Ein Atelier an jeder Ecke

Alleine, mit Schülern oder selbst lernend bereist Jürgen Meyer-Andreaus die Welt. Immer ist er auf der Suche nach einem neuen Motiv. Stets im Gepäck sind Klappstuhl, Pinsel und Farben, und das Skizzenbuch ist in der Westentasche. Seit 1988 hat sich der ausgebildete Steinmetz und studierte Architekt der Aquarellmalerei verschrieben. Nun zeigte er seinen Kursteilnehmern in Trier, wie sie Bauwerke der Moselmetropole zu Papier bringen können.

 Jürgen Meyer-Andreaus hat sein Atelier auf dem Domfreihof aufgeschlagen und zeichnet Dom und Liebfrauenkirche als Aquarell. TV-Foto: Cordula Fischer

Jürgen Meyer-Andreaus hat sein Atelier auf dem Domfreihof aufgeschlagen und zeichnet Dom und Liebfrauenkirche als Aquarell. TV-Foto: Cordula Fischer

Trier. Das Skizzenbuch von Jürgen Meyer-Andreaus ist wie ein Tagebuch. Auf seinen Streifzügen durch Trier hat er Motive gefunden, die er ein paar Tage später mit seinen Schülern aufsuchen wird. Mit ein paar sicheren Strichen umreißt er die Konturen von Dom und Liebfrauenkirche und fängt an, das weiße Papier mit Farbe zu füllen und das Motiv zum Leben zu erwecken. Meyer-Andreaus arbeitet schnell. "Aquarell ist die Königsdisziplin. Diese Malerei ist spontan. Da kann man nichts ausradieren, ausbessern oder übermalen." Erst wenn sein Bild fertig ist, wird er wieder von seinem Klapphocker aufstehen.

"Die Motive kommen nicht zu mir, deshalb muss ich zu ihnen reisen": Das Reisen bezeichnet der 73-Jährige als einen seiner Lebensmotoren. Der unbändige Freiheitsdrang kommt nicht von ungefähr. Es ist das Resultat des "jahrelangen Eingeschlossenseins". Denn seine Jugendjahre erlebte er in Wittenberge in der ehemaligen DDR. Ein Studium wurde ihm verweigert, weil sein Vater als selbstständiger Handwerker zum Klassenfeind gehörte. So ging er schließlich bei ihm in die Lehre, wurde Steinmetz.

1955 fasste er den Entschluss, in den Westen zu gehen. Die Flucht bereitete er vor, informierte sich in Westberlin, legte dort ein zweites Mal das Abitur ab und setzte sich mit einem Freund in den Zug - zunächst nach Eberswalde und von dort in die geteilte deutsche Stadt. An der Technischen Universität studierte er Architektur.

Reisen, weg, raus: Das ist das Lebensmotiv von Meyer-Andreaus. Er arbeitete als Architekt in Schweden, lehrte danach an der Universität von Mexiko-City. Fachlich hatte er dann seine Grenzen erreicht, so dass er - zurück in Deutschland - ein städtebauliches Aufbaustudium aufnahm. "Ich wollte kein Wald- und Wiesen-Architekt sein. Mich hat der Industriebau interessiert, das Interdisziplinäre in der Arbeit und die Kunst des Kompromissefindens." Meyer-Andreaus ging in den öffentlichen Dienst, arbeitete in der Landes- und Regionalplanung in Augsburg und München und schließlich im bayerischen Umweltministerium im Ressort Öffentlichkeitsarbeit.

Gereist ist der 73-Jährige weiterhin viel. Von den Lofoten bis Südindien, von der Algarve bis Wien, von Marokko bis Schottland. Seine Ziele sucht er sich danach aus, "wo viel kulturhistorische und städtebauliche Substanz ist, wo sich Kultur und Historie verbinden". Ein Motiv auf sich wirken zu lassen, in Zwiesprache mit dem Objekt zu treten, das sind die ersten Momente im kreativen Prozess. "Meinen Schülern versuche ich, die Augen für die Schönheit dessen, was sie sehen, zu öffnen." Selbst wenn es eine Baustelle ist. "Ein Gerüst ist kein notwendiges Übel, sondern ein Arbeitsgerät, Teil des Lebens. Auch die Baumeister des Mittelalters hatten ihre Arbeitsgeräte. Ich habe ein ausgesprochenes Faible für technische Motive."

So hat er unter anderem den Wiederaufbau der Münchener Schrannenhalle oder die Bautätigkeit des Daimler-Chrysler-Konzerns als Aquarellist begleitet. "Meine Akademie ist die frische Luft", sagt Meyer-Andreaus. Sein Atelier kann gleich an der nächsten Ecke sein. "Wenn man mir heute das Malbesteck wegnehmen würde, ich würde sterben."

Als regelrecht "besessen" beschreibt er seine Beziehung zur Malerei. Den Malblock auf den Knien, den Pinsel in der Hand, so sitzt er oft stundenlang, in sich und in das Motiv versunken. Die Malerei ist Selbstzweck - und mehr: Die Menschen mit seinen Bildern anrühren, den Plätzen, Gebäuden und Orten, die er malt, so Wertschätzung erweisen, ist ein gewünschter Nebeneffekt.

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