"Einfach zusehen kam nicht in Frage"

TRIER. Mit einer eigenen, spontanen Hilfsaktion hat ein Trierer Ehepaar drei Fischerdörfern in Indien beim Wiederaufbau der Infrastruktur geholfen. Mit vergleichsweise geringen Mitteln konnte effektive Hilfe zur Selbsthilfe geleistet werden.

Hans-Joachim Schrodt liebt Indien. Das hängt damit zusammen, dass der Lehrer für Maschinenbau die 90er-Jahre als Entwicklungshelfer im Auftrag der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit dort verbracht hat. Als er und seine Frau 1999 nach Trier zurückkehrten, blieben freundschaftliche Verbindungen nach Madras - und die Unterstützung seiner "Indienhilfe e.V." für ein Kinderheim in der Nähe der Millionenstadt, die heute Chennai heißt. Um so größer war das Entsetzen, als die Schrodts an Weihnachten die Bilder aus dem Überschwemmungsgebiet sahen, das auch Regionen in der Nähe von Madras betraf. Wenige Tage später, kurz vorm Einschlafen entstand die Idee, nach Absprache mit den Freunden in Indien selbst rüber zu fliegen und an Ort und Stelle zu helfen. "Erst am nächsten Morgen wurde mir klar, auf was wir uns da eingelassen haben", erzählt Hans-Joachim Schrodt, "aber einfach zusehen kam nicht in Frage."Fünf Tage zwischen Idee und Realisierung

Zwischen der Idee und der Realisierung standen gerade mal fünf Tage - ausgerechnet die Zeit zwischen den Jahren. Das Einreisevisum konnte Schrodt an Silvester im indischen Konsulat in Frankfurt abholen. Auf den letzten Drücker wurden auf eigene Kosten zwei Flüge organisiert, die Fluggesellschaft erlaubte es dem Ehepaar, 60 Kilo Zusatzgepäck kostenlos mitzunehmen - so konnten Kleiderspenden für Kinder den Weg nach Madras antreten. "Überall wurde unbürokratisch und schnell reagiert", lobt Schrodt. Das galt auch für den Freundeskreis in Trier. Binnen weniger Tage kamen auf private Initiative 13 000 Euro zusammen, die Margit und Hans-Joachim Schrodt mitnehmen konnten. "Eigentlich illegal", wie er im Nachhinein einräumt. Aber das Geld bei den indischen Behörden zu deklarieren, wäre ein endloses Prozedere gewesen. Mit Unterstützung orts- und sprachkundiger Freunde und einer hilfsbereiten Bank gelang es, die Euros in Chennai gegen indische Rupien einzutauschen. So ausgestattet, machten sich die Schrodts und ihre Bekannten auf Hilfs-Mission nach Mahaballipuram. Nicht aufs Geratewohl, wie der ehemalige Entwicklungshelfer betont, sondern auf Effektivität bedacht. Hilfe zur Selbsthilfe wollte man leisten, in drei Fischerdörfern, denen die Flutwelle die Lebensgrundlage geraubt hatte.Hütten spurlos im Meer verschwunden

Hans-Joachim Schrodt hat Bilder mitgebracht, die einen leeren Strand mit Palmen zeigen. "Genau da standen vorher die Hütten der Bewohner." Fast spurlos sind sie im Meer verschwunden, ebenso wie Boote und Netze der Fischer, wie die Schulsachen der Kinder, wie die bescheidene Wohn-Ausstattung der Familien. Man lebt in Zelten, ist damit beschäftigt, mit bloßen Händen die sandüberflutete Straße zu räumen. Mit der Ankunft der Helfer versammeln sich die Dorfältesten. Was wird am nötigsten gebraucht, ist die entscheidende Frage. Kochgeschirr, heißt es, und Schulsachen für die Kinder. Und vor allem Fischernetze, denn hier leben alle von der Fischerei. Die Katamarane hat der Tsunami zerschmettert, aber die Männer bauen längst neue, bearbeiten große Holzstämme mit Messern und Äxten. Die Netze kann man in der nächsten größeren Stadt kaufen, wenige Autostunden entfernt. Aber das Material, ohne das die Fischer ihrem Beruf nicht nachgehen können, kann hier keiner bezahlen. Binnen weniger Stunden entsteht eine Art Bedarfsliste, die die Dorfeinwohner unterschreiben - viele per Daumenabdruck. Ein kurzer Überschlag, dann wird klar: Das Geld aus Trier reicht, um 250 Kinder mit Schulmaterial zu versorgen, jeder Familie ein Set mit Kochtopf und Metalltellern zur Verfügung zu stellen und für die Dorfgemeinschaften Fischernetze zu erwerben. Sprecher der Bewohner fahren mit zum Einkauf. Der erfahrene Entwicklungshelfer überlässt die Verteilung nicht dem Zufall. Jedes Zelt erhält pro Familie eine Art "Gutschein", der eine gerechte Aufteilung sichert. Was jetzt noch am dringendsten fehlt, sind Außenbordmotoren, die gebraucht werden, sobald die Fischer ihre neuen Boote fertig gebaut haben. Am letzten Tag seines einwöchigen Aufenthalts gelingt es dem Ehepaar Schrodt, die entscheidende Voraussetzung für die Fortsetzung der Hilfe zu schaffen: Mit indischen Freunden gründet man eine Art eingetragener Firma. Nur auf diesem Weg ist es möglich, gesammelte Spenden und Hilfsgelder direkt von Trier nach Indien zu überweisen, damit den Menschen von Mahaballipuram weiter geholfen werden kann. Pünktlich zum Schulbeginn ist Lehrer Schrodt wieder in Deutschland - und kann erfreut feststellen, dass auf dem Konto seiner "Indienhilfe e.V." (Nr. 2456432 bei der Sparkasse Trier) schon wieder ein paar tausend Euro eingegangen sind. "Damit können unsere Freunde weiterarbeiten", sagt er erfreut, und hofft auf weitere Unterstützung. Selber wieder rüber zu fliegen, "das muss im Moment nicht sein", sagt er. Dann eher in ein paar Monaten, wenn er im Ruhestand ist. Vielleicht auch wieder mit seinen Trierer Sängerfreunden, für die er vor zwei Jahren eine kleine Tournee in Indien organisiert hat. Denn schließlich liebt er das Land.

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