Erst Spur 263 führt zum Täter

TRIER. Wie kaum ein anderes Gewaltverbrechen wühlte der brutale und heimtückische Raubüberfall auf Mutsuko Ayano die Trierer auf. Morgen jährt sich der Todestag der japanischen Germanistik-Studentin zum 20. Mal. Der Mann, der sie tötete, sitzt noch immer hinter Gittern.

Donnerstag, 17. November 1983. Mutsuko Ayano macht sich morgens von ihrem Zimmer in der Kurfürstenstraße aus auf den Weg zur Uni. Sie nimmt wie so oft den kürzesten Weg: zu Fuß über den Petrisberg-Kreuzweg. Unterhalb der Kapelle begegnet sie Janusz Komar. Der 20-jährige Schaustellergehilfe will ihre Handtasche - und nimmt ihr auch das Leben. Die Gegenwehr bedeutet das Todesurteil für die junge Frau. Sie stürzt. Komar stößt ihr erst mit dem Knie ins Gesicht, tritt dann mit den Absätzen seiner Stiefeletten auf das wehrlos am Boden liegende Opfer ein und lässt es bewusstlos liegen. Spaziergänger finden die furchtbar verstümmelte Frau. Ihren schwersten Kopf- und Hirnverletzungen erliegt sie vier Tage später. Sinnlos, brutal und Menschen verachtend

Während die Kripo fieberhaft den Täter sucht, bringt Janusz Komar seine Beute - 90 Mark - in Trierer Kneipen durch. "Es war ein Albtraum. Auch im Kollegenkreis sind Tränen geflossen", erinnert sich Bernd Michels (57), der die Sonderkommission leitete. "Wir hatten keinen Anhaltspunkt, ermittelten rund um die Uhr in alle möglichen Richtungen und landeten immer wieder im Nichts." So gerät ein Nichtsesshafter, der in einer Gaststätte mit einem 1000-Yen-Schein zahlen wollte, ins Fahnder-Visier. Selbst Schmierereien in Uni-Toiletten lösen Nachforschungen aus. Michels: "Es war die Zeit der ersten massiven Übergriffe auf Ausländer in Deutschland." Trost spenden der vor Entsetzen gelähmten und in die internationale Schlagzeilen geratenen Stadt Trier ausgerechnet die Eltern, die auf so sinnlose und Menschen verachtende Weise ihr Kind verloren haben. Nein, er und seine Frau hegten keinen Hass und keinen Groll gegen die Stadt und das Land, die seine Tochter so sehr geliebt habe, versichert Vater Yutaka Ayano bei der Trauerfeier am 23. November 1983 auf dem Hauptfriedhof. 5. Dezember 1983, nachmittags in Regensburg. Janusz Komar überfällt die Blumenhändlerin Maria Weis in ihrem Laden und tötet die 68-Jährige mit bestialischen Stiefeltritten. Beute: 300 Mark. Tags darauf stellt sich Komar der Polizei. Zunächst gibt er nur den Raubmord im Blumenladen zu. Weil er aber angibt, als Gehilfe einer Schaustellerfirma aus Erlangen bei der Allerheiligenmesse in Trier gearbeitet zu haben, wendet sich die Regensburger Kripo mit einem Ermittlungsersuchen an die Trierer Kollegen. Die sind im Fall Mutsuko Ayano inzwischen 262 Spuren nachgegangen - ohne Erfolg. Die nahezu identischen Merkmale der Regensburger Bluttat werden in der Südallee richtig gedeutet und erlösen die Mitglieder der Sonderkommission vom Trauma des ungelösten Gewaltverbrechens: Spur 263 führt zum Ziel. Bernd Michels und sein Kollege Peter Bouzonville reisen nach Regensburg und überführen Komar. Der erste Prozess vor der Jugendstrafkammer des Landgerichts Regensburg platzt wegen Befangenheit eines Gutachters. Im zweiten Anlauf wird der damals 22-Jährige am 24. Mai 1985 im Fall Mutsuko Ayano wegen Raubes mit Todesfolge zu neun Jahren Haft verurteilt. Den Raubmord an der Blumenhändlerin ahndet die Kammer mit Lebenslänglich. Michels, im Prozess Zeuge, zeigt sich immer noch erschüttert von der Brutalität des wohnsitzlosen Polen, der 1981 illegal in die Bundesrepublik kam und sich, abgesehen von einem kurzen Gastspiel in der französischen Fremdenlegion mit Gelegenheitsarbeit, hauptsächlich aber mit Diebstählen und Einbrüchen durchschlug. Auch bei Handtaschenrauben, die er bereits mit 17 in Bayern verübte, schlug er den körperlich unterlegenen Frauen immer gezielt und mit voller Wucht ins Gesicht. Mutsuko Ayano hatte am 17. November keine Chance, als sie Janusz Komar, der im Trierer Ostviertel nach neuen Einbruchszielen Ausschau hielt, über den Weg lief. Michels: "Wenn es in solch einem Fall so etwas wie Genugtuung geben kann, dann, weil der Täter seiner gerechten Strafe zugeführt wurde." Komar sitzt nach wie vor in der Justizvollzugsanstalt Straubing/Oberbayern ein. An die Verbüßung der Haftstrafe für die Trierer Tat schloss sich das Lebenslänglich für den Raubmord an Maria Weis an. Voraussichtliches Straf-Ende: 20. August 2007. Dann beginnt die Überprüfung, ob er auf freien Fuß gesetzt werden kann. Eine spannende Frage. In der Urteilsbegründung von 1985 heißt es: "Um eine günstige Wiedereingliederungsprognose stellen zu können, müsste dem Angeklagten ein ‚Gewissen‘ implantiert werden."

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