Entschieden langsam

TRIER. Katholische Kirche und nationalsozialistische Judenverfolgung: Viel ist über dieses Thema spekuliert worden. Nach der Öffnung maßgeblicher Archive 2003 sind nun einige gesicherte Aussagen möglich – auch wenn weiter Fragen offen bleiben, wie bei einem Vortrag in Trier deutlich wurde.

Hat der Vatikan zur Judenverfolgung im nationalsozialistischen Deutschland geschwiegen? Nein, im Gegenteil, sagt Thomas Brechenmacher: "Die Äußerungen waren deutlich." Die Frage, erklärte der Experte bei einem Vortrag im Trierer Priesterseminar, laute vielmehr: "Kamen diese Stellungnahmen nicht zu spät und zu zögerlich?" Brechenmacher, promovierter Historiker an der Münchner Bundeswehr-Uni, erforschte 2003/2004 gerade frei gegebene Dokumente des Vatikans. Bei seinem Vortrag auf Einladung der Katholischen Akademie und des Emil-Frank-Instituts zeichnete er das Vorgehen Roms nach: Schon früh beauftragte man den Nuntius in Berlin, mögliche Schritte gegen die Judenverfolgung zu ermitteln. Überlegungen, wie man sich für die Juden einsetzen könnte, ohne die Kirche zu sehr zu gefährden, hätten sich als Fehleinschätzung erwiesen, sagte Brechenmacher: "Der Kulturkampf war in vollem Gange, unabhängig von der Haltung zu den Juden." Ende 1934 unternahm Rom erstmals konkrete Schritte zur Verurteilung totalitärer Systeme und der Rassenideologie. Die Erarbeitung dieses so genannten Syllabus zog sich wegen des komplizierten Verfahrens hin und wurde schließlich vertagt, weil man nun eine Äußerung des Papstes favorisierte. Anfang 1937 wurde daraufhin in Deutschland die Enzyklika "Mit brennender Sorge" verlesen, die eine Welle von Verhaftungen auslöste. Die Arbeiten am Syllabus liefen weiter. Die Entwürfe hielten allerdings an der Unterscheidung zwischen dem kirchlichen Antijudaismus und dem Antisemitismus fest - eine Tatsache, die die Nationalsozialisten wohl für ihre Zwecke genutzt hätten. Auch deshalb, so Brechenmachers Einschätzung, hat man die Idee endgültig verworfen. Seine Haltung machte Papst Pius XI. 1938 erneut deutlich, als er sagte: "Im geistigen Sinne sind wir alle Semiten." Eine abschließende Antwort, ob eine schnellere Reaktion möglich gewesen wäre, hält Brechenmacher angesichts zahlreicher immer noch unter Verschluss gehaltener Akten für ebenso verfrüht wie ein Urteil darüber, ob der geplante Syllabus die Nazis gebremst oder noch mehr angestachelt hätte. Das Fazit des Experten: "Antworten auf diese Fragen waren und sind schwer zu finden."

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