Gedenken und Mahnung Ein kleiner Koffer soll in Trier an die Deportation von 189 Juden erinnern

Trier · Vor gut 100 Teilnehmern wurde am Freitag an der Rindertanzstraße ein kleiner Bronzekoffer enthüllt. Er soll an eines der dunkelsten Kapitel der Stadtgeschichte erinnern und zum Nachdenken anregen.

 Werfen einen ersten Blick auf das frisch enthüllte Denkmal (v.l.n.r.): Antisemitismusbeauftragter Dieter Burgard, Oberbürgermeister Wolfram Leibe, Peter Szemere von der jüdischen Gemeinde  und Initiator Ralf Kotschka.

Werfen einen ersten Blick auf das frisch enthüllte Denkmal (v.l.n.r.): Antisemitismusbeauftragter Dieter Burgard, Oberbürgermeister Wolfram Leibe, Peter Szemere von der jüdischen Gemeinde und Initiator Ralf Kotschka.

Foto: Noah Drautzburg

Es muss reger Betrieb geherrscht haben an der heutigen Rindertanzstraße am frühen Nachmittag des 16. Oktober 1941. 189 Menschen aus Trier und Umgebung sollten sich damals um 14 Uhr im dortigen Bischof-Korum-Haus einfinden. Sie hatten ihre Schlüssel abgegeben, Vermögenserklärungen ausgefüllt und einen großen Teil ihres Vermögens überwiesen – 50 Reichsmark Wegegeld inklusive. Womit sie ihre Koffer packen durften, war genau vorgeschrieben: Zwei Paar Socken, zwei Hemden, zwei Unterhosen und so weiter. Nur wohin die Fahrt gehen sollte, das ahnten sie allenfalls aus Gerüchten.

189 Menschen. Am helllichten Tag. Es waren Jüdinnen und Juden, die nachts in den Deportationszug Da3 verladen werden sollten. Ziel: Das Ghetto Litzmannstadt. Die allermeisten wurden später ermordet.

2019 stellte die Stadt im Bereich Rindertanzstraße zwei Informationstafeln auf. Seit vergangenem Freitag soll nun auch ein kleiner Bronzekoffer an das erinnern, was sich damals unter aller Augen abspielte. Etwa 40 mal 30 Zentimeter, wie vergessen steht er dort auf einer der Sitzgelegenheiten. Daneben eine Bronzetafel mit einem kurzen Informationstext und einem Gedicht von Gerty Spies – einer Trierer Jüdin, die das KZ Theresienstadt überlebte. Es trägt den Titel „Des Unschuldigen Schuld“ und mahnt dazu, bei Unrecht nicht bloß mit den Schultern zu zucken, sondern tätig zu werden. „Meine Intention war, genau an diesem Ort, an dem viele Menschen vorbeigehen, etwas zu platzieren, das zunächst die Neugierde weckt und dann zum Nachdenken anregt“, sagt Ralf Kotschka, der das Projekt vor bald drei Jahren initiiert hat.

Gut 100 Menschen waren am späten Freitagnachmittag zu der Enthüllung der Plastik gekommen, Redner aus Politik und Zivilgesellschaft hielten kurze Ansprachen. Im Anschluss daran zogen die Teilnehmer zum Hauptbahnhof, wo Schülerinnen des Max-Planck-Gymnasiums die Namen der 102 mit dem Zug Da3 deportierten Jüdinnen und Juden aus dem Stadtgebiet verlasen.

Peter Szemere von der jüdischen Gemeinde Trier bedankte sich bei allen, die das Mahnmal möglich gemacht hatten, insbesondere bei Oberbürgermeister Wolfram Leibe (SPD), der nach einem Ortstermin im Januar dieses Jahres sofort seine Unterstützung zugesagt habe sowie bei der Kulturstiftung der Sparkasse, die einen Großteil der Kosten übernahm.

Leibe selbst erinnerte daran, dass es Schülerinnen und Schüler des Auguste-Viktoria-Gymnasiums waren, die sich mit der Geschichte des Platzes auseinander gesetzt hatten und so die Grundlage für die 2019 aufgestellten Informationstafeln schufen. „Und deshalb habe ich mich sehr gefreut, Herr Szemere und Herr Kotschka, als Sie bei mir waren und sagten, Sie würden diesen Weg gerne weitergehen und diesen Koffer als Symbol aufstellen“, sagte Leibe. Gerade heute sei es wichtig, mit wiederkehrenden Symbolen an diese Verbrechen zu erinnern.

„Gerade heute“ – diese Formulierung zog sich durch die Worte aller Redner. Auch Dieter Burgard, der Antisemitismusbeauftragte des Landes Rheinland-Pfalz betonte, dass Menschenfeindlichkeit in Deutschland keinesfalls mit dem Zweiten Weltkrieg endete: „Hass gegen Juden überlebte die Nazi-Diktatur, ja er ist seit 30 Jahren verstärkt sichtbar geworden“, sagte er und richtete einen Appell an die gut 100 Zuhörer: „Lassen wir es nicht zu, dass die Demokratie – die beste Staatsform, die wir je hatten – zerstört wird.“

Diese Mahnung soll ab sofort auch von dem kleinen Bronzekoffer ausgehen. Denn der solle nicht nur an Vergangenes erinnern, sondern im Hier und Jetzt zum Denken anregen, sagt Initiator Kotschka: „Aber es wäre schade, wenn es nur beim Denken bleibt. Angesichts der Entwicklung in unserer Demokratie fände ich es schön, wenn wir über das Gedenken hinausgehen hin zum Handeln.“

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort