Deutsch lernen mit Frau Kuhfeld

Bitburg/Trier · Sobald Flüchtlingskinder einer Kommune zugewiesen sind, müssen sie zur Schule gehen. Wie die rund 7000 Schüler in Rheinland-Pfalz integriert werden, hat das Land für alle Schultypen festgelegt. Wie funktioniert die Umsetzung des Konzepts? Drei Beispiele aus der Region.

 Das Beherrschen der Landessprache ist das A und O in Sachen Integration. Swetlana Kuhfeld übt mit ihren Schützlingen sieben Tage die Woche.

Das Beherrschen der Landessprache ist das A und O in Sachen Integration. Swetlana Kuhfeld übt mit ihren Schützlingen sieben Tage die Woche.

Foto: (e_bit )

Bitburg/Trier. Dorin ist zwölf Jahre alt und kommt aus Dudeldorf im Eifelkreis. Er träumt davon, irgendwann mal beim FC Barcelona zu kicken. Sein Lieblingsfach in der Schule ist Sport - klar. Wenn er aber im Unterricht sitzen muss, freut er sich am meisten darauf: "Deutsch lernen mit Frau Kuhfeld". Denn Dorin ist einer von 40 Schülern der Integrationsklasse der Otto-Hahn-Realschule plus in Bitburg. Eigentlich kommt er auch nicht aus Dudeldorf. Geboren und aufgewachsen ist er in Rumänien. "Aber ich wohne jetzt hier", sagt er und lächelt. Er sieht glücklich aus. Und Deutsch sprechen kann er auch schon gut - dank Swetlana Kuhfeld. Sie unterrichtet an der Otto-Hahn-Realschule plus eine sogenannte Integrationsklasse, in der die Kinder mit Migrationshintergrund unter sich sind. "Teilweise fangen die Kinder bei null an", sagt Kuhfeld. "Wie soll der Regelunterricht funktionieren, wenn sie noch nie Wörter wie ‚Addition‘ oder ‚Multiplikation‘ gehört haben?"
Ziel: Bestehen der Sprachprüfung


Kuhfeld unterteilt ihre Klasse in vier Gruppen: von null bis drei. Sie differenziert nicht nach Herkunft, Geschlecht oder Alter - in der Integrationsklasse sind Altersstufen von elf bis 17 Jahren vertreten -, sondern, ganz pragmatisch: nach Deutschkenntnissen. Alle vier Gruppen unterrichtet sie parallel: Hier erklärt sie den Unterschied zwischen "ab-" und "versperren", dort kontrolliert sie die Geschichten, die sie den Kindern zum Nacherzählen aufgetragen hat. Und zwischendurch kümmert sie sich ganz selbstverständlich um Fragen und Befinden der Schüler.
Wo andere in Hast gerieten, bleibt Kuhfeld cool. Und dennoch sagt sie: "Ich akzeptiere keine Fremdsprache innerhalb dieser vier Wände." Natürlich gebe es auch mal Privatgespräche. Aber sie greife sofort ein, wenn sie zum Beispiel Arabisch oder Russisch höre. "Bei allem Respekt vor den anderen Kulturen - ich habe selbst einen Migrationshintergrund -, die Kinder sind hier, um Deutsch zu lernen. Und das müssen sie auch, um hierzulande zurechtzukommen." Kuhfeld hat ihre Klasse im Griff. Sie ist streng, aber herzlich. Ihre Schüler mögen sie, zeigen ihr bei jeder Gelegenheit stolz ihre Übungsaufgaben. Sie alle wollen ein gutes Zertifikat für die Sprachniveaus A1 und A2 ablegen (siehe Extra). Erst dann werden sie vollständig in die Regelklassen integriert und lernen durchgehend denselben Stoff wie ihre deutschsprachigen Altersgenossen. In rheinland-pfälzischen Schulen sind sogenannte Deutsch-Intensivkurse - von bis zu 20 Stunden pro Woche - bedarfsorientiert eingerichtet. Teilweise finden sie sogar schulübergreifend statt, wie etwa am Auguste-Viktoria-Gymnasium (AVG) in Trier. "Kinder mit Migrationshintergrund besuchen an zwei bis drei Tagen den Intensivkurs", sagt Schulleiter Bernhard Hügle. An den anderen Tagen würden sie in ihren Regelklassen unterrichtet. Das AVG übernimmt die Deutsch-Intensivkurse für die Schüler aller Gymnasien der Stadt. Das heißt: 30 eigene Schüler plus 30 weitere Trierer Gymnasiasten.
"Aufgeteilt sind die Kurse bei uns in drei Unterrichtsformen", so Hügle. "Im reinen Sprachunterricht lernen die Schüler die Alltagssprache - etwa ‚Wie heiße ich?‘ oder ‚Wo wohnst du?‘" Außerdem gebe es Grammatikunterricht und einen lebensnahen Projektunterricht. Hügle erklärt, was das heißt: "Die Schüler erkunden an manchen Tagen zum Beispiel die Stadt und schreiben ihre Erlebnisse auf, oder sie erstellen schon mal die ein oder andere Bewerbung." Schwierig sei der Umstieg von der Alltags- auf die Bildungssprache, vor allem was Wortschatz und Schriftlichkeit anbelange. "Aber die Schüler sind alle sehr motiviert", betont Hügle. "Sie bemerken Tag für Tag ihren eigenen Lernerfolg."
Dennoch: Hügle bemängelt, es müsse grundsätzlich mehr Übergangskurse für Schüler zwischen 16 und 18 Jahren geben, in denen das Arbeits- und Lernverhalten in Fächern wie Geschichte, Englisch, Mathematik und den Naturwissenschaften intensiver und differenzierter gefördert werde. Warum?
"Die Jugendlichen in diesem Alter haben einfach weniger Zeit." Im Gegensatz zu den unter 16-Jährigen blieben ihnen nur zwei Jahre, bis sie in ein Studium oder berufsbildende Angebote übergehen könnten. Hügle hat derartige Übergangsklassen am AVG eingeführt - bislang einzigartig in Rheinland-Pfalz. "Aber davon braucht es mehr. Wenn ich mehr Platz und das nötige Personal hätte, würde es auch am AVG mehr Kurse geben."
An den Berufsbildenden Schulen der Region - in Wittlich, Saarburg, Gerolstein und Prüm zum Beispiel - gibt es ähnliche Integrationskurse wie an den Realschulen plus und an den Gymnasien. An den Grundschulen dagegen ist der Sprachunterricht etwas anders organisiert. Uta Schorn leitet die Grundschule Bitburg-Süd. 27 der rund 200 Kinder sind Neuankömmlinge und Migranten, die drei Stunden täglich am Deutsch-Intensivkurs teilnehmen. "Davor und danach besuchen sie ihre Regelklassen." Nicht die Sprachkenntnisse der Kinder bei der Einschulung sind ausschlaggebend dafür, ob sie etwa in die 1b oder 4a gehen, sondern allein das Alter. "Die Intensivkurse legen wir auch so, dass die Schüler an Fächern wie Sport oder Musik - wo Verständigung auch auf anderem Wege stattfindet - teilnehmen können", sagt Schorn. "Und den Eltern raten wir, ihre Kinder für die Ganztagsschule von 8 bis 16 Uhr anzumelden, um das deutschsprachige Umfeld auszuweiten."
Einsatz von Beobachtungsbögen


Prüfungen wie bei den Sprachzertifikaten an den weiterführenden Schulen gibt es an der Grundschule noch nicht. Die Lehrer beurteilten die Lernentwicklung der Schüler mithilfe von Beobachtungsbögen, erklärt die Schulleiterin. Da wird beispielsweise festgehalten, ob die Schüler schon gut in ganzen Sätzen reden und wie umfangreich ihr Wortschatz ist. "Wir lassen die Kinder viel selbst handeln und versprachlichen, was sie gerade tun." Im Unterricht von Stefanie Mohnen, Klassenlehrerin der 2a, sieht das so aus: "Womit riechen wir?", fragt Mohnen. Alle Finger zeigen auf die Nasen. "Und wonach riecht der Sommer?" Kurz darauf kichert die ganze Klasse. Die erste Antwort: "Nach Sonnencreme".
Die sieben Schüler der Gruppe Drei von Swetlana Kuhfeld haben ihre A1-Prüfungen übrigens sechs Mal mit "ausgezeichnet" und einmal mir "sehr gut" abgeschlossen. Für die Kinder bedeutet das: Sommerferien … endlich! Und: dass sie den Grundstein für eine gelungene Integration gelegt haben. Denn darauf kommt es jetzt an - auch für Kinder wie Dorin, die womöglich nicht ihr ganzes Leben in Deutschland planen: "Wenn ich in den Kader vom FC Barcelona berufen werde", sagt er, "will ich natürlich auch für die Nationalmannschaft in Rumänien spielen!"
Die komplette Serie unter: volksfreund.de/fremdeheimat
Meinung

Bildung ist jeden Euro wert!
Die Landesregierung hat nach eigener Aussage für 2016 rund 26,2 Millionen Euro für die schulische Sprachförderung lockergemacht. Freilich: Das ist viel Geld. Aber welche Investition könnte sich mehr lohnen? Bildung und das Beherrschen der Landessprache sind die Basis für ein wirtschaftlich und sozial starkes Land wie Deutschland. Wir nehmen hilflose Menschen auf, weil uns unsere humanitäre Grundhaltung dazu verpflichtet. Nun gilt es, in das Wohl dieser Menschen und somit in unser aller Wohl zu investieren. Genau das passiert, seit wir uns in der sogenannten (!) Flüchtlingskrise befinden. Übrigens: Der Begriff "Krise" suggeriert Probleme. Die gibt es vielerorts auch zweifellos. Doch sollten wir uns - auch die Medien - darauf besinnen, den Ausdruck nicht inflationär zu verwenden. Denn dass die Integration nicht nur Probleme nach sich zieht, sondern auch glückliche Kinder, neue Freundschaften und womöglich einen Gegenentwurf zu einer zunehmend alternden Gesellschaft, die die Arbeitskraft junger Menschen dringend benötigt, sieht man an hiesigen Schulen. Und das ist jeden Euro wert! j.krewel@volksfreund.deExtra

5178. So viele Flüchtlinge leben derzeit in der Region. Für ihre Serie "Fremde Heimat" haben die TV-Volontäre umfassende Daten über die Neuankömmlinge zwischen Konz, Trier, Bitburg, Daun und Wittlich ausgewertet. Sie haben viel Zeit mit Flüchtlingen verbracht - und mit denen, die ihnen helfen wollen. Herausgekommen sind Geschichten über Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen der alten und der neuen Heimat, zwischen Christen und Muslimen. Geschichten über guten Willen und unerwartete Grenzen. Geschichten vom Warten und vom Ankommen.Extra

Ziel des GER ist die Vergleichbarkeit der europäischen Sprachzertifikate und unterschiedlicher Sprachniveaus. Die Niveaustufen des GER sind A (elementare Sprachverwendung), B (selbstständige Sprachverwendung), C (kompetente Sprachverwendung). Diese sind in jeweils zwei Grade unterteilt: A1 - Anfänger: Kann vertraute, alltägliche Ausdrücke und ganz einfache Sätze verstehen und verwenden, sich und andere vorstellen sowie Fragen zur Person stellen und beantworten. A2 - Grundlegende Kenntnisse: Kann Sätze und häufig gebrauchte Ausdrücke verstehen und sich in einfachen, routinemäßigen Situationen verständigen, in denen es um den Austausch von Infos über vertraute und geläufige Dinge geht. B1 - Fortgeschrittene Sprachverwendung: Kann sich einfach und zusammenhängend über vertraute Themen und persönliche Interessengebiete äußern, über Erfahrungen und Ereignisse berichten. B2 - Selbstständige Sprachverwendung: Kann Hauptinhalte komplexer Texte verstehen, versteht im eigenen Spezialgebiet auch Fachdiskussionen. Kann sich spontan und fließend verständigen, sodass ein normales Gespräch mit Muttersprachlern gut möglich ist. C1 - Fachkundige Sprachkenntnisse: Kann ein breites Spektrum anspruchsvoller, längerer Texte verstehen, sich spontan und fließend ausdrücken und sich klar, strukturiert und ausführlich zu komplexen Sachverhalten äußern. C2 - Annähernd muttersprachliche Kenntnisse: Kann praktisch alles, was er/sie liest oder hört, mühelos verstehen, Informationen aus schriftlichen und mündlichen Quellen zusammenfassen und dabei Begründungen und Erklärungen in einer zusammenhängenden Darstellung wiedergeben. Kann sich spontan, sehr flüssig und genau ausdrücken. Quelle: europaeischer-referenzrahmen.deExtra

 Auf eigene Initiative lehrt Kuhfeld auch schon Mathe, um eine solide Basis vor dem Übergang in die Regelklassen zu schaffen. TV-Fotos (3): Jonas Krewel

Auf eigene Initiative lehrt Kuhfeld auch schon Mathe, um eine solide Basis vor dem Übergang in die Regelklassen zu schaffen. TV-Fotos (3): Jonas Krewel

Foto: (e_bit )
 Rukia, geboren in Jordanien, ist in der 2a der Grundschule Bitburg-Süd. Wie der Sommer riecht, schmeckt und sich anhört, zeigt sie mit einer Übung.

Rukia, geboren in Jordanien, ist in der 2a der Grundschule Bitburg-Süd. Wie der Sommer riecht, schmeckt und sich anhört, zeigt sie mit einer Übung.

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Schulische Integration bedeutet Einstufung der Schüler in Regelklassen, die durch Deutsch-Intensivkurse ergänzt werden. Auf die hohe Zahl der Asylbewerber hat das Land Anfang 2015 mit dem 10-Punkte-Maßnahmenplan "Sprachförderung in Schulen" reagiert. Dazu kommen weitere Deutsch-Fördermaßnahmen - jedoch in einem geringeren Stundenumfang als die Intensivkurse. Die Zahl der Intensivkurse in den allgemeinbildenden Schulen im Land wurde innerhalb eines Jahres mehr als verdreifacht - auf 456, die von 7000 Schülern in Rheinland-Pfalz besucht werden. Lehrer, die Intensivkurse betreuen, besitzen meist das Zertifikat "Deutsch als Zweitsprache" beziehungsweise "Deutsch als Fremdsprache". Zusätzliche Lehrkräfte für die Sprachförderung werden zur Verfügung gestellt, nachdem die Schulen ihren Bedarf bei der Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion (ADD) Trier angemeldet haben. Im zweiten Schulhalbjahr 2015/16 waren im Schulaufsichtsbezirk Trier (Trier, Trier-Saarburg, Eifelkreis Bitburg-Prüm, Vulkaneifel, Bernkastel-Wittlich, Cochem-Zell, Birkenfeld, Kusel) 46 Sprachförderlehrer beschäftigt. Ähnlich wird es laut ADD im kommenden Schuljahr aussehen. jok

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