeder gleich, dass mit mir etwas nicht stimmt."Normales und unauffälliges Verhalten

In den ersten 20 Minuten des Gesprächs mit Günther Engel würde wohl niemand darauf kommen, was hier nicht stimmt. Der 36-Jährige spricht locker und formuliert seine Sätze präzise, sein gesamtes Verhalten scheint normal und unauffällig. "Ich habe Germanistik und Geschichte studiert und wollte ursprünglich Lehrer werden", erzählt er. "Doch es ist für mich völlig unmöglich, diesen Beruf auszuüben." Engel entschuldigt sich und geht in sein Badezimmer. Wasser rauscht. Nach einigen Minuten kommt er wieder. "Dieses Mal ging es noch", sagt Engel. "Ich habe mir nur die Hände gewaschen." Es ist ihm sichtbar peinlich. "Manchmal reicht das nicht. Dann dusche ich eine halbe Stunde oder länger und reinige anschließend das Bad." Oder die ganze Wohnung. Danach geht es ihm etwas besser - bis der Zwang sich wieder meldet. Manchmal schon 20 oder 30 Minuten später. "Ich habe furchtbare Angst vor Infektionen", sagt Engel. "Angst ist dabei das falsche Wort. Es ist eine ständige, grausame Furcht, die in mir sitzt." Diese Furcht zwingt ihn, sich immer wieder zu waschen. "Denn wenn ich mich nicht wasche, wird die Angst zur Panik." Der Trierer durchlitt mehrere Nervenzusammenbrüche, bis ein Psychotherapeut die Zwangsstörung diagnostizierte. "Seitdem weiß ich, dass ich krank bin, aber nicht verrückt." Die medikamentöse und psychotherapeutische Behandlung läuft. Engel spricht von "Wiederaufnahme-Hemmern" und schildert, wie schwierig und schmerzhaft die Sitzungen mit seinem Psychotherapeuten sind, "der mich immer wieder mit der Nase in meine Zwangshandlungen stößt". Drogenentzug könne kaum schlimmer sein, sagt er leise. Dann geht er wieder ins Bad.Eine Hölle der Isolation

Doch so hart die Therapie auch sein mag, "die Jahre davor waren schlimmer". Das Studium war "eine Hölle der Isolation, die ich nur mit Hilfe meiner Eltern und Geschwister durchgestanden habe". Eine Freundin hatte er nie. Seine Familie hilft ihm auch jetzt, finanziert seine Wohnung und seinen Lebensunterhalt. "Eine harte Belastung, denn bei uns ist keiner reich", sagt Engel. "Aber ich kann nicht arbeiten. Der Zwang beherrscht mich." Engel geht wieder ins Bad. Sein Wunsch: "Wer so wie ich an einem Zwang leidet, soll ihn nicht aus Scham verschweigen, sondern ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen. Eine Zwangsstörung ist zwar eine psychische Erkrankung, aber man kann sie besiegen."

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