Die schrumpfende Großstadt

Trier · Jahrelang hat die Stadt Trier versucht, die Zahl von 100 000 Einwohnern und damit den Großstadt-Status zu erhalten. Die Zweitwohnsitzsteuer schien dies 2007 dauerhaft möglich zu machen. Auf lange Sicht könnte das jedoch nicht reichen: In einer Prognose für das Jahr 2050 geht das Statistische Landesamt von 79 000 Einwohnern aus.

Trier. Die Ostallee im Sommer 2050. Auf den Parkbänken am begrünten Alleenring sitzen silberhaarige Rentner und genießen die Klimaerwärmung. Männer und Frauen Anfang 20 schieben sie in ihren Rollstühlen umher oder holen ihnen kalte Getränke von der Tankstelle. Jeder junge Deutsche ist zu einem fünf Jahre dauernden Dienst in der Altenpflege verpflichtet.
Zukunft der Region


Und um das Horror-Szenario zu errechnen, kommen die Statistiker mit nur zwei Prämissen aus. Erstens: Die Geburtenrate bleibt konstant bei 1,4 Kindern pro Frau - um die Bevölkerung auf einem konstanten Niveau zu halten, muss sie bei 2,1 Kindern liegen. Zweitens: Die Lebenserwartung steigt bis 2050 um sieben Jahre.
Auch die Trierer Innenstadt wurde den Bedürfnissen der Generation 60 plus angepasst. In jedem größeren Mietshaus wird das Konzept des betreuten Wohnens angeboten, große Pflegeheime sind über die ganze Altstadt verteilt. In der barrierefreien Fußgängerzone reihen sich Geschäfte für Golf-Zubehör, Heizdecken und Rollatoren aneinander. Junge Menschen können sich eine Wohnung in der City nicht mehr leisten: 50 Prozent ihres Einkommens geht in die Rentenkasse.
Sieht so die Zukunft aus? Das Statistische Landesamt in Mainz hat gerechnet - und ist zu einem erschütternden Ergebnis gekommen. Im Jahr 2050 könnten in Trier nur noch 79 000 Menschen leben - das sind 25 Prozent weniger als heute, wo rund 105 000 Trierer die Stadt bevölkern.
Die Vorausberechnung der Statistiker ist kein verschwommener Blick in die Kristallkugel. "Es ist nicht mehr abwendbar, dass die Einwohnerzahl zurückgeht", betont Holger Schmitt vom Statistischen Landesamt im Gespräch mit dem TV: "Die Vorausberechnung ist keine bloße Prognose - sie beruht auf absolut realen Zahlen."
Damit geht einher - und das wird wohl niemanden überraschen - dass die Gesellschaft immer älter wird: Ein Drittel der Menschen ist im Jahr 2050 65 Jahre alt oder älter. Heute sind es nur 20 Prozent. Was kommt da auf uns zu?
Arbeitskräfte werden fehlen


"Besonders das Sozialsystem ist gefährdet, da es umlagefinanziert ist", erklärt Rüdiger Jacob, Soziologe an der Universität Trier (siehe Extra). Und auch die Wirtschaft steht vor großen Herausforderungen. Jacob: "Es werden uns Arbeitskräfte fehlen. Wir sind ein Dienstleistungsland - und der Dienstleistungssektor ist besonders personalintensiv."
Der Demografie-Experte sieht vor allem auf die ländlichen Gebiete Probleme zukommen: "Die ländliche Infrastruktur wird nicht mehr finanzierbar sein." Die Kosten für Leitungen und Verkehrswege seien für Dörfer mit wenig Einwohnern überproportional hoch. Schon heute sind die Veränderungen spürbar: "Dass Grundschüler heute noch auf dem Land zu Fuß zur Schule gehen können - das ist die große Ausnahme", sagt Jacob.
Und auch die Stadt Trier wird an einem Einwohnerrückgang nicht vorbeikommen. "Im Moment profitiert die Region vom attraktiven Arbeitsmarkt Luxemburg. Das ist aber mit Sicherheit kein Trend, der auf Dauer anhalten wird. Luxemburg wird uns nicht herausreißen", prophezeit der Soziologe. Denn die Luxemburger stehen im Prinzip vor den gleichen Problemen wie die deutschen Nachbarn.
Triers OB Jensen hält dagegen


Die Trierer Verantwortlichen sehen das ganz anders. Oberbürgermeister Klaus Jensen wähnt die Stadt auf einem steten Wachstumskurs: "Bis 2020 wollen wir 110 000 Einwohner haben", erklärt er im Gespräch mit dem TV.
Auch Johannes Weinand vom Amt für Stadtentwicklung kann sich mit den Zahlen aus Mainz nicht anfreunden. Besonders die Nähe zu Luxemburg sei für Trier von immenser Bedeutung, erklärt der Volkswirt: "Dieser Faktor ist in der Rechnung vom Landesamt außen vor gelassen. Luxemburg wird als eine der wenigen Regionen in Europa weiter wachsen - ein Glücksfall für uns."
Tatsache ist: Trier boomt. Die Stadtbezirke Neu-Kürenz, Weismark und Nells Ländchen (Trier-Nord) haben in den vergangenen zehn Jahren um mehr als 20 Prozent an Einwohnern zugelegt. Auch in Tarforst und der Innenstadt leben zehn Prozent mehr Menschen als noch im Jahr 2000 (siehe Grafik). Und dieser Trend setzt sich weiter fort. Allein im vergangenen Jahr kamen 500 neue Trierer hinzu. Einwohnerrückgänge von mehr als fünf Prozent sind seit 2000 nur in Kernscheid und Quint zu verzeichnen.
Die steigende Einwohnerzahl macht sich auch bei den Mietpreisen bemerkbar. Um ganze 21 Prozent verteuerte sich das Wohnen in Trier in den vergangenen fünf Jahren - ein Spitzenwert in ganz Deutschland (der TV berichtete). Mit der Erschließung von weiteren Neubaugebieten in Tarforst und Feyen will die Stadt diesem Trend entgegenwirken - und noch mehr Menschen nach Trier locken. Trier, Insel der Glückseligen in einem ausgestorbenen Deutschland?
Barrierefreiheit wird wichtiger


Bei allem Optimismus - ganz außer Acht wollen die Verantwortlichen den demografischen Wandel auch in der Moselstadt nicht lassen. Aber auch, dass sich die Altersstruktur dramatisch verändern wird, sehen sie als Chance: "Die älteren Leute verkaufen auf dem Land ihr Haus und kommen in die Stadt zurück", erklärt Stadtentwickler Weinand. Die neuen Wohngebiete müssten deshalb auch für Ältere attraktiv sein - mit barrierefreien Zugängen, entsprechender Infrastruktur und vermischt mit Menschen aus anderen Generationen. "Damit haben wir in der Bevölkerungsentwicklung Riesenchancen", so Weinand.
Die Vision vom "alten" Trier könnte damit Wirklichkeit werden. Und die Zukunft, sie könnte noch ärger werden. Holger Schmitt vom Statistischen Landesamt: "Für die nächste Erhebung werden wir sehr wahrscheinlich von einer Geburtenrate von 1,3 Kindern je Frau ausgehen." Bisher haben die Mathematiker mit 1,4 Kindern gerechnet.
Extra

Wirtschaft: Eine wachsende Einwohnerzahl ist für die Wirtschaft von großer Bedeutung. Sinkt die Zahl arbeitsfähiger Menschen, kann weniger produziert werden - die Wirtschaft schrumpft. Dem kann entgegengewirkt werden: Die Arbeitnehmer müssen mehr und länger arbeiten. Altersvorsorge: Das deutsche Rentensystem ist nach dem Umlageverfahren organisiert. Das heißt, dass die Arbeitnehmer von heute auch die Renten von heute zahlen. Die Überalterung der Gesellschaft führt dazu, dass immer weniger Beitragszahlern immer mehr Rentenempfänger gegenüberstehen. Die Politik hat bereits versucht, dem entgegenzuwirken: mit Riester-Rente und Rente mit 67. Gesundheitswesen: Besonders durch die Altenpflege müssen immer mehr Menschen versorgt werden. Gleichzeitig steht den Patienten eine sinkende Zahl an Pflegekräften gegenüber. Wie die Altersvorsorge sind auch Pflege- und Krankenversicherung durch das Umlageverfahren finanziert - es drohen also Beitragssteigerungen. sen

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