Ein Dorf zeigt Mut zum sozialen Neuanfang

Aach · Aach will nach dem Vorbild von Eichstetten (Baden-Württemberg) eine Bürgergemeinschaft aufbauen. Ein Verein und ein Dorfcafé sollen Grundpfeiler eines sozialen Netzwerks zur Seniorenbetreuung und für generationsübergreifende Aktivitäten werden.

Die 1200-Einwohner-Gemeinde Aach will sich den Herausforderungen einer alternden Gesellschaft stellen und das soziale Miteinander von Jung und Alt fördern. Auf einer Bürgerversammlung wurde vereinbart, einen Verein zu gründen als Basis für eine Bürgergemeinschaft nach dem Vorbild von Eichstetten (Kaiserstuhl). Der langjährige Bürgermeister der badischen Gemeinde, Gerhard Kiechle, hatte zuvor rund 60 Aacher Bürgern das erfolgreiche Konzept der Bürgergemeinschaft seines Heimatortes präsentiert und resümiert: "Die soziale Kultur im Ort und das Bewusstsein fürs Helfen hat sich gesteigert." (siehe Hintergrund).

Neben der Vereinsgründung, die Ortsbürgermeister Ralf Kierspel für Januar anpeilt, soll in Aach möglichst bald ein ehrenamtlich betriebenes Dorfcafé als kommunikativer Treffpunkt und als Schaltzentrale für weitere Aktivitäten des Vereins eröffnet werden. "Futter" hat der zu gründende Verein bereits reichlich bekommen, denn auf der Zukunftskonferenz im September auf dem Wehrborn (der TV berichtete) hatten mehrere Arbeitsgruppen Ziele definiert. Unter anderem hatten sich mehrere Aacher bereiterklärt, kleinere Hilfen wie Einkäufe und Fahrten für Senioren zu übernehmen oder Computerkurse und geführte Wanderungen anzubieten. Ein Kochbuch mit "Mutters besten Rezepten" ist ebenfalls in Planung.

"Wir sind auf einem guten Weg und müssen jetzt dranbleiben, dann funktioniert's auch", sagte Ortsbürgermeister Kierspel. Aach habe in der Region eine Pilotfunktion, auch andere Gemeinden verfolgten die Entwicklung mit Interesse (zum Sachstand in Gusterath und Langsur, die Siegergemeinden im Kreiswettbewerb "Lebendige Dörfer" waren, siehe Extra).

Vor der Bürgerversammlung hatte der Steuerungskreis, bestehend aus interessierten Bürgern und Fachleuten - unter anderem vom Pflegestützpunkt Welschbillig und dem Haus auf dem Wehrborn - Gelegenheit, mit dem Gast aus Baden zu diskutieren.

Den Kontakt zu Kiechle hatte Dieter Ackermann von der Leitstelle "Älter werden" der Kreisverwaltung hergestellt, der selbst schon zweimal in Eichstetten war und im geplanten Freiwilligendienst der Bundesregierung ein Potenzial für ehrenamtliche Tätigkeiten sieht wie sie in Aach und vielen anderen Orten des Kreises geplant sind.

Der Gast aus Baden berichtete von Widerständen, vor allem der Wohlfahrtsverbände, als die Eichstettener 1998 die Bürgergemeinschaft als Verein gründeten und die Pflege der Bewohner selbst in die Hand nehmen wollten. Man dürfe dies rechtlich nicht und außerdem könne man es nicht - das habe man zu hören bekommen, so der 62-Jährige. Dennoch sei der Hilfemix aus 60 ehrenamtlichen Mitarbeitern, 52 Angestellten und professionell Tätigen (Sozialstation) sehr erfolgreich geworden und finde bundesweit Beachtung.

Kiechle empfahl den Aachern die Gründung eines Vereins ("Das ist einfacher als eine Genossenschaft oder eine Stiftung") und als zweiten Schritt einen Bürgertreff als Anlauf station - "am besten gut erreichbar in der Ortsmitte".

Helmut Müller (69) aus Aach-Hohensonne, der selbst in der Arbeitsgruppe "Mobilität" bei der Zukunftskonferenz mitgearbeitet hat, findet es hilfreich, dass "ein Mann aus der Praxis in Aach seine Erfahrungen mitgeteilt hat". In Aach müsse man jetzt mit einem Bürgerbüro den Anfang machen, findet Gertrud Meyer (60), danach würden sich gewiss weitere Helfer melden.

Meinung

Langer Weg nach Eichstetten

Eichstetten hat mit seiner Bürgergemeinschaft 17 Jahre Erfahrung, Aach steht noch ziemlich am Anfang. Eins zu eins wird man das badische Projekt in der Südeifel nicht übernehmen können; dies anzustreben, wäre auch vermessen. Aber der Besuch von Eichstettens langjährigem Bürgermeister Gerhard Kiechle hilft Aach ungemein weiter: Er motiviert und zeigt, wo es langgeht. Die Bürgergemeinschaft Eichstetten macht Mut, sie beweist, dass Dorfbewohner sehr wohl in der Lage sind, die sozialen Aufgaben im Dorf selbst zu organisieren und zu verwalten - und das auf hohem Niveau und zur Zufriedenheit aller. Eichstetten hat zudem vorgemacht, dass ein Verein und ein Treffpunkt (Bürgerbüro oder -café) die geeigneten Geburtshelfer sind. Aach kann jetzt die Euphorie gut gebrauchen, um in die Pötte zu kommen. Man muss sich aber auch bewusst sein, dass nach der Gründung des Vereins und der Einrichtung eines Bürgertreffpunkts die eigentliche Arbeit erst beginnt. Bis Eichstetten ist es ein langer Weg. a.follmann@ volksfreund.deHintergrund

Extra

Bürgergemeinschaft Eichstetten: Der Verein "Bürgergemeinschaft Eichstetten" hat 480 Mitglieder. Er unterstützt ältere und hilfsbedürftige Menschen im 3300-Einwohner-Ort in Baden und wird getragen von der Idee des Dorfes als Solidargemeinschaft. Hilfsbedürftige können hauswirtschaftliche oder pflegerische Dienste gegen eine Aufwandsentschädigung in Anspruch nehmen. Die Seniorenwohnanlage "Schwanenhof" bietet 16 Wohnungen für ältere Mitbürger, seit 2008 gibt es die Pflegewohngruppe "Adlergarten", in dem elf überwiegend an Demenz erkrankte Menschen permanent betreut und durch speziell ausgebildete Alltagsbegleiterinnen versorgt werden. Die Bürgergemeinschaft trägt sich durch Mitgliedsbeiträge (20 Euro jährlich), Einnahmen aus Vermietung der Räume (Feiern) und aus Spenden. Internet: www.buergergemeinschaft-eichstetten.de (alf)

Sachstand Gusterath: Der Aufbau einer "Zeitbörse" läuft. Bürger können gewünschte Tätigkeiten wie Fahrten zum Arzt, Einkäufe oder Dinge des alltäglichen Lebens anmelden (kurzfristig auch per Telefon), dann erfolgt die Abstimmung mit Ehrenamtlern, die helfen wollen. Nähere Infos gehen laut Ortsbürgermeister Alfred Bläser kommende Woche in einem Rundschreiben an die Haushalte. Sachstand Langsur: Mittels einer Haushaltsbefragung untersucht der Fachbereich Soziologie der Uni Trier die Lebensqualität an der unteren Sauer (der TV berichtete). Zurzeit werden die Antworten der Langsurer Bevölkerung ausgewertet; Ergebnisse werden in einer Bürgerversammlung präsentiert. In einer ähnlichen Aktion werden auch in Ralingen Stärken und Schwächen im Ort ermittelt. (alf)

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