Türkei und Syrien Erdbeben: Menschen aus der Region bangen um Freunde und Familie im Katastrophengebiet

Trier · Voller Entsetzen über die katastrophale Lage halten Syrer und Türken aus der Region Trier Kontakt mit Menschen im Erdbeben-Gebiet. Was sie berichten.

Erdbeben in Syrien und der Türkei:  Menschen aus der Region bangen
Foto: dpa/Ibrahim Oner

„Schrecklich.“ Dieses Wort sagt Güllü Temizsoy immer wieder, während sie weitergibt, was ihre Schwägerin ihr soeben am Telefon aus dem türkischen Dorf Özbek berichtet hat. Das Dorf, in dem die Triererin geboren wurde. Die Cousine ihrer Mutter sei bei dem Erdbeben gestorben, auch deren Mann. Und nun die Nachricht, dass die Leiche der kleinen Tochter gefunden wurde. Nur der 15-jährige Sohn habe überlebt. Noch weitere Bekannte und Verwandte seien gestorben. Eine Familie mit drei Kindern. Ein junges Paar.

Erst im August sei sie mit ihrer Familie nach vielen Jahren erstmals wieder dort gewesen. „Das Dorf unserer Kindheit, wo wir erst vor kurzem Zeit mit Familie und Freunden verbracht haben, mit Menschen, die wir lieb hatten. Und die sind jetzt nicht mehr da“, sagt Güllü Temizsoy und weint.

Ihre Schwester, die ebenfalls in Deutschland lebt, sei am Mittwochmittag in Özbek angekommen. Schrecklich sei die Verwüstung. „Unser Haus existiert nicht mehr“, sagt sie. Zu ihrer Erleichterung sei am Mittwoch endlich Hilfe aus der Hauptstadt eingetroffen. Bis dahin seien die Menschen in den kurdischen und alevitischen Dörfern auf sich alleine gestellt gewesen.

Ihr erster Impuls war es, Geld ins Katastrophengebiet zu schicken. Doch das wollten die Betroffenen gar nicht. „Wir brauchen Essen und warme Sachen“, sagten ihre Verwandten – und so will die gebürtige Türkin nun selbst dafür sorgen, dass das Benötigte schnell eintrifft. Mit Unterstützung des Trierer Jobcenters, wo sie arbeitet, und ihrer Freundin Jutta Albrecht, sei es gelungen, sehr viele Spenden zu sammeln, die ihr Mann nun mit einem 40-Tonner in die Türkei bringt. „Ich bin sehr dankbar für die Hilfe der Bürger, die so schnell so viel gespendet haben“, sagt sie. Und so bietet die Solidarität der Trierer ihr einen Lichtblick mitten in diesem Albtraum.

Ein Trierer fordert nach dem Erdbeben: Vergesst Syrien nicht!

Verzweifelt fühlt sich Bahzad Sharif. Und entsetzlich hilflos, wenn er an die vielen Menschen denkt, die in seiner alten Heimat Syrien unter den Trümmern ihrer vom langen Krieg geschwächten und vom Erdbeben zerstörten Häuser liegen und auf Hilfe warten – auf Hilfe, die nicht kommt. „Das ist eine Katastrophe“, sagt der Bauzeichner, der aus der nordsyrischen Stadt Kobanê stammt, vor dem Krieg flüchtete und seit 2015 mit seiner Frau und seinen drei Kindern in Trier lebt. „Jede Sekunde kostet Menschenleben.“

Sharif fordert, sämtliche Blockaden aufzuheben und Grenzübergänge zu öffnen, um alle Gebiete erreichen zu können, wo Menschen in Syrien auf Rettung warten – egal, unter wessen Kontrolle sie stehen. Aktuell gebe es leider keine Garantie, dass Hilfstransporte durchkommen. Rettungstrupps würden benötigt, Zelte, Medikamente ...

„Es tut weh, zu sehen, dass Syrien fast keine Hilfe bekommt“, sagt der Trierer und appelliert an die Menschlichkeit. Daran, die Menschen in Syrien nicht zu vergessen. Die Vereinten Nationen müssten dringend handeln. Nicht nur in der Türkei, auch auf der anderen Seite der Grenze sei Beistand dringend nötig.

Auch die Wittlicher Berufs-Schülerin Leonora Badalli (20) nimmt es schwer mit, was im Katastrophengebiet geschieht. Ihre Familie kommt aus der Türkei. „Es ist wirklich tragisch“, sagt sie. „Viele schlafen in Autos, auf der Straße oder in Zelten. Das ist wirklich eine Situation, die man keinem Menschen wünscht.“ Auch entfernte Verwandte seien betroffen und ihre ganze Familie sei sehr emotional.

Ihr tiefes Mitgefühl gilt auch einem syrischen Bekannten, dessen ganze Familie ausgelöscht wurde. Wie so viele spendet sie nun für die Erdbebenopfer, um nicht tatenlos bleiben zu müssen.

Ein Unternehmer sammelt in Konz Spenden für die Türkei

Viel mehr könne man leider nicht tun, sagt der Trierer Bau-Unternehmer Emrah Bayindir, der nun – wie schon für die Ukraine – erneut seine Lagerhalle in Konz-Könen bereitsstellt, um dort Spenden für die Türkei zu sammeln (mehr Infos hier).

Bayindirs Wurzeln liegen in der südostanatolischen Millionenstadt Gaziantep. Die Stadt, in der er geboren wurde, sei stark betroffen. Er hält Kontakt zu Freunden und Familie, die dort vor ihren zerstörten Häusern bei minus zwei Grad in Autos schlafen. Anfangs hätten sie noch heizen können, doch inzwischen gebe es keinen Sprit mehr. Weder tanken könne man, noch fahren. „Die Autobahnen sind ja auch kaputt“, sagt Bayindir. Trinkwasser und Lebensmittel seien knapp, die Kanalisation sei verstopft, es herrschten prekäre hygienische Verhältnisse. Bei mehreren Nachbeben seien in seiner Geburtsstadt am Mittwoch weitere Häuser eingestürzt, die bereits geschwächt waren.

Aber ist denn schon Hilfe vor Ort? Von offizieller Seite komme so gut wie nichts, sagt der Unternehmer und schimpft auf korrupte Strukturen. Auch internationale Hilfe sei noch viel zu wenig vor Ort.

Sie alle hoffen, dass schnell mehr Einsatzkräfte ins Katastrophengebiet kommen, um Menschen aus den Trümmern zu retten, vor Kälte, Krankheit und Hunger zu schützen und sie an einen sicheren Ort zu bringen.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort