Die Macht der Milliarden

SCHWEICH. Mit Begeisterung hat das Schweicher Publikum die vom Hohenloher Figurentheater gezeigte Puppenspiel-Inszenierung des Dürrenmatt-Klassikers "Der Besuch der alten Dame" aufgenommen. Denn als Spiel mit ausdrucksvollen Charakterfiguren entfaltete die tragische Komödie größte Intensität.

Dass Figurentheater eine eigenständige und zutiefst faszinierende Kunstform ist, bewies einmal mehr das Hohenloher Figurentheater in Schweich. Die Puppenspieler Harald und Johanna Sperlich, die mit ihrer Bühne eine 150-jährige Familientradition fortführen, gastierten zum wiederholten Mal auf Einladung des Theaterzentrums Stierstall in Schweich. Und mit Friedrich Dürrenmatts bissiger Tragik-Komödie "Der Besuch der alten Dame" brachten sie erneut die ungewöhnliche Inszenierung eines anspruchsvollen Stoffes mit. Eine, die stark von einer durch Musik, Licht und Bühnenbild geschaffenen bedrohlichen Atmosphäre lebt.Buckel statt Rückgrat

Gleich zu Beginn sind düster visionäre Klangbilder, komponiert von Uwe Maibaum, zu hören, die Instrumente und klagende menschliche Stimmen vereinen. Sie verschmelzen mit den Geräuschen eines Zuges, fast symbolisch für eine sich unaufhaltsam anbahnende Entwicklung. Diesen Eindruck unterstützt das in tristem Grau gehaltene Bühnenbild von Rolf Cofflet, das mit drei drehbaren Säulen und karger Requisite Schauplätze lediglich andeutet, um den Blick aufs Wesentliche freizugeben: die Charaktere. In den von Barbara und Günter Weinhold entworfenen und geschnitzten Figuren finden deren Wesenszüge einen so überspitzten und eindeutigen Ausdruck, wie er menschlichen Akteuren schon rein anatomisch nicht möglich ist. So zum Beispiel der boshafte Charme der alten Milliardärin Claire Zachanassian, die nach 45 Jahren in ihren verelendeten Heimatort kommt und eine Milliarde für die Ermordung von Alfred Ill auslobt, der sie als Mädchen geschwängert und verlassen hat. Die mit ihren schillernden Kostümen (Johanna Sperlich) einzig farbige Figur verkörpert mit erhobenem Kopf, vorgerecktem Kinn, funkelnden Augen und arrogant geschwungenen Brauen Macht und zynische Menschenkenntnis. Ebenso treffend sind die anderen Puppen charakterisiert, zum Beispiel der humanistisch gebildete Moralist und Lehrer, dessen Buckel auf fehlendes Rückgrat deutet. Harald und Johanna Sperlich hauchen ihnen mit viel Witz, noch mehr Herzblut und einer unglaublichen Bandbreite an stimmlichen Möglichkeiten Leben ein. Sie bedienen sich verschiedener Dialekte, betonen kraftvoll, hauchen leise, piepsen verschämt und runden so die sichtbaren Charakterbilder ab.Fadendünner Pfarrer

Das des fadendünnen Pfarrers etwa, den Johanna Sperlich mit ebensolcher Stimme zum korrumpierbaren Fähnchen im Wind ausgestaltet. Oder das des Alfred Ill, den Harald Sperlich von einem ängstlichen Zögerer zu einer ihre Schuld annehmenden Persönlichkeit entwickelt. Mit ihrer Kombination aus Beschränkung aufs Wesentliche, expressiv gestalteten Kunstfiguren und deren kreativer Führung und Interpretation erzielen die Hohenloher eine intensivere Wirkung, als es manches herkömmliche Bühnenschauspiel vermag. Und so geht Dürrenmatts desillusionierendes Fazit, dass Materialismus über Moral triumphiert, tief unter die Haut.

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