Ein Rätsel für Zugezogene

Der Trierer an sich… ist nicht nur Bewohner der ältesten Stadt Deutschlands, er ist auch der am längsten "fremdregierte" Staatsbürger in deutschen Landen.Seit Julius Caesar und seinem Gallischen Krieg (58 bis 50 v.

Chr.) ist es weitgehend vorbei mit der Selbstbestimmung. Erst unterjochte Rom die Treverer und verleibte sie dem Imperium ein. Dann kamen Franken, Karolinger, Erzbischöfe, Kurfürsten, Franzosen, Preußen, Saarbrücker… Mit stets denselben Risiken und Nebenwirkungen: Der Trierer hatte in seiner eigenen Stadt nicht allzu viel zu sagen. So etwas hinterlässt Spuren in der Mentalität. Kein Wunder also, dass der Trierer an sich ein eher bescheidener Zeitgenosse ist.
Was ihn aber heutzutage nicht davon abhält, in nostalgischen Gedanken an römische Glanzzeiten zu schwelgen. Trier als Hauptstadt des Weströmischen Reiches - das ist ein Alleinstellungsmerkmal erster Güte. Da zumindest können Koblenzer, Kaiserslauterer und Mainzer nicht mithalten. Bitburger, Wittlicher, Dauner und Konzer erst recht nicht. Das heutige Trier ist regionales Oberzentrum. Und endlich wieder Großstadt. Das ist Seelenbalsam fürs arg angeknackste Selbstbewusstsein.
Zumal der Trierer mit dem unguten Gefühl aufwächst, beruflich und karrieretechnisch in der Heimat schnell am Ende der Möglichkeiten angelangt zu sein. Konstantin hat es vor 1700 Jahren vorgemacht: Willst Du groß rauskommen, dann musst Du raus in die weite Welt. Karl Marx, Clara Viebig, Oswald von Nell-Breuning und selbst Horst Köhler alias Guildo Horn traten in Kaisers Auswanderer-Fußstapfen und brachten es erst in der Fremde zu großem Ruhm.
Die Zurückgebliebenen sorgen auf ihre Weise für Furore. In erster Linie, indem sie Außenstehenden (was auch Urlauber und Zugezogene sein können) Rätsel aufgeben. Die werden nämlich nicht wirklich schlau aus dem Trierer. Dem einen erscheint der Bewohner der ältesten Stadt Deutschlands als ein eigenbrötlerischer Stur- und Querkopf, dem anderen als unberechenbarer Ausbund linksrheinischer Fröhlichkeit (dem allenfalls noch der Kölner das Wasser reichen kann).
Die Wahrheit liegt wohl in der goldenen Mitte. Die gesunde Portion Skepsis gegenüber Neuerungen und vor die Nase gesetztem Führungspersonal (das von überall herstammt, nur nicht aus Trier) ist historisch bedingt. Die mitunter überschäumende und ansteckende Freude (immer wieder im Karneval zu beobachten) ebenfalls. So richtig viel zu feiern hatte der gemeine Trierer in den vergangenen knapp 2070 Jahren ja nicht. Da muss man die raren sich bietenden Gelegenheiten dankbar nutzen.
Der Trierer, berüchtigt für seinen ganz speziellen Umgang mit deutscher Sprache ("Soll ich Dich mitholen bei die Oma?") und bemitleidet als leidgeprüfter Eintracht-Fan, ist aber viel polyglotter, als ihm nachgesagt wird. Zum Viez gibt\'s Limburger, zum Kaffee Berliner, zum Kartoffelsalat Wiener oder Frankfurter, zum Verprügeln Hermeskeiler.
Weil der Trierer so ein geselliger Mensch und nicht gerne alleine ist, hat er sich mehrfach in den letzten beiden Jahrhunderten auf unbiologische Art vermehrt. "Eingemeindung" heißt das Zauberwort, das zuletzt 1969 in großem Stil propagiert wurde und Bewohner selbst so abgelegener Flecken wie Zewen oder Ruwer/Eitelsbach mit den Segnungen der Urbanität vertraut und sie zu Großstädtern machte.
Der Trierer zu Beginn des 3. Jahrtausends hat sich von den Mentalitätsfesseln der Vergangenheit befreit. Motto: Alles wird gut - oder wenigstens besser.

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