Eineinhalb Jahre Haft für Schockanrufer

Trier · Das Amtsgericht Trier schickt einen 44-jährigen Litauer für ein Jahr und sechs Monate hinter Gitter. Das Gericht hält ihn für schuldig, Mitglied einer Bande zu sein, die mit Schockanrufen Geld von Menschen mit osteuropäischen Wurzeln erpressen will.

Die Geschichte, die sich im Januar in Trier abgespielt hat, zeigt deutlich, wie verletzlich und angreifbar ein Mensch im Schockzustand ist, auch wenn man ihm völligen Blödsinn auftischt. Als das Telefon in einer Wohnung im Westen Triers klingelt, hebt eine 19-jährige Schülerin ab. Eine Frau ist dran. Sie weint, ist völlig aufgelöst und spricht sehr undeutliches Russisch. Die aus einer russischen Familie stammende Schülerin fragt, wer denn hier spreche. Sie hört den Satz "Kennst du deine eigene Mutter nicht?"

Doch bevor die Schülerin näher mit der Anruferin sprechen kann, gibt diese das Telefon an einen Mann weiter. Dieser stellt sich als Anwalt vor. Die entsetzte 19-Jährige erfährt, dass ihre Mutter eine Treppe heruntergestürzt sei und ein Kind mitgerissen habe. Das Kind habe eine schwere Kopfverletzung erlitten. Nur eine Notoperation könne es retten. Diese koste 26.000 Euro, und diese Summe müsse die Familie sofort bar bezahlen, sonst komme die Mutter ins Gefängnis.

Völliger Unsinn von A bis Z, doch der Schock wirkt. Die 19-Jährige sucht in der Wohnung 1700 Euro zusammen, und schon klingelt es an der Haustür: Dort steht ein Mann - der 44-jährige Angeklagte aus Litauen - bereit, das Geld sofort abzuholen. Doch dazu kommt es nicht, denn die Mutter, die ebenfalls in der Wohnung in Trier-West lebt und in einem Kindergarten arbeitet, kommt kurz vor der Übergabe zur Wohnungstür herein. Sie hat Nachbarn besucht.

Danach geht es schnell. Die Polizei nimmt den Boten, der das Geld abholen wollte, mit Hilfe einer aufmerksamen Taxifahrerin fest. Der angebliche Anwalt am Telefon und die Frau, die sich als Mutter der 19-Jährigen ausgegeben hat, bleiben unerkannt.

Nur der Geldbote landet auf der Anklagebank und erzählt mit Hilfe des litauischen Dolmetschers, er habe die Familie nur aufgesucht, um einen Brief abzuholen. Darum habe ihn ein Russisch sprechender Unbekannter gebeten. Richter Helmut Reusch, der die Verhandlung mit der für ihn typischen Mischung aus Energie und Humor leitet, fragt den Dolmetscher schließlich, was "hanebüchen" auf Litauisch heiße.

Der Angeklagte bleibt bei seiner Story: Er wisse nichts von Tricks und Schockanrufen, sondern habe nur die Bitte des russischen Unbekannten erfüllen wollen. Diesem gehöre auch das Handy, das der Verurteilte bei sich hatte und auf dem die Ermittler mehrere SMS gefunden und übersetzt haben. Eine davon lautet: "Wärst du eine Minute früher gekommen, hätte sie 1700 Euro gegeben."

In Deutschland ist der Mann nicht vorbestraft, doch in Litauen hat er bereits mehrere Jahre gesessen. Raub, Betrug Gewaltdelikte. "Ich glaube Ihnen kein Wort", sagt Staatsanwalt Wolfgang Barrot in seinem Plädoyer. Es stehe fest, dass der 44-Jährige einer Bande angehöre, die sich auf diese typische Masche spezialisiert habe. Barrot forderte ein Jahr und drei Monate ohne Bewährung. Das Schöffengericht erhöhte auf ein Jahr und sechs Monate wegen versuchten Betruges in einem besonders schweren Fall. "Eine Bewährung kam nicht in Betracht", sagte der Vorsitzende Reusch in der Urteilsbegründung. "Es gibt keinen Zweifel daran, dass Sie diese Familie ausnehmen wollten."
EXTRA

Die Methode: Sie überrumpeln ihre Opfer, rufen sie an und erzählen eine Horrorgeschichte von einem schrecklichen Unfall, den ein Angehöriger verursacht hat. Manchmal ist es auch ein Verbrechen, begangen von jemandem, der dem Angerufenen sehr nahe steht. Es gebe nur eine Lösung, nämlich Geld. Nur durch eine bare Summe könne noch größeres Unheil abgewendet werden. Diese Methode hat sich als Schockanrufe im Polizei- und Justizjargon etabliert. Oft ist auch vom Enkeltrick die Rede, denn die Opfer sind zumeist ältere Menschen, denen die Täter vorgaukeln wollen, ihre Enkel seien in Gefahr. Im Juli 2012 brachten Betrüger eine 79-jährige Triererin mit einem solchen Schockanruf dazu, 35?000 Euro an einen Boten zu übergeben.

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