Ein Türmchen zum Beobachten

Der Lieblingsort des Trierer Stadtschreibers Frank Meyer ist seine derzeitige Wohnung in der Liebfrauenstraße - die nahe gelegene Weinstube ist sein zweites Wohnzimmer.

Von meinem Lieblingsort in Trier habe ich einen guten Überblick über das Geschehen und bin gleichzeitig irgendwie mittendrin: Es ist die Stadtschreiber-Wohnung in der Liebfrauenstraße, gleich über der Weinstube Kesselstatt. Ich wohne dort seit Anfang April und bleibe noch bis Ende September. Das ist eine schöne Zwei-Zimmer-Wohnung. Das dritte Zimmer - ich zähle das immer dazu - ist der Biergarten gleich unterhalb des Fensters. Ich hocke dort ganz gerne auf der Empore, die gleich gegenüber der Liebfrauenkirche ist. Bei gutem Wetter verbringe ich viel Zeit da oben und schreibe dort auch einige meiner Geschichten auf.
Es ist auch ein wunderbarer Ort zum Beobachten: Man kann den Biergarten überblicken und sieht, wer kommt und wer geht. Aber man sieht auch den Domfreihof gut - hin und wieder kommt Bischof Ackermann ja vorbeigelaufen. Diese Empore ist so ein bisschen wie ein Türmchen, von dem aus man die Welt anschauen kann.
So versacke ich doch immer wieder in meinem dritten Zimmer meiner Stadtschreiber-Wohnung. Ich muss sagen: Die Nähe zur Weinstube ist für mich ebenso bequem wie gefährlich. Ich lande da schon ab und zu mal ungeplant und bleibe dann dort hängen. Etwas mehr als zwei Drittel meiner Zeit bin ich in dieser Wohnung in der Innenstadt. Nur etwa jedes zweite Wochenende fahre ich mal in meine eigentliche Wohnung im saarländischen Primstal, um zu gucken, ob da noch alles steht. Mein Lieblingsort in Trier ist also eher ungewöhnlich, weil er für mich zeitlich begrenzt ist. Dieses halbe Jahr will ich voll und ganz genießen.
An der Stadtschreiber-Wohnung gefallen mir besonders die kurzen Wege zu allen Orten, wo etwas los ist. Ich hätte mir niemals eine so zentral gelegene Wohnung für mich selbst gesucht; ich dachte immer, in der Fußgängerzone ist es doch zu unruhig und zu laut. Nun aber merke ich: Das stimmt so gar nicht! Ich fühle mich sehr wohl dort! Man entdeckt Trier völlig neu, wenn man mal so richtig mittendrin ist. Ich merke, wie die Stadt wirkt, wie sie riecht und wie sie klingt, wenn ich mal nachts um zwei Uhr von einer Veranstaltung zurückkomme und über das regennasse Kopfsteinpflaster nach Hause schlendere. Oder wenn ich morgens mal sehr früh aufstehe, schon um halb sieben durch die Stadt gehe und das Geräusch der Kehrmaschinen höre. Ich erfasse Trier und seine Atmosphäre jetzt viel besser.
Sehr spontan gehe ich nun auch mal zu einer Veranstaltung, etwa in den Mergener Hof. Diese Spontaneität ist toll! Nicht alles davon bietet Stoff, um darüber zu schreiben, aber vieles gibt mir Inspirationen. Das Lustige daran ist: Ich bin eigentlich überhaupt kein spontaner Mensch. Das klingt jetzt vielleicht wenig künstlerisch: Aber ich habe ja auch noch einen ganz normalen Job an der Uni, bei dem ich viel planen und organisieren muss. Und sogar beim Schreiben plane ich recht genau vor, was ich wann wie aufschreiben möchte. Ich habe jetzt aber gemerkt, dass es anders ist, wenn man mal wirklich mittendrin lebt - dann wird man ganz von alleine spontaner.
Aufgezeichnet von Kim-Björn Becker

Extra

Frank Meyer ist seit April Trierer Stadtschreiber. Noch bis September verfasst er zahlreiche Texte über das Leben in der Stadt Trier und lebt dazu in einer Stadtschreiber-Wohnung in der Liebfrauenstraße. Neben dieser Tätigkeit ist Meyer Leiter des Graduiertenzentrums an der Universität Trier. kbb

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