Kurzgeschichte Der neue Kalender und ein schlauer Gewinn

Autor Bernhard Hoff­mann aus Korlingen (Landkreis Trier-Saarburg) erzählt eine neue Geschichte vom Pitter aus dem späten 18. Jahr­hundert – illustriert von Christina Bublitz. Diesmal geht es um das Dezimalsystem.

 Pitter bekommt vom Lehrer einen wertvollen Rat zum Umtausch des alten Geldes in neues.

Pitter bekommt vom Lehrer einen wertvollen Rat zum Umtausch des alten Geldes in neues.

Foto: Christina Bublitz

Es fing mit einer verrückten Idee des Pariser Konvents im Jahr 1793 an, die Zeit neu zu erfinden. Zugegeben, die Zeit ist relativ. Da waren die Revolutionäre sehr fortschrittlich – aber den Tag in zehn Stunden zu 100 Minuten zu 100 Sekunden einzuteilen, war doch eher seltsam. Alles sollte dem Prinzip der Vernunft unterworfen sein, das Dezimal­system erschien „natürlicher“ als das übliche Zwölfer­system.

In gleicher Weise wurde der Sieben-Tage-Rhythmus der Woche zur Dekade, dem Zehn-Tage-Rhythmus, davon drei pro Monat. Und die kirchlichen Feiertage fielen in diesem republikanischen Kalender einfach weg. Die Heiligen­namen sowieso, die Bevölkerung sollte ja dem schädlichen Einfluss des Christlichen gründlich entzogen werden, um aus dem Gedächtnis des Volkes alle die Gebräuche zu verwischen, welche an das Adels- und Priester-Regiment zuvor erinnern konnten.

Seltsamerweise wurde das Zwölfer­system bei der Zählung der Monate beibehalten, nur dass jetzt ganz andere Benennungen vorkamen. Die werdet ihr sicherlich ganz nett finden: Das Jahr begann am 22. September. Ja, ihr habt richtig gelesen, mitten im Monat. Es ging also über zwei Monate des alten gregorianischen Kalenders hinweg, was nicht nur ungewöhnlich war, sondern auch ordentlich für Unordnung sorgte.

Der neue Kalender fing an mit dem vendémiaire (von lateinisch vindemia), dem „Weinlese­monat“. Der ging bis zum 21. Oktober. Im Dezember hieß der Wintermonat nivôse (lateinisch nix, nivis), „Schnee­monat“. Im Frühling kam der floréal (lateinisch flos, floris), der „Blumen­monat“. Und zwischen Juli und September hieß es thermidor (von griechisch thermós), „Hitze­monat“ und schließlich fructidor (lateinisch fructus), „Frucht­monat“.

Davon hielten die Trierer nicht allzu viel, die Bauern in Eifel und Hunsrück gar nichts. Sie scherten sich einen Dreck darum, ob jetzt der primedi des ventôse (der 1. des „Windmonats“) war. Denn das blieb für sie nach wie vor der 19. Februar, der Tag des Heiligen Bonifaz. Oder der duodi, tridi oder quartidi des vendémiaire – die Einteilung passte zum französischen Klima, nicht aber zum deutschen, wo die Wein­lese des Rieslings genau nach diesem künstlichen Monat begann.

Nun, das mit dem Kalender störte im Großen und Ganzen keinen. Jeder lebte wie zuvor, denn mit den Behörden hatte man selten zu tun. Und da man dort meistens lediglich zu bezahlen hatte, war die Be­nennung des Tages auch egal. Aber auf einmal sollten auch die Maße und Gewichte – und zwar alle – neu werden. Sie sollten gefälligst das Hirn des neuen Menschen durchdringen und wurden zwingend befohlen.

Da gab es jetzt Meter und Zentimeter und Liter und Hektoliter und schließlich Kilo und Gramm. All die anschaulichen Werte, die aus dem täglichen Leben der Menschen stammten, wurden abgeschafft. Der Schuh war jetzt 0,294 Meter, die Elle 0,565 Meter, die Rute zum Ausmessen des Landes wurde jetzt 4,7 Meter. Der Schoppen wurde zu 1,29 Litern und das Pfund zu 467,69 Gramm. Unter uns: Auch das störte keinen, denn gewogen und gemessen wurde nach wie vor in herkömmlicher Weise. Ein Klafter wurde als Klafter verkauft, und auch ein Morgen Land blieb sich treu.

Aber plötzlich flatterten sogenannte Reductions-Tabellen als Einblattdrucke überall herum und kamen natürlich auch bis Korlingen. Da standen jetzt Centimes und Francs statt der Kreutzer, dem Trierer Pfennig oder der „Petermännchen“ genannten Münze Albus. Und das konnte man jetzt nicht umgehen oder einfach ignorieren. Denn überall wurde das französische Geld verpflichtend und nach einer Übergangszeit bis 1799 alleinige Währung.

Und hier beginnt unsere Geschichte lustig zu werden, denn der Pitter zeigt mal wieder seine Schläue. Einmal in diesen Tagen ging er mit dem Dorfschullehrer auf dem Trierer Markt einkaufen. Der Korlinger Boden gab ja nicht alles her, was nötig war oder was das Herz gelegentlich begehrte. Da standen also die niedrigeren Preise in konventioneller Währung neben den höheren neuen in Franc und Centime. Denn die Händler nahmen noch beide an. Der Lehrer notierte sich fleißig Preise und verglich sie zu Hause mit der Tabelle.

Einige Tage später kommt er mit wehenden Haaren aus der Schule gerannt und hat Neuigkeiten: Er hatte aus einem Münzenkatalog in Erfahrung gebracht, dass der Franc 5,0 Gramm wiegt und 4,5 Gramm Feinsilber enthält. Somit entspricht der kupferne Centime als Hundertstel 0,045 Gramm Silber und ist demnach bei der Wertfestsetzung des Trierer Pfennigs (= 0,7 Centime) 105 Prozent mehr wert. „Ja und?“ – „Ja, so hört doch“, ruft der Lehrer: „0,7 Centime bestehen aus 0,03 Gramm Silber, ein Pfennig aber aus 0,0315 Gramm.“ Ach je, jetzt wird’s immer verwickelter – wer nicht rechnen will, soll unten weiterlesen ...

„Ab der Wertrelation von sechs Albus (= 35,9 Centimes) verbessert sich das Verhältnis sogar auf 112,2 Prozent“, sagt der Lehrer begeistert. „Was, wie?“ Denn jetzt subtrahiert er das Silber und multipliziert die Gramm auf dem blankgescheuerten Tisch und Null­komma­soviel und mehr und zum Verhältnis dividiert. Was für ein Durcheinander, die Zahlen verschwimmen vor Augen und Ohren. Versteht ihr das? Der Pitter sinnt nach: „Du meinst also, der Centime ist mehr wert als unser Pfennig oder der Albus?“, fragt er. „Nein, Pitter, er ist weniger wert.“ – „Oha, so ist das.“ Und der Pitter sinnt wieder nach. „Dann bekommen wir also im End­effekt mehr Centimes für unser altes Geld?“, fragt er endlich. „Ja, die Franzosen machen uns ihr neues Geld schmackhafter.“ – „Oha!“

Und da muss der Pitter nicht mehr nachsinnen, denn jetzt schüttet er alle Kreutzer und Pfennige und Petermännchen und Taler und alles zusammen und zählt. Dann rennt er zu den Nachbarn und sammelt all ihr Münzgeld ein. Und dann geht er mit einem schweren Sack auf dem Rücken, in dem es klirrt und klimpert, nach Trier zur Bank. Er tauscht alles in die neue Währung um. Tja, so macht er für alle Korlinger 12,2 Prozent Gewinn. Davon könnt ihr nur träumen, von so einer guten Rendite. Das war leicht verdientes Geld, und alle waren froh.

Ehrlich gesagt: Der Schlaue war ja jetzt nicht der Pitter, sondern das Finanzgenie, der kluge Dorfschul­­lehrer. Aber dass er die ganze Tausch­aktion dann umgesetzt hat, das war schließlich doch eine echte Pitter-­Tat.

Von Bernhard Hoffmann erscheinen im Verlag Kleine Schritte in Trier im Herbst 25 neue Geschichten mit 50 Illustrationen von Christina Bublitz. Weiterhin lieferbar: „Der Pitter. Korlinger Geschichten I“, 140 Seiten, 18,90 Euro, ISBN: 9783755778547.