Ein Abend für die Geschichtsbücher

TRIER. Perplex, geschockt, ungläubig und überraschend still vernimmt die sich im Foyer des Rathaus-Sitzungssaals drängende Menschenmenge die ersten Zahlen des Wahlabends: 69,5 Prozent für Klaus Jensen, 30,5 für Ulrich Holkenbrink. Es ist 18.25 Uhr.

Es gibt keinen Jubel, niemand applaudiert. Das alles kommt erst viel später. Offenbar kann es niemand so richtig glauben. Viele Jensen-Befürworter, unter ihnen Repräsentanten der SPD und der Grünen im Stadtrat, reagieren wie Schüler, die eine Fünf in Mathe erwartet und dann eine Zwei bekommen haben. Kann das denn wirklich wahr sein? Kein technischer Fehler? Das gibt's doch gar nicht. Wortfetzen dieser Art schwirren durchs enge Foyer. Vertreter der CDU lassen die Leinwand, auf der die Ergebnisse der Auszählungen zu sehen sind, nicht aus den Augen. Es sieht nicht gut aus für ihren Kandidaten.Unglauben abgeschüttelt

Die ersten Wahlbezirke sind ausgezählt, und es stellt sich heraus, dass die ersten Zahlen des Abends, über die beide Lager eben noch gestaunt haben, weder Ausreißer noch Ausnahmen sind. Im Gegenteil. Die Leinwand verkündet 70:30 für Klaus Jensen, Tendenz noch weiter steigend.

Jetzt endlich kommen die ersten heftigeren Reaktionen, manche haben den ob dieses geradezu historischen Ergebnisses verständlichen Unglauben abgeschüttelt. In dem recht engen, durch Fernseh-Scheinwerfer und Adrenalin geheizten engen Raum bricht ein Wall-Street-Szenario aus. Handys werden gezückt, Zahlen durchtelefoniert, es gibt erste Umarmungen. "Das ist doch gar nicht mehr einzuholen", sagt ein Jensen-Anhänger und hält Ausschau nach jemandem, der es wagt, ihm zu widersprechen. Er findet niemanden. Die CDU-Mienen bleiben steinern auf die Leinwand gerichtet.

Neuer Zwischenstand: 70,6 Prozent für Jensen. Obwohl der Auszählungsverlauf statt des erwarteten Kopf-an-Kopf-Rennens ein von seiner Natur her eher langweiliger Start-Ziel-Sieg mit großem Vorsprung wird, entsteht eine echte Gänsehaut-Atmosphäre am Augustinerhof. Hier wird tatsächlich Geschichte geschrieben. Seit dem Zweiten Weltkrieg war der Trierer OB immer ein CDU-Kandidat. Bis jetzt. Jensens Sieg steht fest, nur die Erkenntnis muss sich noch durchsetzen.

Bereits geweint

Bei einigen ist das bereits geschehen. "Ich habe schon geweint", gibt Gerd Dahm von den Grünen zu. Natürlich vor Freude.

Der Sieger betritt seine Bühne genau um 18.45 Uhr. Klaus Jensen und seine Frau Malu Dreyer sind noch gar nicht zu sehen, da bricht schon donnernder Applaus los. Das prominente Polit-Paar kann sich nur mit dem Tempo einer Galapagos-Schildkröte bewegen, da Gratulanten und, etwas rigoroser, Journalisten ihre Aufmerksamkeit beanspruchen. Malu Dreyer strahlt, die Ministerin und Trierer SPD-Vorsitzende ist quasi die personifizierte Siegesfeier. Jensen selbst schüttelt souverän jede Hand, beantwortet eloquent alle Fragen und gibt dabei zu, dass auch er fassungslos ist. Gestik, Mimik und Körperhaltung verkünden eine eindeutige Botschaft: Ich habe es geschafft. Ich bin der Sieger. Ulrich Holkenbrinks Körpersprache ist natürlich eine andere. Doch er zeigt jede Menge Haltung, lächelt sogar manchmal, auch wenn ihn dieses Ergebnis mit Sicherheit unsagbar schmerzt.

Wer mit Jensen feiern will, muss nur vom Augustinerhof über die Straße zum Forum, in dem normalerweise eher Techno zuhause ist. Die davor wartende Menschemenge lässt vermuten, Techno-Guru Sven Väth sei nach Trier gekommen. Wenn man eine Meisterschaft der Eintracht (keinesfalls in der Regionalliga) und die Stimmung während des Trierer Rosenmontagsumzugs addiert, erhält man einen Eindruck vom Party-Geschehen am Wahlabend.

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