Ernährung Zuckerfrei naschen in Trier?

Trier/Paris · Ein Lebensmittelexperte klärt auf: Wie gesund sind zuckerfreie Süßigkeiten wirklich? In Trier sind sie gar nicht so leicht zu finden. Unsere Reporterin hat sich auf die Suche gemacht.

 Bunt, süß, ungesund: Für viele Süßigkeiten gibt es inzwischen zuckerfreie Alternativen. Ein Trierer Professor erklärt, ob es ratsam ist, zuzugreifen.

Bunt, süß, ungesund: Für viele Süßigkeiten gibt es inzwischen zuckerfreie Alternativen. Ein Trierer Professor erklärt, ob es ratsam ist, zuzugreifen.

Foto: Franziska Wonnebauer

Noch schnell etwas Süßes zum Knabbern für unterwegs einkaufen. In der Süßwarenabteilung des Supermarkts greife ich nach einer Packung Double-Chocolate-Cookies. Doch ein flüchtiger Blick auf die Nährwertangaben schmälert meine Vorfreude: 32 Prozent Zucker! Schon nagt das schlechte Gewissen an mir. Eigentlich hatte ich mir vorgenommen, meinen Zuckerkonsum zu reduzieren.

Schweren Herzens stelle ich die Packung zurück ins Regal und will den Supermarkt schon verlassen. Da springt mir ein ganzes Regal mit zuckerfreien Süßwaren ins Auge. Erdbeertartelettes, Mandel-, Kokos- und Zitronenplätzchen, Doppelkekse mit Kakaocremefüllung und sogar Cookies mit Schokoladenchips - alles angeblich zuckerfrei und ganz ohne Geschmackskompromisse. „Toll, genau das Richtige für mich“, denke ich, schnappe mir zufrieden meine Kekse und bezahle. Dann kann ich ja ganz ohne schlechtes Gewissen naschen – oder?

Die Qualität der Gesamtrezeptur zählt Nicht ganz, sagt der Trierer Süßwaren-Experte Prof. Enrico Careglio, Leiter des Fachgebiets Lebensmittel-Sensorik und Produktentwicklung in der Fachrichtung Lebensmitteltechnik an der Hochschule Trier: „Die Fragestellung, ob zuckerfreie Süßwaren tatsächlich gesünder sind, sollte immer im Kontext zu einer Gesamtrezeptur beantwortet werden.“ Wie gesund diese Süßwaren sind, hängt laut dem Professor vor allem von der Qualität der Zutaten ab: Besonders, wenn die süßen Naschereien mit Füllstoffen gestreckt sind, ist Vorsicht geboten. Beispiel: Zuckerfreie schokolade-ummantelte Erdnussbutter-Cups. Damit sich die alternative Variation genauso gut herstellen lässt wie die Erdnuss-Cups mit Zucker (Saccharose), werden die fehlenden Zutaten durch die Füllstoffe Polydextrose und Cellulose ersetzt. Diese Zusatzstoffe liefern kaum Energie und verringern den Anteil an qualitativ höherwertigen Zutaten. „Die Rezeptur ist dann qualitativ gemindert“, sagt Careglio.

Zahnfreundlicher und für Diabetiker geeignet Gerade für Diabetiker eignen sich saccharosefreie Süßwaren aber oft besser. Denn Bonbons, Kaugummi oder Schokolade ohne Saccharose werden meist mit Zuckeraustauschstoffen wie Isomalt, Xylit oder Maltit gesüßt. Diese Süßungsmittel wirken sich kaum auf den Blutzuckerspiegel aus. „Das bedeutet, Isomalt ist im Gegensatz zu normalem Haushaltszucker besser geeignet für Diabetiker und Menschen, die abnehmen wollen“, sagt Careglio. Die Süßungsmittel würden zudem für die Herstellung von zahnfreundlichen Lebensmitteln, wie etwa Kaugummi, verwendet. „Denn sie können nicht gleich von den Bakterien verstoffwechselt werden, die an der Bildung von Karies beteiligt sind“, erklärt der Professor.

Gesundheitlich seien Zuckeraustauschstoffe unbedenklich, solange sie in Maßen genossen werden. Bei übermäßigem Verzehr können sie jedoch zu Durchfall oder Blähungen führen. Produkte mit mehr als zehn Prozent Zuckeraustauschstoffen müssen daher mit dem Hinweis „kann bei übermäßigem Verzehr abführend wirken“ gekennzeichnet sein.

Die Trierer Ernährungsberaterin Eva Hauser rät daher von Süßwaren mit Zuckeraustauschstoffen ab: „Zuckerersatzstoffe wie z.B. Sorbit, Maltit oder Xylit verursachen bei vielen meiner Patienten Bauchbeschwerden“, sagt sie. Die Ernährungsberaterin empfiehlt deshalb, lieber ein Stück Schokolade zu essen, statt auf zuckerfreie Alternativen zurückzugreifen. Sie erklärt: „Die Dosis macht das Gift - auch bei Süßigkeiten.“

Nachfrage und Angebot in Trier gering Mit diesem Wissen und angetan von den leckeren Cookies von neulich begebe ich mich auf die Suche nach zuckerfreien Süßwaren in Trier. Denn das Supermarktregal mit den zuckerfreien Keksen habe ich leider nicht in der Heimat, sondern bei meinem jüngsten Besuch in Frankreich vorgefunden. In den ersten vier Trierer Supermärkten sind die Mitarbeiter sichtlich erstaunt über meine Nachfrage. Offenbar bin ich die erste Kundin seit Ewigkeiten, die sich nach zuckerfreien Süßwaren erkundigt.

Dementsprechend rar ist das Angebot: Ich entdecke höchstens zuckerreduzierte Butterkekse, Bonbons und zuckerarmes Frucht- und Kaugummi. Saccharosefreies Spritzgebäck und Mini-Cookies mit Schokoladenstückchen finde ich erst im fünften Supermarkt. Mein Bedarf für die nächsten Wochen ist damit zwar gedeckt. Trotzdem suche ich weiter.

„So was haben wir leider nicht“, sagt mir ein Supermarkt-Mitarbeiter in einem anderen Laden, obwohl ich die zuckerfreien Mini-Cookies im selben Moment im Regal erspähe. Letztlich lotst er mich dann doch quer durchs Geschäft zu einer Reihe zuckerfreiem Protein-Pudding und vier Sorten Schokolade, darunter eine Tafel Vollmilchschokolade von Lindt. Die Nachfrage sei gering, erklärt der Mitarbeiter. Kunden fragten eher nach veganen oder laktosefreien Alternativen.

In einem Reformhaus finde ich schließlich auch agavengesüßten Schokosirup und mit Datteln gesüßte Brotaufstriche. Doch auch hier mussten die Mitarbeiter lange überlegen. Fazit: Alternative Süßigkeiten in Trier gibt es. Kunden müssen jedoch suchen, da die wenigen Produkte im ganzen Supermarkt verstreut sind und sich auch Mitarbeiter aufgrund der geringen Nachfrage im zuckerfreien Sortiment oft nicht auskennen.

Verwöhnfaktor und Kostenfrage Doch warum interessiert sich die Trierer Kundschaft nicht für alternative Süßwaren? Ich frage eine Kundin in der Süßwarenabteilung eines Supermarkts. „Ich habe keine Gewichtsprobleme“, erklärt mir die ältere Dame, die eine Tafel Schokolade in den Einkaufswagen wandern lässt. Dass es bei zuckerfreien Süßwaren mehr um die Gesundheit als das Körpergewicht geht, versteht sie zwar. „Aber ich esse so selten Süßigkeiten, dass ich mir ab und zu gerne ein Stück Trauben-Nuss-Schokolade gönnen möchte.“ Und diese Sorte gibt es nun mal nicht zuckerfrei.

Enrico Careglio spricht hier vom „psychologischen Effekt beim Essen einer Süßware“, vom Gefühl, „sich selbst zu verwöhnen“. „Dabei werden nur wenige Kompromisse hinsichtlich eines sensorischen Profils eingegangen“, erklärt er.

Ein möglicher Grund für das Desinteresse an zuckerfreien Süßwaren könnte auch der Preis sein: Ein gewöhnlicher Cookie mit Schokodrops kostet in einem Trierer Supermarkt pro Stück umgerechnet sieben Cent. Das zuckerfreie Pendant liegt bei rund 19 Cent, kostet also fast zweieinhalb Mal so viel. Zuckerfreie Ernährung ist damit auch eine Kostenfrage.

Nutri-Score in Frankreich In Frankreich sind die speziellen Kekstaler ebenfalls kein günstiges Vergnügen: Ein Schokocookie kostet rund 20 Cent. Dass die zuckerfreien Süßigkeiten im Nachbarland dennoch en masse angeboten werden, hat laut Careglio folgenden Grund: Nach jahrzehntelangen politischen Debatten über die Verbesserung der Qualität der Ernährung führte Frankreich 2018 den sogenannten Nutri-Score ein. Das fünfstufige Ampelsystem, das inzwischen auch in deutschen Supermärkten immer häufiger zu sehen ist, bewertet die Nährwertqualität von Fertigprodukten und kann von Lebensmittelherstellern freiwillig auf der Produktverpackung platziert werden. Viele französische Hersteller hätten ihre Rezepturen daraufhin an die sensibilisierten Kunden angepasst.

„Letztendlich muss eine Süßware, die in der Regel in kleinen Portionen konsumiert wird, schmecken“, stellt Careglio fest. Seine Maxime: „Wenn ich die Wahl hätte zwischen einer Süßware und einer zuckerfreien Alternative, die keine Abweichungen in Geschmack, Geruch und Textur zum Standard aufweist, dann würde ich auch zur Alternativrezeptur greifen.“

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