Esperanza für Jean-Carlos

TRIER/IQUIQUE. Die freiwillige Arbeit in einer Stiftung in Iquique/Chile war der Trierer Geographiestudentin Nina Ugniwenko nicht genug. Berührt von der großen Armut, in der vor allem Kinder leben, gründete die 21-Jährige zusammen mit chilenischen Studenten eine deutsch-chilenische "Cooperación"und sammelt Spenden für einen schwer kranken Jungen.

"Die Leute von dem Weihnachtsteam sind alle so motiviert. Und ich bin es auch! Es tut sich hier gerade so viel, und ich habe das Gefühl, dass wir gemeinsam wirklich etwas verändern werden!" Zum ersten Mal, seit sie im Oktober ihre Arbeit in Iquique begonnen hat, ist Nina Ugniwenko richtig zufrieden mit dem, was sie tut. Als Freiwillige in der "Fundación Niños en la Huella", ("Stiftung Kinder auf dem Weg") traf die 21-Jährige auf großes Elend: Ein Drittel der chilenischen Kinder lebt in Armut, trotz des rasanten Wirtschaftswachstums im Land. Sie sah aber auch, dass relativ einfache Mittel schon sehr viel bewirken können.Glitzernder Saal, strahlende Kinderaugen

Mit dem Wunsch, noch mehr zu tun, selbst etwas in Bewegung zu bringen, traf die Geographiestudentin auf Pedro. Der 24-Jährige und seine Schwester Rosa (20) halfen zunächst zusammen mit Freunden ehrenamtlich in der Fundación, wie Nina. Es war Pedros Idee, in Chile eine Weihnachtsfeier für die Kinder zu organisieren. Die Studenten bildeten ein Team mit dem Namen "Nosotros somos una esperanza" (etwa: "Zusammen sind wir Hoffnung"). Die Gruppe fand in Iquique Paten für Kinder, deren schwierige Situation Rosa und Pedro in den vergangenen Jahren dokumentiert hatten. Ugniwenko bat per Rundmail Bekannte und Freunde um Spenden. "Schon um zehn Uhr morgens haben wir nach und nach alle Kids eingesammelt und in das total veränderte, bis in die letzten Ecken geschmückte, blitzblanke Heim gebracht. Alles war voller Girlanden und hat geglitzert - so viele süße, strahlende Kinder", erzählt Nina. "Wir haben dann erst einmal jedes einzelne geduscht und von ihren schmutzig-stinkenden, total zerfetzten Kleidungsstücken befreit und sie komplett neu eingekleidet. Dann gab's ein Riesen-Mittagessen, Spaghetti Bolognese mit Salaten und Eis." Ein Teil des Teams ließ den Abend für die mehr als 30 Kinder mit einer Kinovorführung ausklingen. Nina machte sich mit anderen Helfern auf den Weg, um bei zehn Familien, die am Rand des Existenzminimums leben, Weihnachtsmann zu spielen. Sie wurden mit "Überlebenspaketen" beschert, und jedes Kind bekam drei kleine Geschenke. "Die haben vielleicht Augen gemacht", erinnert sich Nina. "Natürlich haben die damit überhaupt nicht gerechnet, und keiner kannte uns. Manche konnten gar nichts sagen, waren total gerührt und haben auch geweint. Die wollten uns gar nicht mehr gehen lassen." Während das Team in den folgenden Wochen weitere Aktionen plante, um Kinder wenigstens zeitweise aus ihrem Elend zu holen, wurde Rosa auf Jean-Carlos aufmerksam. Den inzwischen neun Monate alten Jungen hatte seine Mutter vier Monate zuvor in einem Krankenhaus abgegeben und sich seitdem nicht mehr um ihn gekümmert. Wahrscheinlich durch Drogenkonsum der Mutter während der Schwangerschaft sowie durch Schläge und einen Sturz war im Kopf des Kleinen eine tumorartige Masse entstanden, die nun seine Körperfunktionen einzuschränken drohte.Ein Jahr Wartezeit

Um ihn zu retten, sollte zunächst schnellstmöglich eine Kernspintomographie gemacht werden. Kostenpunkt: mehr als 1100 Euro. "Da fast alle Menschen hier die kostspieligen Untersuchungen und Operationen nicht selbst bezahlen können und auf finanzielle Unterstützung des Staates angewiesen sind, werden sie von diesem auf eine Art Warteliste gesetzt", erklärt Nina. Jean-Carlos hätte ein bis eineinhalb Jahre auf seine Untersuchung warten müssen. Das Team von "Nosotros somos una esperanza" verhandelte mit den Ärzten, sammelte wieder Spenden und schaffte es schließlich innerhalb von zwei Wochen, den Jungen untersuchen zu lassen. Nun beginnt für Ugniwenko die eigentliche Aufgabe ihrer Gruppe: "Der Chefarzt hat uns gesagt, dass das, was uns nach der Untersuchung erwartet, sehr schwierig werden, sehr viel Zeit, Kraft und vor allem sehr sehr viel Geld auf lange Zeit erfordern wird." Inzwischen hat sich herausgestellt, dass die Masse in Jean-Carlos Kopf kein Tumor ist, sondern ein blutgefülltes Gebilde, das sich ständig vergrößert und auf seine linke Gehirnhälfte drückt. Um ihm helfen zu können, muss der Junge in Santiago behandelt werden. Sich um Jean-Carlos zu kümmern - und nach einer Adoptiv-Familie zu suchen -, geht den Studenten trotzdem noch nicht weit genug: "Wir sind dabei, eine Kampagne zu planen", erzählt Nina. "Zum einen, um Geld für Jean zusammen zu bekommen, zum anderen auch, um die Menschen hier zu motivieren, sich gegen dieses extrem schlechte Gesundheitssystem zu wehren." Unter dem Motto "2500 kilómetros con amor" wird Nina mit vier weiteren Mitgliedern ihres Teams von Arica, der nördlichsten Stadt Chiles, bis zur Hauptstadt Santiago reisen. Von Stadt zu Stadt wollen sie Jean-Carlos‘ Geschichte erzählen und "Unterschriften" in Form von Handabdrücken auf Plakaten sammeln. Die will die Delegation in Santiago der Regierung überreichen. "Die werden uns gar nicht ignorieren können", ist Nina überzeugt. "Denn dieses Jahr sind Präsidentschaftswahlen, und außerdem haben wir ständig Fernsehen, Zeitung und Radio an unserer Seite." Um noch effektiver helfen zu können, gründet die Gruppe nun eine deutsch-chilenische "Cooperación", einen Förderverein, mit dem Namen "Esperanza" - Hoffnung.

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