Erster Tag im Prozess um Baumunglück: "Ich sah nur, dass etwas über mir erschien.“

Trier · Mit einer zweistündigen Vernehmung des angeklagten Mitarbeiters der Stadtverwaltung hat am Dienstag vor dem Amtsgericht der Prozess um das tödliche Baumunglück vom November 2012 begonnen. Der 53-jährige Gärtnermeister, erkennbar mit den Nerven am Ende, kämpft um einen Freispruch.

 "Baum Prozess"vor dem Amtsgericht Trier mit grossem Medieninteresse. Angeklagt ist ein Sachgebietsleiter der Stadtverwaltung Trier.

"Baum Prozess"vor dem Amtsgericht Trier mit grossem Medieninteresse. Angeklagt ist ein Sachgebietsleiter der Stadtverwaltung Trier.

Foto: Friedemann Vetter

Schon lange vor dem Prozessbeginn wird es eng im Sitzungssaal 54. Alle Zuhörerplätze sind besetzt, vor ihnen sitzen ein Dutzend Medienvertreter. Kamerateams und Fotografen halten Momentaufnahmen fest, bis Richter Wolf-Dietrich Strick den Prozess vor dem Amtsgericht eröffnet und damit jede Ton- oder Bildaufnahme beendet.
Das hohe mediale und persönliche Interesse an diesem Prozess ist ein Indiz für seine enorme Bedeutung. Im November 2012 fiel in der Trierer Innenstadt ein kranker und morscher Baum um, der Stamm verletzte einen Mann schwer und erschlug eine 70-jährige Triererin. Hat hier ein einzelner Mitarbeiter der Stadt in seinem Job versagt? Oder liegt der Fehler im System und damit bei der Stadtverwaltung, ausgelöst durch Überforderung, Unterbesetzung und mangelnde Unterstützung? Richter Strick formuliert es so: "Im Hauptverfahren werden wir untersuchen, ob hier eine Alleinschuld innerhalb einer intakten Struktur vorliegt oder ob eben diese Struktur Defizite hat."

Gericht muss keinen anderen Schuldigen finden

Dennoch sei es nicht Absicht und Aufgabe des Gerichts, nach anderen Schuldigen innerhalb des Grünflächenamts, des Baudezernats oder des Stadtvorstands zu suchen. "Wir haben über Schuld oder Unschuld des Angeklagten, und nur des Angeklagten, zu befinden."

Staatsanwalt Arnold Schomer präsentiert die Anklage: Der beschuldigte Mitarbeiter des Grünflächenamts sei bereits im Juli 2012 von einem Kollegen informiert worden, dass sich die mächtige Kastanie im Rautenstrauchpark in einem sehr schlechten Zustand befindet. Er hätte deshalb eine intensive Untersuchung des Baums durchführen und mit einem Spezialgerät, einem sogenannten Resistografen, die Wandstärke des Stamms feststellen müssen. Das habe er jedoch nicht getan. "Pflichtwidrig", betont Staatsanwalt Schomer. "Es war vorhersehbar, dass Menschen verletzt oder sogar getötet werden können." Daraus resultiert der Vorwurf der fahrlässigen Tötung und Körperverletzung.

Der Empfänger dieses Vorwurfs sitzt auf der Anklagebank, verzichtet auf sein Schweigerecht und kämpft, unterstützt von seinem Verteidiger Roderich Schmitz, um Haltung und klare Aussagen. Richter Strick führt ihn zwei Stunden lang durch eine erste Analyse der Situation. Ohne auch nur einmal die Sätze "Ich bin unschuldig" oder "Dafür bin ich nicht zuständig" zu benutzen, redet der 53-Jährige offen über seinen Job, den Alltag und die Verantwortung.

Angeklagter: Unvollständiger Baumkataster keine Hilfe

"Ich bin kein Sachgebietsleiter, sondern Sachbearbeiter", betont der Gärtnermeister. "Es gibt im Grünflächenamt kein Sachgebiet Baumpflege." Gleichwohl sei er zuständig für die Zweitkontrolle von Bäumen, deren Zustand von Mitarbeitern des Amts oder von Bürgern als kritisch gemeldet wird. Genau hier liege das Hauptproblem. "Ich werde ständig kontaktiert, dieser oder jener Baum sei krank oder falle gleich um. Es ist sehr schwer, Prioritäten festzulegen" Das unvollständige Baumkataster, an dem die Stadt seit 2007 arbeitet (der TV berichtete), sei keine Hilfe.

Der Gärtnermeister räumt ein: "Ich bin von einem Kollegen informiert worden, dass eine Zweitkontrolle erforderlich ist. Ich habe mir eine Notiz gemacht und in meine Mappe gelegt." In dieser Mappe befinden sich zeitweise Notizen von hundert und mehr Bäumen, die man sich mal näher ansehen müsste - das kommt im Verlauf der Aussage heraus. Mit leiser Stimme sagt er: "Ich habe in diesem Fall die Priorität nicht gesehen." Deshalb gab es keine Zweitkontrolle und auch keine Fällung des morschen Baums.

Zwei Kontrolleure für 24000 Bäume

Der Angeklagte offenbart interne Zuständigkeiten des Grünflächenamts. Die Stadt Trier hat 24.000 Bäume, aber nur zwei Baumkontrolleure. Einer macht Mitte, Süd und Ost, der andere Nord und West. Daneben haben sie noch weitere Pflichten. Die Frist für die jährlich anstehende Sichtkontrolle aller Bäume habe oft verlängert werden müssen. "Es gibt keine zeitlichen Vorgaben und auch nicht den Freiraum, Kontrollen zeitnah durchzuführen", sagt er. "Die meisten der 24.000 Trierer Bäume haben Höhlungen und Morschungen, diese sind aber nicht relevant für die Standsicherheit." Richter Strick fragt den Gärtnermeister: "Wer hat Sie denn eigentlich in ihrer Arbeit überwacht und kontrolliert?" Die leise Antwort: "Niemand."

Eine Reihe von Zeugen hört Richter Wolf-Dietrich Strick am Dienstag. Zwei Schülerinnen, die der fallende Stamm knapp verfehlt hat, und ein Bewohner des vom Baum beschädigten Hauses in der Jakobstraße schildern das traumatische Erlebnis. Eine frühere Anwohnerin der Jakobstraße erzählt, der Baum sei bereits in ihrer Kindheit in den 60ern so hohl gewesen, dass sie ihn habe "betreten" können. Auch der durch das Unglück schwer verletzte Nebenkläger, ein 59-jähriger Jurist aus Trier, sagt aus: "Ich habe nichts gehört, sondern sah nur, dass etwas über mir erschien." Der Prozess geht weiter am Dienstag, 26. November.

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